Thomas Silberhorn, Sprecher der Unionsfraktion für transatlantische Beziehungen, hat Kontakte zu beiden Parteien im US-Kongress. Im Interview in Chicago zeigt er sich optimistisch, dass die USA und Europa ein gemeinsames Interesse daran haben, Putin in der Ukraine zu stoppen - selbst wenn Donald Trump gewinnen sollte. Im Fall der Fälle müsse Europa unter der Führung Deutschlands in die Bresche springen. Der Schlüssel sei eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit, um sich unabhängiger von China zu machen.
Herr Silberhorn, Sie waren sowohl beim Parteitag der Republikaner, als auch der Demokraten in Chicago. Weshalb?
Ich bin für meine Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag der Sprecher für transatlantische Beziehungen. Wir sind parteiunabhängig interessiert an stabilen, vertrauensvollen Kontakten zu allen wichtigen Entscheidungsträgern in den USA. Die Republikanische Partei steht programmatisch der CDU/CSU näher als die Demokraten. Aber der Stil, der unter Donald Trump eingezogen ist, der sich selbst als Dealmaker versteht, ist jetzt nicht die Art und Weise, wie wir Politik in Deutschland oder Europa machen. Und umgekehrt darf man die Demokratische Partei in den USA nicht einfach als sozialdemokratisch verstehen. Das sind sie nicht.
Wie ordnen Sie Kamala Harris denn ein?
Sie hat deutlich darauf hingewiesen: Ihr Ziel ist, dass die Bürger selbst Entscheidungen treffen können und die Regierung nicht überall hineinregiert. Insofern würde ich die Demokraten als linksliberale Partei einschätzen, also schon links der Mitte, aber vor allem liberal. Das ist etwas, was die Gesellschaft hier in den USA zusammenhält.


Thomas Silberhorn ist transatlantischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag und war sowohl beim Parteitag der Republikaner als auch der Demokraten vor Ort. (Foto aus dem Jahr 2022)
(Foto: picture alliance / Alexander Schuhmann)
Vor acht Jahren wurde Deutschland vom Wahlsieg Trumps auf dem falschen Fuß erwischt, um es vorsichtig auszudrücken. Knüpfen Sie dieses Mal Kontakte für eine mögliche republikanische Präsidentschaft?
Jetzt ist die Zeit, die bestehenden Kontakte zu pflegen, auch die Augen offenzuhalten wie hier vor Ort und neue Kontakte zu knüpfen. Momentan sind viele unterwegs, die bei diesen Wahlen mit ihrem Präsidentschaftskandidaten gewinnen und in einer neuen Position dabei sein wollen. Diese Personen sind sehr aufgeschlossen für Gespräche. Danach wird das alles etwas enger, wenn man dann in einem Amt ist, dann kümmert man sich um seine Aufgabe und hat vielleicht für andere nicht mehr so viel Zeit. Deswegen ist es gut, präsent zu sein. Ich habe eine Reihe von Kontakten zu Abgeordneten und Senatoren sowohl der Republikaner als auch der Demokraten.
Welches Wahlergebnis im November halten Sie für besser angesichts der deutschen Interessen?
Wir müssen mit jedem Wahlausgang zurechtkommen und uns auf beide möglichen Varianten vorbereiten. Unsere Hauptinteressen liegen in der Außenpolitik und in der Wirtschaftspolitik. Wir sind stark auf Exporte angewiesen. Unser Wohlstand hängt davon ab, dass die Produkte, die in Deutschland hergestellt werden, nicht nur bei uns verkauft werden, nicht nur im europäischen Binnenmarkt, sondern weltweit, auch in den USA. Deswegen wollen wir einen starken transatlantischen Handel und keine neuen Zölle.
Und in der Außenpolitik? Da gäbe es voraussichtlich gehörige Spannungen im Falle eines Trump'schen Wahlsiegs. Der Umgang mit China, mit Autokraten, mit dem Krieg in der Ukraine, der NATO.
Wir müssen uns um diese großen Themen gemeinsam kümmern. Wir teilen als Demokratien, als freie Gesellschaften gemeinsame Werte und sehen, dass autokratische Staaten von Russland bis China, von Iran bis Nordkorea mit einem ganz anderen Programm unterwegs. Da wird Propaganda und Desinformation gegen uns betrieben. Wir sind Gegenstand von Cyberattacken, in Deutschland aus Russland, in den USA aus dem Iran. Man sieht uns dort als Gegner und nicht als Wettbewerber oder Partner. Deswegen müssen die Demokraten weltweit zusammenhalten.
Wünschen Sie sich Trump oder Harris?
Die Demokraten fahren einen Kurs, der uns etwas näher liegt. Die Republikaner sind unter Donald Trump in eine Richtung unterwegs, die mehr Protektionismus im Handel und mehr Isolationismus in der Außenpolitik bedeuten würde. Das liegt nicht in unserem deutschen und europäischen Interesse. Deswegen ist eine unserer Botschaften beispielsweise in der Außenpolitik: Ihr könnt nicht einfach sagen, dass ihr euch jetzt um China kümmern müsst und Russland ein Problem für Europa wäre. China und Russland arbeiten eng zusammen. China liefert Halbleiter für russische Waffen. Chinesische Soldaten trainieren zusammen mit russischen Soldaten in Belarus und bei Alaska. Hier gibt es eine Allianz von Autokraten. Deswegen ist eine unserer Botschaften in die USA: Wenn ihr in der Auseinandersetzung mit China wirklich bestehen wollt, dann müsst ihr die Dinge zusammen denken und mit uns zusammenarbeiten.
