Die Bundesinnenministerin wollte eine rechtsextreme Zeitschrift verbieten, obwohl sie es nicht konnte. Sie vervollständigt das Bild einer dünnhäutigen, aggressiven Bundesregierung.
Wer Anhaltspunkte dafür finden will, dass unser Staat in die Freiheitsfeindlichkeit kippt, hat es derzeit nicht so schwer. Es reicht vermutlich der Griff zur Cola im Kühlschrank. Die PET-Flaschen haben nämlich neue Verschlüsse bekommen, wegen, klar, der EU - Umweltschutz. Die Deckel gehen seither nicht mehr ganz ab, jedenfalls nicht so leicht. Ich finde das ungewohnt und wie jeder Mensch über Vierzig hasse ich Veränderungen.
Es geht aber offenbar um mehr, wie uns die bürgerliche Presse erläutert: "Die Leute werden belehrt, wie korrektes Trinken geht", schreibt eine Autorin der "Neuen Züricher Zeitung". Ja, man könne den Deckel zwar abreißen, räumt sie ein. Das scheint aber nur ein perfides Feigenblatt der Freiheit zu sein, denn: "Die abgerissenen Laschen stehen nun spitz vom Flaschenhals ab und schneiden in die Finger." Und: "Beim Trinken piksen sie in Wange und Lippen."
Ich will nicht kaltherzig wirken, aber wenn jemand nach Genuss eines Kaltgetränks aussieht, als habe Edward mit den Scherenhänden den Lippenstift nachgezogen, wäre es womöglich Zeit für eine Schnabeltasse.
Juristischer Quatsch von höchster Stelle
Die Ampel präsentiert die besseren Belege für Freiheitsfeindlichkeit als die EU: Die Bundesregierung holt sich derzeit im Wochenrhythmus Testate der Freiheitsfeindlichkeit bei der Justiz ab. Dreimal bekam etwa die Antidiskriminierungsbeauftragte vor Gericht auf die Nase, weil sie Julian Reichelts Krawallorgan "Nius" keine Auskunft erteilen wollte. Wegen Zuspitzungen sind verschiedene Teile der Ampel schon erfolglos gegen Reichelt vorgegangen. Und das Robert-Koch-Institut musste bekanntlich auf juristischen Druck Corona-Dokumente herausrücken.
Zuletzt scheiterte Bundesinnenministerin Nancy Faeser gegen das rechtsextreme Polterblättchen "Compact". Faeser hatte vor einem Monat "das rechtsextremistische 'COMPACT-Magazin' verboten", so knallig drückte sie es jedenfalls aus, was schon damals juristischer Quatsch von höchster Stelle war: Eine Innenministerin kann keine Zeitschriften verbieten, nur die dahinterstehenden Vereine.
Die Formulierung war auch deshalb bestenfalls einfältig und schlimmstenfalls autoritär, weil einer der größten rechtlichen Streitpunkte um solche Verbote sich genau um diese Unterscheidung dreht: Darf der Staat Zeitschriften quasi indirekt verbieten, indem er den Journalisten rechtlichen Teppich unter den Füßen wegzieht?
Höcketaler und Allerweltstexte
Noch heikler für die Ritterin gegen den Rechtsextremismus ist die Tatsache, dass sie mitten im gestreckten Galopp gegen einen tiefhängenden Ast geknallt ist: Das Bundesverwaltungsgericht hat am Mittwoch das "Zeitschriftenverbot", das nie eines war, erst einmal ausgesetzt. Den Teppich-Trick haben die Richter zwar gebilligt, aber sie haben Zweifel: Sie zweifeln daran, dass der Staat handstreichartig einen Verein ausradieren darf, dessen Zeitschrift einer braunen Leserschaft neben rechtsextremem Zeug und Absurditäten wie eine "Höcke-Taler" im Onlineshop auch allerlei rechtlich einwandfreie Allerweltstexte präsentierte.
Man könne ja auch mit Veranstaltungs- und Versammlungsverboten gegen den Verein vorgehen, sinnierten die Richter, und das mag ein zarter Hinweis darauf sein, dass eine Innenministerin nicht vordergründig einen Verein verbieten sollte, wenn es ihr um die Zeitschrift geht. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus.
