Wenn enge Familienmitglieder plötzlich nicht mehr miteinander sprechen, geht es oft ums Erbe, um viel Geld und Immobilien. Dabei ließen sich solche Erbstreitigkeiten vermeiden.
"Das Verhältnis zu meinem Bruder ist vergiftet", sagt Anika. "Wenn Sie mit Ihrer Schwester nur noch über den Anwalt reden, dann kann das nicht gut sein. Ich finde das ein bisschen traurig", sagt Thorsten. Er und Anika sind Geschwister, gemeinsam mit Bruder Folker haben sie nach dem Tod der Eltern das Haus geerbt, 512 Quadratmeter Wohnfläche, auf 2,7 Hektar Land. Derzeit gehört jedem der Geschwister ein Drittel des Hauses.
Im Mai 2017 starb erst der Vater der drei Geschwister, im November 2023 dann überraschend die Mutter. "Meine Eltern haben ein Berliner Testament angelegt. Das war 1982", erzählt Thorsten. Ein Berliner Testament nennt sich ein spezielles Testament für Ehepartner: Stirbt der eine, erbt der andere alles. "Ein Berliner Testament ist für Eheleute typisch, um sich gegenseitig abzusichern", erklärt Jan Bittler, Geschäftsführer bei der Deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge (DVEV).
Einigen sich beide Eheleute auf ein solches Testament, dann könne man das auch nur gemeinsam wieder ändern, erklärt der Experte. "Das gilt grundsätzlich auch im Todesfall: Stirbt ein Ehepartner und haben die Eheleute ihre Kinder zu Schlusserben eingesetzt, kann der Längerlebende nach dem Tod des Anderen das Testament grundsätzlich nicht mehr ändern."
Erbengemeinschaft ohne klare Regeln
Die drei Geschwister Anika, Folker und Thorsten haben je ein Drittel des Hauses der Eltern geerbt und sind nun eine Erbengemeinschaft. Das heißt, sie müssen sich einigen, was mit dem Haus passieren soll. Doch einig sind sich die drei ganz und gar nicht. "So was zu haben finde ich schon cool", sagt Thorsten. Er will das Haus behalten, seine Geschwister wollen es so schnell wie möglich verkaufen. Ein solcher Fall ist im Testament der Eltern aber nicht geregelt.
"Bei Erbengemeinschaften ist es oft schwierig, wenn einer das Haus behalten will und die anderen nicht. Solche Fälle sollten eigentlich schon vorher klar geregelt werden", betont DVEV-Experte Bittler. Generell rät er: Um Streit zu verhindern, sollten so viele Fälle wie möglich im Testament geregelt sein.
Das ist etwas, dass sich auch die Geschwister gewünscht hätten: "Ich hätte mir von meinen Eltern schon gewünscht, dass die dann auch Passagen aufnehmen, wie das aussieht, wenn zwei das Haus behalten wollen und einer nicht. Oder irgendwelche Regelungen, wie man sich gegenseitig abfindet", so Thorsten. Auch Anika sieht das ähnlich: "Ich würde sagen, das Testament war schwammig geregelt, weil es ja sehr viel Spielraum lässt." Die Eltern hätten den Geschwistern den Streit ersparen können, wenn sie schon zu Lebzeiten klar geregelt hätten, was mit der Immobilie passieren soll - und sie beispielsweise mittels einer Schenkung übertragen hätten.
Erben ohne Testament
Schlimmstenfalls gibt es nicht mal ein Testament. Dann werden in Deutschland Erben anhand der gesetzlichen Erbfolge ermittelt. "Nach dem deutschen Erbrecht erben grundsätzlich nur Verwandte, also Personen, die gemeinsame Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, aber auch noch entferntere gemeinsame Vorfahren haben", informiert das Bundesministerium der Justiz. Aber auch adoptierte Kinder oder Ehepartner sind erbberechtigt.
Allerdings sind nicht alle Verwandten gleichermaßen erbberechtigt: Nach dem deutschen Gesetz sind Erben in "Ordnungen" eingeteilt. Erben erster Ordnung sind dabei Personen, die vom Erblasser abstammen, also Kinder, Enkel, Urenkel. Erben zweiter Ordnung sind die Vorfahren des Erblassers, etwa Eltern und die Geschwister. Erben dritter Ordnung sind die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, also Großeltern, Onkel, Tanten.
