5 months ago

Wieduwilts Woche: Man kann sich sein Volk nicht aussuchen



Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen stellt sich heraus: Die Wähler möchten offenbar etwas anderes, als das Parteienbuffet hergibt. Was hat der Souverän da angerichtet?

Nach den ersten beiden von drei Landtagswahlen in Ostdeutschland ist die Politik in Aufruhr. Alte Wahrheiten stehen auf einmal zur Disposition - und das betrifft nicht nur die Grünen und die Frage der Migration.

In Thüringen winkt eine Koalition aus CDU, BSW und SPD, also eine "linkstolerierte Brombeer-Koalition", was ein wenig klingt wie ein Elternparlament an einer Kindertagesstätte in Berlin-Prenzlauer Berg. Die AfD verfügt in Thüringen über so viele Sitze, dass sie Zweidrittel-Beschlüsse sperren kann - hier kann sich gegen die Rechtsextremen nicht einmal der Landtag auflösen. Die Brombeere hätte also faulige Stellen.

In Sachsen wiederum ist die CDU auf das BSW angewiesen, was für viele Konservative ein Tabubruch wäre: Zwar lässt sich das Wagenknecht-Bündnis, anders als die Linkspartei, nicht juristisch und historisch auf die SED zurückführen. Die personelle Fortführung der Linkspartei mit anderen Mitteln drängt sich aber auf.

40 Rebellen in der CDU

Das hat nun dazu geführt, dass ausgerechnet im eher linken Flügel der Konservativen nun 40 Rebellen um den CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter auf die Barrikaden steigen: Sie wittern in einer Zusammenarbeit mit dem BSW den Verrat an Westbindung, Liberalität und Europa. Das seien "rote Linien", der Kern der Partei.

Wieso protestiert eigentlich der linke, nicht der rechte Part der Konservativen gegen ein Bündnis mit der doch irgendwie linken Wagenknecht-Partei? Haben die sich verlaufen? Was auf den ersten Blick überraschend wirkt, ergibt auf den zweiten Sinn, wenn man sich vom Schema "rechts" und "links" löst.

Der britische Journalist David Goodhart hat vor einigen Jahren dafür geworben, Wählergruppen in "Anywheres" und "Somewheres" zu unterteilen: Also Menschen mit globalem Lebenswandel, die Vielfalt als Bereicherung empfinden und sich von der Kompliziertheit der Gegenwart nicht schrecken lassen, Anywheres - und solche, die nicht beruflich international unterwegs sind, vielleicht kaum einmal den Heimatort verlassen und ländliche Tradition gegenüber vielfältig-regenbogenfarbenen Lebensentwürfen bevorzugen, Somewheres.

Es liegt jetzt bei den Grünen

So pauschal und daher angreifbar diese Unterscheidung auch ist, sie erklärt einiges: Die linken Rebellen in der CDU sind im Sinne Goodharts Anywheres: Sie fordern die transatlantische Anbindung, sie halten liberale Werte hoch, sie wünschen sich Unterstützung für die Ukraine. Das sind alles Werte, die das BSW nicht vertritt.

Mit dieser Unterscheidung leuchtet übrigens auch ein, warum die ehemals antiamerikanischen Grünen im Osten die Flagge der Westanbindung hochhalten und sich Unterstützung für die Ukraine wünschen, nicht aber die eigentlich transatlantische CDU. Sieht man sie aber als Partei der Anywheres, kommt es wiederum hin - und ordnet die CDU den Somewheres zu.

Parteiinterne Ideologien werden derzeit auf die Probe gestellt. Aber was wollen denn die Deutschen? Etwa die Hälfte der Bevölkerung befürwortet eine Beteiligung des BSW an Landesregierungen, deutlich mehr im Osten als im Westen, so zeigte es kürzlich der Deutschlandtrend. Mehr als die Hälfte wünscht sich übrigens weniger Einwanderung. Das wiederum rüttelt an Grundüberzeugungen der Grünen - und auf die kommt es nun an.

Ultimaten für Scholz

CDU und FDP haben der Ampel bereits Ultimaten gestellt, in der kommenden Woche greifbare Ergebnisse für weniger Einwanderung zu präsentieren. Wolfgang Kubicki von den Liberalen sagt schon jetzt, die Ampel habe die "Legitimation verloren".

Sogar Sozialdemokraten fordern, die Ampel solle endlich handeln: Der SPD-Ministerpräsident in Brandenburg, Dietmar Woidke, sagte, die Ampel müsse Verantwortung zeigen. Wenn die AfD in ein paar Wochen in seinem Land auf Platz 1 lande, werfe er hin. Dieses Szenario rückt näher, wenn die Ampel in der Migrationsfrage handlungsunfähig scheint. Auch hier ist der Wähler nämlich störrisch: Er stimmt in den Ländern über Bundespolitik ab, so irrational das manch einem Beobachter erscheinen mag.

Spürt Olaf Scholz diese Lage? "Das Wahlergebnis für die AfD bedrückt uns sehr", bekannte der Kanzler im Gespräch mit Bürgern und klang dabei aber, wie die FAZ notiert, als stelle er fest, "dass die Milch im Kühlschrank abgelaufen ist".

Schicksal der Ampel ist entschieden

Vielleicht weiß Scholz schlicht, dass das Schicksal der Ampel längst entschieden ist. Selbst wenn die Koalition sich kommende Woche zusammenrauft, hat ihre Abwicklung begonnen. Sie ist als Bündnis der Anywheres angetreten, progressiv, als Gegenentwurf zum Muff der Großen Koalition.

Die nächste Bundesregierung werden aber die Somewheres dominieren, egal, was in der kommenden Woche passiert. Das wird man auch in der CDU wissen und hat genau deshalb das Verhältnis zum BSW justiert, wider alle Prinzipien.

Man kann sich sein Volk eben nicht aussuchen. Wer das nicht akzeptiert, wird untergehen.

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