16 hours ago

Zum Wochenende: Kommentare entlarven



Wer seine obskure Meinung in unseren Kommentaren platzieren will, kommt nicht weit. Hier lest ihr, wie wir damit umgehen.

Wir sind froh über die Kommentare, die ihr zu den Artikeln schreibt. Diese Kommis machen die Artikel runder, weil ihr eure Perspektive zu einem Thema mitteilt. Da wir keine Statistik über angenommene oder abgelehnte Kommentare führen, kann ich nur schätzen, dass wir 95 % der Äusserungen annehmen. Wir sind diesbezüglich wohlwollend und freuen uns insbesondere über kritische Kommentare, die den Horizont der Leser:innen erweitern.

Bei den 5 % der abgelehnten Kommentare ist es meistens einfach, eine Entscheidung zu treffen. Da gibt es die, die gegen unsere Regeln verstossen. Es gibt die, die offensichtlich unsinnig oder Trollerei sind. Manchmal fällt uns die Entscheidung nicht leicht. In solchen Fällen besprechen wir uns im CORE-Team oder starten unseren Debunking-Prozess.

Der Kommentar

Zur letzten Podcast-Folge gab es einen solchen Kommentar, den wir abgelehnt haben. Da bei uns Transparenz grossgeschrieben wird, möchte ich diesen Kommentar näher betrachten. Hier ist der Kommentar, der von M. am 19.02.2025 geschrieben und abgelehnt wurde:

Was genau jetzt Elon Musk oder die von Trump unterzeichneten Executive Order jetzt mit Freier Software oder Freier (inklusiver) Gesellschaft zu tun haben, habe ich im gesamten Podcast nicht verstanden. Und eine Erklärung, wieso es negativ oder moralisch verwerflich ist wenn viele Tech-CEO-Bros bei Trumps Vereidigung anwesend sind, habe ich leider auch nicht raushören können. Das war freiwillig, niemand von denen wurde zur Teilnahme gezwungen und Bill Gates (Microsoft) und Larry Ellison (Oracle) blieben fern.

Euch ist schon bewusst, dass Trump in seiner ersten Amtszeit weniger Executive Order unterzeichnet hat als viele seiner Vorgänger? https://en.wikipedia.org/wiki/Executive_order#Table_of_U.S._presidents_using_executive_orders

Man muss Trump nicht mögen und ich will ihn hier auch nicht in allen seinen Sachen verteidigen, aber immerhin ist er einer der sehr selten gewordenen Politiker, die nicht nur reden sondern tatsächlich genau das tun, was sie sagen. Er macht gerne Deals ... Na und? Das ist per se nichts schlechtes und eigentlich sogar besser als alle moralisch oder ideologisch festgefahrenden Fundamentalisten. Beispiel: Wenn er von den Nato-Staaten 5% des SozialProduktes für die Verteidigung fordert, dann tut er dass weil er ganz genau weiss das am Ende nur 2 oder 3 Prozent herauskommen werden. Trump ist da wirklich leicht zu durchschauen und deshalb teile ich Eure Bedenken und "Vorurteile" diesbezüglich nicht!

Der Prozess

Da ich mir nicht sicher war, wie damit umzugehen ist, habe ich die Angelegenheit mit Lioh besprochen, weil sie an der Podcast-Folge teilgenommen hat und sie ihre Erfahrungen geschildert hat. Nach einer ersten ablehnenden Reaktion haben wir den Debunking-Prozess gestartet. Dieser besteht aus drei Stufen:

  1. KI-gestütztes Debunking
  2. Überprüfen der Quellen
  3. Entscheidung über Annahme oder Ablehnung

Für Schritt 1 habe ich Perplexity verwendet, da dieses Modell Quellen angibt. Der Prompt beginnt mit dieser Aufforderung: "Debunk folgenden Text:." Danach folgt der Kommentartext. Hier ist das Ergebnis:

Der Kommentar enthält mehrere Ungenauigkeiten und Fehlinterpretationen, die einer Richtigstellung bedürfen:

  1. Executive Orders von Trump: Entgegen der Behauptung hat Trump in seiner ersten Amtszeit mehr Executive Orders unterzeichnet als viele seiner unmittelbaren Vorgänger. Er erließ 220 Executive Orders in seiner ersten Amtszeit1, was mehr als Barack Obama (276 in zwei Amtszeiten)5 und deutlich mehr als jeder andere Präsident der letzten 30 Jahre pro Jahr war5.

