Călin Georgescu hat überraschend die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl gewonnen. Dank seiner Tiktok-Strategie. Und womöglich auch mit Hilfe aus Moskau.
Mit ausgebreiteten Armen und im Trachtenhemd reitet er über die rumänischen Felder. Auf seinem weißen Pferd sitzt er fest im Sattel. Die Tiktok-Videos von Călin Georgescu sollten vor der rumänischen Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag wohl mystische Vorstellungen eines von Gott gesandten Führers für Nation und Vaterland heraufbeschwören – und erinnerten in ihrer Bildsprache an Wladimir Putin, den Georgescu immer wieder als großen, weisen Führer bezeichnet. Schließlich hat sich der auch gern auf einem Pferd inszeniert.
Der Mann auf dem Schimmel löste in jedem Fall einen Schock aus in Rumänien. Andere nennen es: ein politisches Erdbeben. Denn der rechtsextreme Georgescu hat die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Rumänien klar für sich entschieden. Der Parteilose kam auf 23 Prozent, die Kandidatin der liberalen Union Rettet Rumänien (USR), Elena Lasconi, belegte mit rund 20 Prozent Platz zwei. Der amtierende Ministerpräsident und Chef der Sozialdemokratischen Partei (PSD), Marcel Ciolacu, der in allen Umfragen als zukünftiger Präsident gehandelt wurde, landete abgeschlagen auf Platz drei.
Călin Georgescu wollte den Nobelpreis gewinnen – dann änderte er sich radikal
Was war da geschehen? Offenbar hatten Meinungsforscher die Wirkung der sozialen Medien nicht einkalkuliert – und damit die Rechnung ohne Georgescu gemacht, der seinen Wahlkampf fast komplett ins Internet verlegt hatte.
Ähnlich unorthodox wie sein Wahlkampf ist der Werdegang des heute 62-Jährigen. Georgescu hatte einst Landwirtschaft studiert, dann eine Militärakademie besucht, schließlich für die Uno und für die rumänische Regierung als Berater in Umwelt- und Ernährungsfragen gearbeitet. Mit seiner Arbeit wollte er die weltweite Nahrungsmittelerzeugung revolutionieren, er war überzeugt davon, dafür eines Tages den Nobelpreis zu erhalten.
2020 dann aber der Wandel. Er schloss sich der rechtspopulistischen AUR-Partei an und erklärte den ehemaligen Diktator Ion Antonescu und den Chef der antisemitischen "Eisernen Garde", Corneliu Zelea Codreanu, zu seinen Helden, durch die er die "nationale Geschichte erlebe". Wegen solcher Äußerungen wurde zwei Jahre später ein Verfahren wegen Volksverhetzung gegen ihn eingeleitet, das jedoch im Sande verlief.
Putin ist für ihn ein "Führertyp"
Georgescu gilt als extrem religiös und nationalistisch. Politisch positioniert er sich gegen die Nato und die EU – und auf der Seite von Wladimir Putin. Im Kremlchef erkennt er einen "Führertyp", der sein Land liebe und es mit "welchen Mitteln auch immer" verteidige. Rumänien hingegen sei nur "eine Kolonie, ein Zulieferer von Rohstoffen und Arbeitskräften". Die Regierung in Bukarest sei ein "Bittsteller in Brüssel oder Washington" geworden, die "Unterwürfigkeit der aktuellen Führungskräfte" vor allem den USA gegenüber widere ihn an. Für den russischen Überfall auf Rumäniens Nachbarland Ukraine macht er nicht Moskau verantwortlich – sondern die Interessen amerikanischer Rüstungskonzerne. Putin zeige, dass er sein Land liebe, sagte Georgescu und fügte hinzu, dass Rumänien etwas russische Weisheit gebrauchen könne.
Unter den ehemals kommunistischen Staaten Europas war Rumänien stets einer der skeptischeren gegenüber Moskau, aber Georgescus Begeisterung für Putin scheint seine Wähler nicht gestört zu haben.
Tiktok statt TV-Duell
Seine auch in Rumänien unkonventionellen Positionen vertritt er mit ebenso unkonventionellen Mitteln. Er nahm an keinen größeren TV-Debatten teil, wurde von keiner Partei gestützt und gab laut eigenen Angaben kein Geld für seine Kampagne aus. Stattdessen sagte er: "Wir sind in Gottes Hand." Da er keine eigene Wahlkampfzentrale hatte, warteten Reporter nach seinem überraschenden Sieg am Sonntag vor seinem Haus. Seine Pressekonferenz übertrug er via Facebook. Dort sprach er von einem "Erwachen" des rumänischen Volkes.
Ähnlich wie bei anderen rechten Politikern in Europa, etwa beim französischen Marine-Le-Pen-Zögling Jordan Bardella oder bei Nigel Farage in Großbritannien, lässt sich der Erfolg von Georgescu vor allem durch sein Auftreten auf Tiktok erklären. Erst vor rund zwei Jahren hat er sein erstes Video hochgeladen, seitdem nutzt er die Plattform für seine politischen Botschaften. In den einfach produzierten Videos, die dieser Tage oft mehrere Millionen Views erzielen, postuliert er klare, mit Schlagworten versehene Aussagen, dazu gibt es im Hintergrund Musik.
Die klassischen Medien ignorierten ihn weitestgehend. Erst kürzlich sagte er selbst in einem Video, dass das Internet der einzige Ort sei, an dem man frei seine Meinung äußern könne. Seinen rund 400.000 Followern präsentiert er oft mehrere Videos pro Tag. Größenteils sind das Ausschnitte von Gesprächen oder Diskussionen, die mit bunten Untertiteln und Smileys unterlegt sind. So bringt er seine Thesen für mehr Nationalstolz und weniger USA-Hörigkeit auch unter die Jugend.
Großer Erfolg bei Rumänen in Deutschland
Gleichwohl lässt sich der Erfolg nicht nur durch die jungen Wähler auf Tiktok erklären. Die Journalistin Ioana Ene Dogioiu erklärt sich den Siegeszug auch mit dem ausgeprägten Analphabetismus in großen Teilen der Bevölkerung – und mit Georgescus Ansatz, die eigene Geschichte zu mystifizieren.
Zudem konnte er die rumänische Diaspora für sich gewinnen, insbesondere in Deutschland. Von den rund 150.000 Wahlberechtigten hierzulande stimmten 58 Prozent für den Außenseiter. Auch in Großbritannien, Italien und Spanien konnte er rund die Hälfte der Stimmen der Auslandsrumänen auf sich vereinen. Das Narrativ, dass Rumänien durch böse Ausländer ausgebeutet wurde, verfängt offenbar besonders in der Diaspora, bei Menschen, die im Ausland schlecht bezahlte Jobs haben und sich eine Traumheimat imaginieren.
Rumänische Social-Media-Experten vermuten, dass hinter Georgescus überraschendem Erfolg auch russische Hilfe stecken könnte, um das bislang klar pro westliche Rumänien zu destabilisieren. Während des Wahlkampfes waren Accounts mit Bot-ähnlichem Verhalten in den Kommentarspalten zu seinen Videos auf YouTube, Facebook und Tiktok aktiv und griffen dort auch seine Kontrahenten an.
Rumänien gilt als eines der ärmsten Länder Europas und grenzt im Norden an die Ukraine. Sollte Georgescu die Stichwahl am 8. Dezember für sich entscheiden, dürfte das auch die rumänische Außenpolitik radikal verändern. Die EU hätte dann neben Viktor Orbán einen weiteren Machthaber in Südosten Europas, der weniger in Moskau einen Feind sieht als in Brüssel.