
Wie geht es nach der Wahl in Deutschland weiter? Wenige Tage vor dem Urnengang deutet vieles auf komplizierte Mehrheitsverhältnisse hin. Wird es für die CDU für ein Zweierbündnis reichen? Ein Blick auf die Aussichten zum Wahlausgang auf Basis der jüngsten Umfragen.
Deutschland steuert bei der anstehenden Bundestagswahl unsicheren Mehrheitsverhältnissen entgegen. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP sollte der vorgezogene Wahltermin am 23. Februar eigentlich stabile Verhältnisse schaffen. Doch wenige Tage vor dem Urnengang engen sich die Koalitionsoptionen der Parteien zeitweise ein.
Wie werden sich die Mehrheitsverhältnisse am Wahlabend darstellen? Die rechnerisch möglichen Regierungsbündnisse zeigt der Koalitionsrechner bei ntv.de auf Grundlage der jeweils aktuellsten Umfragewerte:
Hinweis: Die Daten zum Koalitionsrechner werden in den Tagen vor der Bundestagswahl laufend aktualisiert.
Die Union aus CDU und CSU wird in den jüngsten Umfragen bei einem Stimmanteil zwischen 28 und 34 Prozent gesehen und hat damit beste Chancen, stärkste Kraft zu werden. Auf Platz zwei in der Rangfolge der voraussichtlich stärksten Fraktionen landet nach Stand der Umfragen die AfD mit 20 bis 22 Prozent.
Die bisherige Kanzlerpartei SPD bewegte sich in den zurückliegenden Wochen in einem Bereich zwischen 15 und 17 Prozent. Damit könnten die Sozialdemokraten noch vor den Grünen als drittstärkste Fraktion in den Bundestag einziehen. Die Grünen selbst erreichen in den Meinungsumfragen zwischen 11 und 14 Prozent.
Die Linkspartei könnte es mit bis zu 6 Prozent der Stimmen knapp über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) muss um den Aufstieg in den Bundestag dagegen bangen. Die Liberalen liegen in den Umfragen der vergangenen Wochen bisher stabil bei 4 Prozent und damit unter der entscheidenden Schwelle. Die FDP mit ihrem Spitzenkandidaten Christian Lindner könnte den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen.
Merz wirbt für Koalition der Mitte
Welche Koalitionsoptionen ergeben sich aus der bisher erwarteten Sitzverteilung? Die Möglichkeiten zur Bildung einer tragfähigen Mehrheit sind - je nach Umfrage und Zeitpunkt der Erhebung - stark eingeschränkt. Rein rechnerisch möglich und politisch realistisch wäre ein Zweierbündnis der Union mit der SPD - oder mit den Grünen. Schwarz-Rot käme in den Ergebnissen der Umfrageinstitute auf eine etwas deutlichere Mehrheit als Schwarz-Grün.
Bei Forsa zum Beispiel erreicht eine solche Neuauflage einer schwarz-roten "Großen Koalition" laut einer Erhebung vom 11. Februar 330 der insgesamt 630 Sitze. Bei Infratest dimap waren es am 6. Februar 337 Sitze, die Forschungsgruppe Wahlen kam für Schwarz-Rot ebenfalls auf 330 Sitze. In den Berechnungen der Forschungsgruppe Wahlen, deren Zwischenstand am 14. Februar veröffentlicht wurde, sind es insgesamt 333 Mandate für Union und SPD.
Sicher scheint die Kanzlermehrheit für CDU-Chef Friedrich Merz allerdings noch nicht. In einer Insa-Umfrage vom 10. Februar schmolz der komfortable schwarz-rote Vorsprung deutlich zusammen: Die Union käme demnach gemeinsam mit den Sozialdemokraten nur auf 311 Sitze im Parlament - fünf weniger als für die Kanzlermehrheit erforderlich. CSU-Chef Markus Söder drängt die größere Unionsschwester klar zu einer Koalition mit der SPD.
Plan B: Schwarz-Grün?
Für Schwarz-Grün trübten sich die Aussichten nach Ansicht der Meinungsforscher zuletzt zeitweise ebenfalls ein. Das Institut Allensbach berechnete Ende Januar noch 239 Mandate für die Union und 95 für die Grünen. Zusammen käme das Zweierbündnis damit auf solide 334 Sitze - genug, um ohne dritten Koalitionspartner in die Regierungsbildung zu gehen. Die Forschungsgruppe Wahlen sah Union und Grüne im Fall einer Einigung bei 318 Sitzen und damit machbar in der Mehrheit.