  2. Trumps Umsetzung von Versprechen: Die Aussage, Trump sei einer der wenigen Politiker, die tatsächlich das tun, was sie sagen, ist zu vereinfachend. Viele seiner Versprechen blieben unerfüllt oder wurden nur teilweise umgesetzt.

  3. NATO-Ausgaben: Die Behauptung, Trump fordere 5% des BIP für Verteidigungsausgaben, ist falsch. Das NATO-Ziel, auf das sich Trump bezog, liegt bei 2% des BIP4.

  4. Deals und Verhandlungstaktik: Die Darstellung von Trumps Verhandlungsstil als positiv und durchschaubar ist zu simplifizierend und ignoriert die oft negativen Auswirkungen seiner unberechenbaren Außenpolitik.

  5. Tech-CEOs bei der Vereidigung: Der Text übersieht mögliche ethische Bedenken bezüglich der engen Verbindungen zwischen Technologieunternehmen und der Regierung, insbesondere im Kontext von Musks Rolle in der DOGE-Initiative14.

  6. Freie Software und inklusive Gesellschaft: Der Text verkennt mögliche Zusammenhänge zwischen Trumps Regierungsstil, Musks Einfluss und deren Auswirkungen auf technologische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Diese Richtigstellungen zeigen, dass der Kommentator wichtige Fakten verzerrt oder falsch darstellt und komplexe politische Zusammenhänge übermäßig vereinfacht.

Im zweiten Schritt habe ich die Quellen geprüft, um festzustellen, ob die KI bei dieser Antwort halluziniert. Das war nicht der Fall. Beim dritten Schritt habe ich abgewogen, ob man den Kommentar doch freigeben kann, weil darin wichtige Aspekte enthalten sind. Das war nicht der Fall. Der Kommentar wurde abgelehnt.

Die Analyse

Nach einer oberflächlichen Betrachtung könnte man Ms Kommentar in die Kategorie FUD (Fear, Uncertainty and Doubt / Furcht, Ungewissheit und Zweifel) einordnen. Doch das ist nicht der Fall. Es handelt sich viel mehr um Obskurität, also Undeutlichkeit. Das bezeichnet das Vorgehen, verschwommen, mit teilweisen Halbwahrheiten gemischt mit Falschaussagen, um bewusst vom komplexen Ganzen abzulenken und die Situation positiv zugunsten der bevorzugten Position darzustellen.

Der Grund, warum wir so etwas ablehnen, ist die Patt-Situation, in die wir uns begeben würden. Wir argumentieren: "Dein Kommentar ist halb wahr und in Teilen falsch." Damit bieten wir dem Kommentierenden die gewünschte Bühne. Er wird antworten: "Deine Antwort ist halb wahr oder falsch." Und damit endet der Diskurs.

Die Ablehnung des Kommentars ist durch diese Argumente begründet:

  1. Unklarheit: Die Botschaften sind absichtlich vage oder mehrdeutig gehalten.
  2. Verschleierung: Informationen werden bewusst zurückgehalten oder verschleiert.
  3. Komplexität: Es werden unnötig komplizierte Ausdrücke oder Satzstrukturen verwendet.
  4. Distanzierung: Der Kommentierende versucht, emotionale und inhaltliche Distanz zu schaffen.

Eine tiefere Betrachtung dieses Themas liefert Joan Westenberg in ihrem Artikel. "You will never win an argument on the Internet". Zum Schluss möchte ich zitieren, wie Lioh auf den Kommentar reagiert hat:

Ich habe mich noch etwas mit dem Thema beschäftigt. Mir ist dann Folgendes klar geworden. Ich schütte in der Folge mein Herz aus, nein eigentlich ist es ein Hilferuf. Darauf geht der Kommentator in keiner Weise ein, nur auf das Drumherum. So wird bewusst eine emotionale Distanz geschaffen, um Raum für die Propaganda zu bieten und gleichzeitig meinen Appell durch das komplette Ignorieren abzuwerten. Das hat mich sehr verletzt.

Titelbild: https://pixabay.com/photos/one-against-all-all-against-one-1744086/

Quellen:

https://www.perplexity.ai/

https://de.wikipedia.org/wiki/Fear,_Uncertainty_and_Doubt

https://de.wikipedia.org/wiki/Obskurit%C3%A4t

https://medium.com/westenberg/you-will-never-win-an-argument-on-the-internet-heres-why-c35b7995d3dd


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