China ist für Deutschland aber wirtschaftlich auch sehr wichtig. Wie geht das zusammen?
Wir wollen wirtschaftlich von China unabhängiger werden. Aber dann müssen wir den transatlantischen Handel verstärken. Das ist die zweite wichtige Botschaft, nicht nur in der Außenpolitik, auch in der Wirtschafts- und Handelspolitik. Trump hat ankündigt, nicht nur für China die Zölle erhöhen zu wollen, sondern auch für Europa. Da ist unsere Antwort sehr klar: Nein.
Wie würden Sie möglichen Zollhürden begegnen? Die könnte Trump als Druckmittel einsetzen.
Wir müssen verstehen, dass Donald Trump Angebote erwartet und einen guten Deal machen will. Wenn man ihm nichts anbieten kann, dann hat er andere Interessen. Deshalb muss man sich diesem Stil nicht beugen, aber man muss damit umgehen und für sich klar definieren, wo die eigenen Interessen liegen: Wir haben ein gemeinsames Interesse im transatlantischen Verhältnis, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von autokratischen Staaten, insbesondere China, zu reduzieren. Wir dürfen uns dabei nicht selbst im Weg stehen. Und in der Außenpolitik haben wir ein gemeinsames Interesse, unsere freien gesellschaftlichen Ordnungen zu erhalten.
Trump behauptet, er könne den Ukraine-Krieg im Handstreich beenden und werde die Hilfen einstellen. Wie bereitet sich Deutschland darauf vor?
Das sehe ich so noch nicht. Kamala Harris hat hingegen deutlich gemacht, dass sie die militärische Unterstützung für die Ukraine fortsetzen wird. Das ist auch richtig so. Donald Trump glaubt, dass er einen Deal mit Putin machen kann, um diesen Krieg zu beenden. Alles Weitere ist dann aus Sicht der Republikaner eine europäische Aufgabe, an der sie sich nicht beteiligen wollen, auch nicht finanziell. Ich teile nicht die Euphorie, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine so beendet werden kann.
Wie sehen Sie die Situation?
Putin hat alle Versuche von Verhandlungen entschieden zurückgewiesen. Er akzeptiert ja die Ukraine gar nicht als Verhandlungspartner. Für ihn ist die Ukraine kein souveränes Land und gibt es noch nicht einmal ein ukrainisches Volk. Aus seiner Sicht gibt es also niemanden, mit dem er verhandeln könnte. Er will offenbar versuchen, auf Augenhöhe mit den USA Gespräche zu führen, sozusagen über die Köpfe der Ukraine hinweg. Und ich füge hinzu, auch über die Köpfe der Westeuropäer hinweg. Das ist ein Punkt, an dem wir den USA sagen: Ihr müsst schon mit uns auch reden, wenn ihr mit Putin sprechen wollt. Es geht auch um unsere Zukunft, unsere Sicherheit in Europa. Wenn Putin versucht, mit militärischer Gewalt die Grenzen in Europa zu verschieben, dann müssen wir ein gemeinsames Interesse daran haben, das zu verhindern.
Und wer stoppt Putin?
Die ukrainischen Streitkräfte sind die einzigen, die versuchen, Putin aufzuhalten. Wenn sie die Angriffe nicht abwehren können, dann müssen es irgendwann andere tun. Wenn der Versuch, mit militärischer Gewalt imperialistische Interessen durchzusetzen, in Europa Schule macht, dann kann es weltweit Nachahmer geben. Deswegen ist der Krieg gegen die Ukraine eben nicht nur ein Problem für die Europäer, sondern eine Herausforderung für die gesamte internationale Gemeinschaft. Wenn das Gewaltverbot der Vereinten Nationen geschleift wird, dann gibt es keine internationale Ordnung mehr, die für alle verbindlich ist. Deswegen bin ich persönlich der Auffassung, dass diese Fragen nicht so einfach zu lösen sind, wie Donald Trump und manche Republikaner sich das vorstellen.
Gibt es im Bundestag einen Plan B dafür, was passiert, wenn die USA ihre Ukraine-Hilfen einstellen, obwohl der Krieg noch tobt?
Es braucht Führungskraft in Deutschland und in ganz Europa. Wir müssen europäisch zusammenarbeiten, und Deutschland als das größte und wirtschaftlich stärkste Land in Europa muss da vorangehen. Wir unterstützen die Ukraine mit militärischen Mitteln, damit sie Putin stoppen kann. Wenn sie das nicht mehr kann, wird man Putin immer noch und erst recht aufhalten müssen. Wenn die US-Amerikaner nicht bereit sind, die Ukraine weiter zu unterstützen, was ich noch nicht sehe, dann werden wir alle in Europa in die Bresche springen müssen. Entweder gelingt es der Ukraine, Russland aufzuhalten, oder die Lage wird für uns im demokratischen Europa immer schwieriger und gefährlicher.
Mit Thomas Silberhorn sprach Roland Peters am Rande des Parteikonvents der Demokraten in Chicago