Mit Testament kann diese gesetzliche Rangfolge übergangen werden: "Hat der oder die Verstorbene ein Testament hinterlassen, so überlagert dies die Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge. Es erben also nur diejenigen, die im Testament erwähnt werden", heißt es dazu vom Bundesministerium der Justiz.
"Für mich ist das ein Kostengrab"
Im Fall der Geschwister gab es zwar ein Testament, doch klar geregelt war der Fall trotzdem nicht. Nun streiten sie um das Erbe und darum, was damit geschehen soll. Zum letzten Mal haben sich die Geschwister zur Beerdigung der Mutter gesehen, im Dezember 2023. Thorsten eröffnete den Geschwistern damals, dass er Ferienwohnungen in das Elternhaus bauen wolle. "Folker und ich haben ihm gesagt, wir investieren da nicht rein, weil wir nicht der Meinung sind, dass das tragbar ist", so Anika: "Für mich ist das ein Kostengrab."
Im März 2024 bieten Folker und Anika Thorsten ihre Anteile am Haus an - er soll sie abkaufen. Doch darauf geht dieser nicht ein: "Thorsten hat die ersten Angebote, dass er uns auszahlen könnte, würde ich sagen, ignoriert", so Anika. Ihr Bruder begründet das damit, dass seine Geschwister ihm keinen klaren Betrag genannt hätten. Aber er machte auch kein Angebot: "Ich glaube, aus taktischen Gründen - ich dachte mir, wenn die was wollen, müssen die kommen."
Versteigerung des Hauses als letzter Weg?
Ende Mai 2024 bekommt Thorsten dann ein Schreiben vom Amtsgericht, die Schwester hat die Zwangsversteigerung über das Haus beantragt. "Ich habe ein Zwangsversteigerungsverfahren beantragt, damit ich wirklich jetzt so schnell wie möglich rauskomme und dass wir hier einen Abschluss finden", erklärt sie. "Eine sogenannte Teilungsversteigerung ist ein Weg, eine Erbengemeinschaft aufzulösen", erklärt Experte Bittler.
Eine solche Versteigerung ist eine Zwangsversteigerung, die jeder Erbe beantragen kann, "damit eine Erbengemeinschaft nicht ewig besteht", so Bittler. Im Fall von Erbstreitigkeiten ist sie oft das letzte Mittel, um Erbengemeinschaften aufzulösen - allerdings dauern die Verfahren oft lang und sind mit hohen Kosten verbunden, da ein Grundbuchauszug eingeholt werden muss und die Gerichtskosten getragen werden müssen. Das Haus wird dann öffentlich versteigert und der Erlös unter den Erben aufgeteilt - oft ist das allerdings weniger, als man durch den Verkauf der Immobilie erzielen könnte. Bei einer solchen Versteigerung können auch die selbst Erben mitbieten, wenn sie die Immobilie behalten wollen.
Geschwister wollen ausgezahlt werden
Thorsten will nicht bieten, er will die Versteigerung stoppen. Deshalb lässt er den Wert des Hauses von einem Gutachten schätzen: Wenn es unter 200.000 Euro liegt, will er seine Geschwister auszahlen - und sein Elternhaus behalten. Und tatsächlich schätzt der von ihm beauftragte Gutachter das gesamte Erbe, bestehend aus Immobilie und Grundstück auf 120.000 Euro.
Thorsten bietet beiden je 40.000 Euro für ihren Anteil am Erbe an. Doch die Geschwister lehnen ab, finden das Angebot zu niedrig, Folker macht den Geschwistern ein höheres Gegenangebot. Noch ist der Streit nicht beigelegt, die Kommunikation der Geschwister findet über Anwälte statt. "Erben ist für mich ein ganz grusliges Verfahren", sagt Anika: "Der emotionale Stress, auch das ganze Hinterherlaufen, die Bürokratie", all das mache erben für sie unattraktiv. Für Bruder Thorsten ist aber auch klar: "Meine Familie wohnt seit 1772 hier." Das wolle er bewahren, da lohne sich erben auf jeden Fall.