Für schuldig befunden im Schweigegeldprozess, weitere Verfahren standen an. Doch Sonderermittler Smith lässt seine Anklagen gegen Donald Trump fallen. Der hat das System ausgehebelt. Mit seiner Bekanntheit, seinem Geld und seiner Erfahrung.
Donald Trump wird nicht als Angeklagter vor Gericht erscheinen müssen. Nicht wegen des versuchten Wahlbetrugs, mit dem er seine Niederlage gegen Joe Biden 2020 abwenden wollte. Nicht wegen der Geheimdokumente, die er danach kistenweise in seinem Badezimmer und anderswo in Mar-a-Lago bunkerte und stolz herumzeigte. Und auch nicht wegen des Aufstands vom 6. Januar 2021, als ein von ihm angeheizter Mob das Kapitol stürmte und dort unliebsame Politiker jagte. Niemand steht über dem Gesetz? Trump wird US-Präsident. Trump hat Wichtigeres zu tun.
Etwa planen, mit welchen Dekreten er ab 20. Januar die US-Behörden fluten, die Bevölkerung und andere behelligen wird. Strafzölle auf breiter Front einführen, Massenabschiebungen anstoßen, Umweltauflagen aufheben, öffentliche Gelder zusammenstreichen; die Ankündigungen und Möglichkeiten sind zahlreich. Der größte Dorn in Trumps Auge ist das Justizministerium. Dort saß Sonderermittler Jack Smith, der seine Anklagen wegen des Sturms aufs Kapitol sowie der Geheimdokumente nun fallen gelassen und zu den Akten gelegt hat. Es bringt ja nichts mehr. Trump hätte ohnehin alle Beteiligten im Ministerium gefeuert - oder feuern lassen.
Normalsterbliche Angeklagte haben zwei Wege, um eine Verurteilung abzuwenden. Sie können den Richter und die Jury überzeugen, dass die Beweise nicht ausreichen oder sie das Verbrechen gar nicht begangen haben. Trump hatte eine dritte Option, mit der er die Justiz ausgehebelt hat: Zeit. Von Anfang an schmissen seine Anwälte ohne Unterlass ihre Stöcke in die Speichen, um die Prozesse zu verzögern. Er schärfte die Schutzmechanismen für Angeklagte zur Waffe. Trump hat getan, was Trump schon immer getan hat. Jeden Winkelzug ausnutzen, um den maximalen Vorteil für sich herauszuholen.
Völlig verquere Begründung
Der Ex-Präsident wollte wieder ins Weiße Haus, denn hier lag die nächste Waffe, wenn die andere stumpf geworden wäre. Amtierende Präsidenten werden nicht verfolgt. Das Argument dafür ist eine Frage. Wie soll ein Staatschef sonst seine Amtsgeschäfte ausführen? Was für ein obrigkeitshöriger, verquerer Umkehrschluss; die Fragen müssten stattdessen lauten: Sollte ein verurteilter Krimineller und vielfacher Angeklagter trotzdem diese Verantwortung tragen? Eine solch konzentrierte Macht ausüben dürfen, von der auch die Geschicke der restlichen Welt abhängen? Trump hat auf die Präsidentschaft gepokert, also maximal hoch gepokert - und gewonnen.
Wer glaubt, dass Trump zur Rechenschaft gezogen werden sollte, kann nun viele Vorwürfe verteilen. Etwa dem Justizministerium anlasten, dass es zu vorsichtig vorging und erst im Sommer 2023 die Anklagen erhob; Smith also erst eingesetzt wurde, als Trump schon längst seine erneute Bewerbung erklärt hatte. Der Anführer der wütenden Welt konnte damit seine Opferfabel weiterspinnen, während der Sonderermittler und sein Team wegen der nahenden Wahl unter enormen Zeitdruck gerieten.
Wer an Trumps Schuldigkeit glaubt, kann zudem Wählern vorwerfen, dass sie Trump trotz bestehender Verurteilungen für sexuellen Missbrauch, als Krimineller, Wahlbetrüger und Steuerhinterzieher wieder an der Spitze des Landes sehen wollten. Nicht zuletzt den konservativen Obersten Richtern der USA wäre anzulasten, dass sie Trump mit der Superkraft der Immunität ermutigten und ihm damit etwas Weiteres verschafften: noch mehr Zeit.
In sämtlichen Prozessen hätten die unteren Instanzen entscheiden müssen, welche der zahlreichen Anklagepunkte plötzlich nicht mehr verfolgbare Amtshandlungen waren und welche nicht. Damit hat der konservativ dominierte Supreme Court allen künftigen Präsidenten eine enorme Macht zugesprochen. Wer weiß, ob Trump sie missbrauchen wird.
Trump verteilt Belohnungen
Was wäre eine Lehre? Vielleicht diese: Wer genug Geld hat, kann das Justizsystem der USA knechten, die Prozesse mit Anträgen und Anfechtungen in ein Schneckentempo zwingen. Bis zur Ausfahrt. Und nur nebenbei: Währenddessen sitzen rund 450.000 US-Amerikaner wegen Drogenbesitzes, -konsums oder Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung hinter Gittern. Menschen, denen vor Gericht nicht ansatzweise die gleichen Mittel zur Verfügung stehen.
Doch Trump ist mit der neuen Immunität ausgestattet, wird aller Voraussicht nach am 20. Januar als Präsident vereidigt und das Justizministerium unter seiner Fuchtel haben. Der Zynismus dieser Belohnung ist offenkundig. Derjenige, der das System ausgehebelt hat, kontrolliert es in Zukunft.
Trump verteilt bereits die Belohnungen für die erfolgreiche Verzögerungsstrategie: Die nominierte Justizministerin Pamela Bondi verteidigte Trump bei seinem Amtsenthebungsverfahren. Ihre beiden Vertreter sind die Anwälte Todd Blanche und Emil Bove, die ihn unter anderem im Schweigegeldprozess verteidigten. Der vierte in der Rangfolge, der Jurist John Sauer, erstritt Trumps Immunität vor dem Supreme Court. In den Prozessen gegen den künftigen Präsidenten war alles möglich, von Geld- bis zu langen Gefängnisstrafen. Doch vom Justizministerium ist in den kommenden vier Jahren nichts zu erwarten. Es hat bestimmt Wichtigeres zu tun.