Eine Umfrage von Infratest dimap wies für Schwarz-Rot zehn Tage vor der Wahl sogar 334 Mandate aus, ein schwarz-grünes Bündnis wurde bei 33 Sitzen gesehen. CDU-Spitzenkandidat Merz will sich offenkundig beide Optionen offenhalten. Zuletzt wandte er sich wörtlich an "alle demokratischen Parteien der politischen Mitte unseres Landes". Bis zur Bundestagswahl müssten die Parteien im Wahlkampf "hart kämpfen", sagte er. Danach sei aber Kompromiss- und Bündnisfähigkeit gefragt.
Bei der Forschungsgruppe Wahlen war die Konstellation aus Union und Grünen auch am 7. Februar noch bei 330 gemeinsamen Sitzen geblieben, bei Insa fiel das prognostizierte Ergebnis drei Tage später noch deutlich schwächer aus. Forsa schätzte die Aussichten für Schwarz-Grün dagegen zuletzt wieder besser ein: Das Bündnis könnte demnach mit 319 Mandaten eine knappe Mehrheit im Bundestag erreichen. Allerdings hat sich die CSU im Gegensatz zu Merz vehement gegen eine grüne Regierungsbeteiligung ausgesprochen.
Absagen an die AfD
Rechnerisch möglich heißt nicht unbedingt politisch realistisch. Die AfD als voraussichtlich neue zweitstärkste Kraft steht im Bundestag aufgrund ihrer in Teilen rechtsextremen Haltung weiterhin vollkommen isoliert da. Unions-Kanzlerkandidat Merz schloss eine Annäherung nach rechts erneut ausdrücklich aus. "Es kommt eine Zusammenarbeit von uns mit der AfD nicht infrage", sagte der CDU-Politiker in der letzten Bundestagsdebatte vor der Wahl.
Linke und das BSW spielen bei den Überlegungen um mögliche Zweierbündnisse bisher auch keine Rolle. Die erwarteten Fraktionsstärken reichen bisher nicht aus, um sie als Koalitionspartner ins Gespräch zu bringen. Links der Mitte kommen selbst Dreierkoalitionen nicht auf erforderliche Mehrheiten. Ein politisch unwahrscheinliches Bündnis der Sozialdemokraten mit Grünen und Linken etwa erreicht bei Forsa in der am 11. Februar veröffentlichten Umfrage nur 267 Sitze.
Der Bundestag wird aller Voraussicht nach künftig nur noch fünf bis sechs statt bisher sieben Fraktionen umfassen. Das neue, von der Ampel-Koalition beschlossene Wahlrecht deckelt die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze zudem auf 630. Die entscheidende Schwelle zur Kanzlermehrheit liegt damit fest bei 316 Sitzen. Bei der zurückliegenden Bundestagswahl 2021 waren noch 736 Abgeordnete in den Bundestag eingezogen.
Mit dem neuen Wahlrecht fallen insbesondere Überhang- und Ausgleichsmandate weg. Die Sitzverteilung orientiert sich zwar in erster Linie weiterhin am Anteil der erzielten Zweitstimmen. Direktmandate, die über die Zweitstimmendeckung hinausgehen, finden bei der Sitzverteilung jedoch künftig keine Berücksichtigung mehr.
Das heißt: Auch prominente Kandidaten können trotz ihres Erfolgs im Wahlkreis leer ausgehen, wenn ihre Partei in dem jeweiligen Bundesland zu wenige Zweitstimmen erhält. Prognosen zufolge dürfte das bei der anstehenden Bundestagswahl bis zu 19 Wahlkreise in Deutschland treffen. Die Grundmandatsklausel bleibt allerdings erhalten: Kleinere Parteien, die bundesweit mindestens drei Direktmandate gewinnen, bekommen selbst dann Sitze nach ihrem Zweitstimmenergebnis zugeteilt, wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen.
Ein entscheidender Faktor für den Wahlausgang dürfte vor allem sein, wie viele Menschen tatsächlich von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Die Wahlbeteiligung lag bei der Bundestagswahl 2021 bei 76,6 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass fast ein Viertel der Wahlberechtigten auf eine Teilnahme verzichtete. Das ungenutzte Einflusspotenzial ist enorm.