Das wäre alles weniger dramatisch, hätte die Ministerin den Schlag gegen die Rechtsextremen nicht im Vorwege allzusehr gefeiert, indem sie sich juristisch schräg auf die Brust trommelte. Als vermummte Polizisten vor dem "Compact"-Chefredakteur Jürgen Elsässer im Bademantel standen, produzierte das zudem ein Bild, dass sich keine KI schöner zusammenfabulieren könnte. Nach einem besonnenen Rechtsstaat sah das damals schon nicht aus - und nach der Niederlage vor dem Bundesverwaltungsgericht wirkt es nun geradezu halbstark.
Elsässer sieht in seinem Zwischensieg (wörtlich, etwas heikel: "Sieg! Sieg! Sieg!") nun einen Beleg für die Diktaturhaftigkeit Deutschlands. Was freilich Unsinn ist, denn in einer Diktatur hätte er nicht klagen können. Aber solche Logikbrüche sollten niemanden beruhigen: Faesers "Compact"-Verbot ist jetzt schon ein ziemliches Debakel, selbst, wenn sie sich am Ende durchsetzen sollte.
Albtraum für die Grundrechte
Es ist zudem nicht Faesers einziger Übergriff: In der Sommerpause beginnt nun auch noch ein Raunen über andere Vorstöße des Bundesinnenministeriums, niedergelegt in einem unveröffentlichten Gesetzentwurf. So soll der Staat öffentliche Daten im Internet abgleichen können, um Kriminelle zu finden, also Gesichter, Videos, Gangarten und so weiter, ein Albtraum für Grundrechte, wie Kritiker meinen.
In demselben Gesetz soll außerdem die heimliche Wohnungsdurchsuchung erlaubt werden, aber nur bei Terrorgefahr - na dann! "Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht. Das wäre ein absoluter Tabubruch", sagt der neben Faeser als Bundesjustizminister auf der Regierungsbank sitzende Marco Buschmann von der FDP. Das ist wohl das, was man Ressortabstimmung nennt. Ältere erinnern sich, dass schon einmal, beim "Großen Lauschangriff", die FDP wegen solcher Ideen das Justizressort hingeschmissen hat.
Wenn die Bundesregierung dem Eindruck der Übergriffigkeit widersprechen will, macht sie seit Wochen einen lausigen Job. Das Gesamtgemälde zeigt einen Staat, der dünnhäutig und aggressiv gegen seine Bürger vorgeht. Schwierige und polarisierte Zeiten für sich genommen rechtfertigen aber nicht das Schleifen von Grundrechten.
Vielen Dank für nichts
Eine Demokratie muss wehrhaft sein, so ist es schließlich im Grundgesetz eingerichtet. Ich weiß nicht, ob "Compact" so gefährlich ist, dass man den Verein verbieten muss. Das Grundgesetz verlangt so einen Schritt unter bestimmten Voraussetzungen. Ein Automatismus liegt darin dennoch nicht, denn Behörden können und sollten Tatsachen gewichten. Eine politische Leitung muss politische Fernwirkungen eines "Zeitschriftenverbots" abwägen. In einer Zeit, in der viele Menschen meinen, man dürfe seine Meinung nicht mehr sagen, ist Augenmaß und rechtliche Genauigkeit gefragt.
Freiheit ist kein Schönwettergedanke, im Gegenteil: Je schwieriger die Wahrheitssuche, desto mehr Freiheit braucht eine Gesellschaft. Wer im linken Lager die faeserschen Autoritätsgesten beklatscht, sollte sich zudem eines vor Augen führen: Der autoritäre Staat war bislang Markenzeichen im rechten Spektrum. Hier gibt es keinen politischen Leerstand. Und wer sich heute von Gerichten an die Grundrechte erinnern lassen muss, kann nicht morgen für die freiheitliche Demokratie trommeln.
Faesers Übereifer hat erst einmal dafür gesorgt, dass ein Rechtsextremer wie Elsässer, Journalistenverbände und freiheitlich orientierte Kommentatoren auf einer Seite stehen. Vielen Dank für nichts - da hätte ich mir lieber das Gesicht mit einem Cola-Deckel zerschnitten.