2 months ago

Vertrauensfrage erst im Januar: Deutschlandtempo? Nicht mit Scholz



Der Kanzler hat die Regierung geschrumpft. Um das Machtvakuum zu beenden, ist dringend die Vertrauensfrage im Bundestag nötig. Olaf Scholz könnte sie kommende Woche stellen, doch er macht das lieber am 15. Januar. Dass das viel zu spät ist, stört ihn nicht.

Wer freut sich auch so aufs Wochenende? Einmal kurz von der Krise erholen. In den USA ist in einem Wahlgang, der keine Chance für die Gegenkandidatin ließ, ein offen sexistischer, rassistischer, verurteilter Straftäter zurück in das mächtigste Amt der Welt gehoben worden. Das Weiße Haus wird zum Amtssitz eines rachsüchtigen, notorischen Lügners.

Dies zu einer Zeit, in der ein Moskauer Despot in Europa Grenzen verschiebt, jetzt neu: mit offener Schützenhilfe seines Diktator-Kumpels aus Asien. Dschihadisten definieren eine neue Dimension von Terror, iranische Mullahs und eine rechtsextreme Regierung in Israel träumen davon, sich mal richtig eins aufs Dach zu hauen. In zwei furchtbaren, blutigen Kriegen enden jeden Tag unschuldige Leben. Ein Krieg zwei Flugstunden entfernt von Deutschland, der andere vier.

Liebling, ich hab die Regierung geschrumpft

Am selben Tag, als der unberechenbare Narzisst sich in Amerika vier Jahre Macht sichert, zerhaut in Deutschland die Ampelkoalition eigenverantwortlich ihre Regierungsmehrheit. Ist das eine gute Phase, um als Land mit internationaler Verantwortung ohne handlungsfähige Regierung dazustehen? Moment, mal überlegen…. also wahrscheinlich…. Nein.

Nach allem, was man über jenen Mittwochabend hört, gab es allerdings keine echte Alternative zum Ampel-Aus. Also fairerweise: schlechter Zeitpunkt, aber gekauft.

Nun jedoch steht die nächste Entscheidung an: Wäre es wohl ratsam, die Phase, in der das Land in schwerer See schlecht manövrierbar ist, möglichst kurz zu halten? Diese Wochen, geprägt von taktischen Wahlkampfmanövern, dann kommen Neuwahlen, Sondierungsrunden, Koalitionsgespräche, Regierungsbildung. Wäre es also klug, diese ohnehin lange Phase auf ein mögliches Minimum zu reduzieren? Jetzt nicht vorschnell buzzern, wir lassen uns Zeit…. vermutlich…. Ja.

Was macht Olaf Scholz?

Der Kanzler geht ein doppeltes Risiko ein. In außenpolitisch stürmischen Zeiten entlässt er Deutschland auch innenpolitisch ins Machtvakuum.

Der entscheidende Beschluss über den Haushalt 2025: nun nicht mehr möglich. Ein Gesetz, das die Industrie vor Überlastung durch Netzentgelte schützen soll: liegt auf Eis. Eine Krankenhausreform, ohne die Pflegeversicherungskassen im Februar wohl zahlungsunfähig werden: nicht mehr machbar. Gesetze zu Cyber- und Spionageabwehr: Makulatur. Wenn Donald Trump in vier Wochen mit seinem Ukraine-Deal wedelt: kein Ansprechpartner mit Macht in Berlin.

Klingt 15. Januar etwas spät?

Der erste Schritt, diesen machtlosen Zustand zu beenden, ist die Vertrauensfrage im Bundestag. Scholz gibt als Datum aus: 15. Januar. Klingt irgendwie spät? Findet Friedrich Merz auch. Der Oppositionsführer und CDU-Chef fordert vom Kanzler die Vertrauensfrage in der kommenden Woche, um den Prozess einzuleiten, der Deutschland wieder regierbar macht.

Scholz will das lieber in neun Wochen machen. Wahlen im März, Sondierungen und Koalitionsgespräche dann wohl im April. Der Blick nach Sachsen zeigt: Solche Verhandlungen können auch scheitern - wenn die Beteiligten inhaltlich nicht zusammenkommen. In Sachsen fangen sie jetzt wieder bei Null an, die Wahlen liegen zwei Monate zurück.

Niemand kann heute seriös vorhersagen, wie lange es dauern wird, ein neues Regierungsbündnis für Deutschland zu schmieden. Olaf Scholz aber ist offenbar entspannt. Diejenigen, die seinen Kurs öffentlich vertreten, begründen die späte Vertrauensfrage damit, dass die Vorgänge geordnet ablaufen sollen. Die Verwaltung braucht Zeit, um das Prozedere für die Wahlen anzuschieben, und: Der Kanzler will auch noch wichtige Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen. Haushalt, Netzentgelte, Krankenhausreform, Sicherheit…. siehe oben.

Scholz verbaut sich selbst den Weg

Bloß, mit seinem Beharren auf dem Termin 15. Januar verbaut sich Scholz exakt diese Chance, noch wichtige Gesetze auf den Weg zu bringen. Denn dafür bräuchte er die Stimmen der Opposition. Merz stellt für eine Zusammenarbeit jedoch eine Bedingung. Erst die Vertrauensfrage vorziehen, dann kann man reden. Für eine verschleppte Konkursanmeldung will er nicht herhalten. Und diese Haltung ist nachvollziehbar.

So manövriert der Kanzler sein Land in etwa sechs Monate ohne handlungsfähige Regierung. Womöglich kommt keines der vorbereiteten Gesetze auf den Weg. Scholz aber kann darauf hoffen, dass ihm die Bürgerschaftswahlen in seiner Heimatstadt Hamburg am 2. März noch irgendeine Form von Schub geben. Dieses Kalkül vermuten viele hinter seiner Terminwahl.

Ein übereilter Wahltermin wäre gefährlich. Der Verwaltungsaufwand ist nicht zu unterschätzen, das macht die Bundeswahlleiterin in einem Brief an den Kanzler deutlich. Aber für die Vertrauensfrage, die am Anfang des ganzen Prozesses steht, ist kein Aufwand nötig. Ihre Symbolkraft schwindet mit jedem Tag, den Scholz verstreichen lässt.

Der Bundeskanzler ohne Macht hätte in diesen schwierigen Tagen die Chance, ein staatsmännisches Signal zu senden: Als Regierungschef die Verantwortung zu übernehmen für das Scheitern seiner Koalition und die unsichere Phase für das Land so schnell wie möglich zu beenden. In beiden Punkten hat sich Olaf Scholz anders entschieden. Deutschlandtempo? Das gibt es, wenn die Energiewirtschaft ein LNG-Terminal hochzieht. Deutschlandtempo für dringende Neuwahlen? Muss man vom Kanzler nicht erwarten.

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