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Abnehmen: Chancen, Risiken und Nebenwirkungen: Die wichtigsten Fragen rund um die neuen Spritzen



Ein Piks pro Woche, und das Fett schmilzt – kann das so einfach funktionieren? Über Chancen und Risiken der neuen Abnehmmethoden.

Wie funktionieren die Spritzen?

Das Abnehmmittel Wegovy enthält eine höhere Dosis des Wirkstoffs Semaglutid als Ozempic, das eigentlich als Diabetesmedikament zugelassen ist – auch wenn es immer wieder "off label" (außerhalb seiner eigentlichen Bestimmung) zur Gewichtsreduktion verschrieben wird. Vereinfacht kann man sagen: Semaglutid täuscht dem Körper vor, dass er gerade Nahrung bekommen hat. 

Grafik zur Wirkweise von Semaglutid Vorgetäuschte Nahrungsaufnahme: So überlistet Semaglutid das HirnQuellen für die Infografik: RKI, Science Media Center Germany

Denn es ist ein Nachbau des natürlichen Hormons Glucagon-like peptide-1 (GLP-1), das nach dem Essen von Darmzellen an das Blut abgegeben wird und dann an speziellen GLP-1-Rezeptoren andockt, über die viele unserer Körperzellen verfügen. Wie das natürliche Hormon bewirkt Semaglutid im Gehirn, dass sich ein Sättigungsgefühl einstellt (siehe Grafik oben). Außerdem verlangsamt es die Magenentleerung, man fühlt sich länger satt. In Studien mit Wegovy schaffte es ein großer Teil der Probanden, mindestens fünf Prozent Körpergewicht abzubauen. In Kombination mit einem Diätprogramm schafften Adipöse mit hoch dosiertem Semaglutid im Schnitt sogar 15 Prozent in rund einem Jahr. Damit ist Semaglutid deutlich effektiver als ältere Wirkstoffe. Aber: Man erreicht offenbar nach etwa einem Jahr ein Plateau, das Gewicht sinkt nicht mehr weiter.

Kann man den vielen positiven Berichten zu Wegovy und Ozempic trauen?

Für jedes zugelassene Arzneimittel müssen heute vor der Markteinführung Wirkung und Nebenwirkungen durch klinische Studien (Tests am Menschen) untersucht werden. Diese Studien haben hohe Standards. Für Semaglutid ergaben sie einen ungewöhnlich großen Abnehmeffekt, dem (bisher) kein hohes Risiko für schwere Nebenwirkungen gegenüberzustehen scheint. Doch auch anspruchsvolle Untersuchungen haben blinde Flecken: Selbst wenn sie mehrere Jahre dauern, erlauben sie keine Aussage über Langzeitfolgen, die vielleicht erst nach zehn oder 20 Jahren zutage treten. Und über Nebenwirkungen, die so selten sind, dass sie etwa nur einen von 100.000 Menschen betreffen.STERN PAID 47_23 Titel Bauch-weg-Spritze 12.00

Zudem werden Arzneimittelstudien in der Regel von Pharmafirmen unterstützt. Dadurch kann es zu einem "Publication Bias" kommen: Man veröffentlicht lieber Erfolgsmeldungen als negative Ergebnisse. Und schließlich wird die Fachwelt zur Markteinführung eines neuen Mittels oft mit reichlich Werbung und finanziellen Zuwendungen bedacht, insbesondere bei Medikamenten mit Blockbuster-Potenzial. Diese Marketing-Offensiven sind in gewissen Grenzen legal. Grundsätzlich gilt jedoch: Was Prominente oder Influencer über Abnehmmittel zum Besten geben, sollte nie Grundlage für eigene Therapie-Entscheidungen sein.

Für wen sind die Mittel gedacht?

Ozempic sollen Patienten mit Diabetes Typ 2 bekommen. Wegovy zielt auf Menschen, die als adipös eingestuft werden, die also einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 haben. Übergewichtige mit weiteren gesundheitlichen Problemen wie etwa Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck bekommen Wegovy schon ab BMI 27. Eine dritte Zielgruppe sind Jugendliche ab zwölf Jahren mit Adipositas. Die Spritze soll in all diesen Fällen aber nie allein, sondern nur ergänzend zu einer kalorienreduzierten Ernährung und mehr Bewegung angewendet werden.

Wie setzt man sich die Spritzen – und über welchen Zeitraum?

Man spritzt Semaglutid einmal pro Woche unter die Haut von Bauch, Oberschenkel oder Oberarm. Dazu drückt man einen stiftartigen Injektions-Pen gegen die Haut. Die Behandlung beginnt mit einer niedrigen Dosis und steigert sich langsam über mehrere Monate. Zurzeit sprechen die Daten dafür, dass man nach dem Absetzen wieder deutlich zunimmt. Das heißt, dass viele Adipöse Semaglutid dauerhaft nehmen müssten, um ihr Gewicht zu halten. STERN PAID Kommentar Abnehmspritze 12.00

Werden die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet?

Nein, bisher zahlen die Kassen nicht für Abnehmmedikamente. Grundlage ist der "Lifestyle"-Paragraf 34 im Sozialgesetzbuch V: Er schließt Arzneien aus, die vor allem einer verbesserten "Lebensqualität" dienen. Das gilt für Potenz-, Haarwuchs- und eben Abnehmmittel. Verordnet wird Semaglutid daher auf Privatrezept. Je nach Dosierung kosten die Mittel unterschiedlich viel: Eine Spritze mit der niedrigsten Dosis kostet rund 43 Euro, das macht etwa 172 Euro im Monat. Eine Spritze mit der höchsten Dosis kostet rund 75 Euro, das ergibt pro Monat rund 300 Euro. Während private Kassen Wegovy bei bestimmungsgemäßer Verordnung durchaus erstatten, müssen für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung noch gesundheitsrelevante Studien bewertet werden: zum Beispiel die gerade erst veröffentlichten Daten, laut denen Menschen, die Semaglutid verwenden, nicht nur abnehmen, sondern auch seltener Begleiterkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle entwickeln.

Warum überhaupt eine "Abnehmspritze"? Kann man nicht einfach weniger essen und mehr Sport treiben?

Viele Menschen schaffen es tatsächlich, mit viel Disziplin, gesunder Ernährung und Bewegung abzunehmen. Auch eine Verhaltenstherapie kann helfen, weil man dabei lernt, seine Essgewohnheiten zu beobachten und sich besser zu kontrollieren. Aber selbst in gut strukturierten Abnehmprogrammen unter ärztlicher Aufsicht sind Misserfolge und Abbrüche häufig. Und das gilt erst recht für die Zeit danach, in der man wieder auf sich allein gestellt ist. Manchen gelingt es trotz aller Bemühungen nicht, ihr Gewicht zu halten. Das hat auch damit zu tun, dass zahlreiche Steuerungsvorgänge in unserem Körper auf Kalorienaufnahme programmiert sind: Süßes regt das Belohnungszentrum im Gehirn an, Fettiges fühlt sich auf der Zunge angenehm an, und jeder Energieüberschuss wird vom Organismus achtsam "auf die Seite gelegt" – als Fettpolster für schlechte Zeiten. 

Grafik zur Anzahl übergewichtiger und adipöser Erwachsener in Deutschland Übergewichtige und adipöse Erwachsene in Deutschland Quellen für die Infografik: RKI, Science Media Center Germany

Außerdem gibt es Menschen, die genetisch eher zum Zulegen neigen als andere: Mehr als 400 Gene wurden im Zusammenhang mit Übergewicht und Adipositas identifiziert. Manche beeinflussen Appetit oder Sättigung, andere den Stoffwechsel, die Körperfettverteilung oder die Tendenz, auf Stress mit Essen zu reagieren. Nicht zuletzt deshalb wurde Adipositas im Jahr 1997 von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Krankheit anerkannt. Und sie scheint eine Krankheit zu sein, die sich selbst verstärken kann. Denn je mehr Kilos jemand angehäuft hat, desto mehr läuft der Stoffwechsel aus dem Ruder. In Tierversuchen führt ständige Überfütterung zu einer Entzündung im Hypothalamus, dem Steuerzentrum im Gehirn, das Hunger und Sättigung reguliert. Auch adipöse Menschen haben einen auffällig vergrößerten Hypothalamus, was sich wiederum auf ihr Essverhalten auswirken könnte. Zudem reagieren in einem ständig gefüllten Magen die Dehnungsrezeptoren nicht mehr so gut – das sind Nervenzellen, die dem Gehirn melden sollten: Jetzt ist es genug.

Welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es?

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, Verstopfung und Kopfschmerzen. In den Zulassungsstudien brachen etwa sieben Prozent der Teilnehmer die Semaglutid-Behandlung vor Ende eines Jahres ab. Einige Fälle von akuter Bauchspeicheldrüsenentzündung scheinen mit dem Wirkstoff in Verbindung zu stehen, eventuell auch Darmverschlüsse. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA leitete vor Kurzem eine Überprüfung von Substanzen ein, die (wie Semaglutid) an den GLP-1-Rezeptoren andocken. Der Grund: Die isländische Arzneimittelbehörde hatte gemeldet, dass einige Patienten nach Einnahme der Mittel Gedanken an Suizid oder Selbstverletzung äußerten. Ob Semaglutid das Risiko für Schilddrüsenkrebs erhöht, wird ebenfalls überprüft. 

Und: Durch die verlangsamte Magenentleerung kann die Wirkungsweise von anderen Medikamenten beeinflusst werden. Wer gleichzeitig Insulin nimmt, hat ein erhöhtes Risiko für eine Unterzuckerung, weil Semaglutid den Blutzuckerspiegel zusätzlich senkt. Ärzte berichten zudem von einer psychischen Nebenwirkung, die Patienten dazu bringe, das Präparat wieder abzusetzen: chronisch schlechte Laune.

Wer sollte die Finger von Semaglutid lassen?

Menschen mit leichtem Übergewicht, die schnell ein paar Pfunde abspecken wollen, gehören nicht zur Zielgruppe. Wegovy ist für Adipöse und für Übergewichtige mit ärztlich diagnostizierten Gesundheitsproblemen gedacht, Ozempic für Typ-2-Diabetiker. Wer sich die Mittel verschreiben lässt, um lediglich ein paar Kilo abzunehmen, hat gesundheitlich praktisch keinen Vorteil und nimmt die Spritzen unter Umständen kranken Menschen weg. Beim Diabetesmittel Ozempic gab es auch hierzulande schon Lieferengpässe – mutmaßlich, weil es häufig "off label" zum Abnehmen verschrieben wird. Das könnte sich verstärken, wenn die Spritzen von nur leicht Übergewichtigen nachgefragt werden. Schwangere und Stillende und Menschen mit Schilddrüsenkrebs in der Familie dürfen Semaglutid nicht nehmen.

Für stark Adipöse mit einem BMI von 40 und mehr (oder BMI 35+ mit weiteren Erkrankungen) ist oft eine gewichtsregulierende OP wie eine Magenverkleinerung die bessere Lösung, weil der Effekt der Spritzen zu gering ist, um die Gesundheit entscheidend zu verbessern.

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