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USAID-Entwicklungshilfe: Trumps Zahlungsstopp bedroht die Weltgesundheit: "Alle haben Angst!"



Aids, Polio, Hepatitis: Krankheiten, die auch dank der USAID-Hilfen fast besiegt waren, könnten sich wieder ausbreiten – wer glaubt, dass uns das nicht betrifft, irrt gewaltig.

"Alle haben Angst", sagt Finn Jarle Rode, seine Stimme bebt am Telefon. "Das hier ist ein Wendepunkt, und ich glaube nicht, dass wir bald beheben können, was gerade zerstört wird." Der Direktor des "Hepatitis Funds" sitzt in Genf, dort wo etliche Hilfsorganisationen angesiedelt sind. Sie alle haben gerade nur eines im Kopf: überleben. 

Die USA waren bisher der größte Zahler für die Weltgesundheit – unter US-Präsident Donald Trump jedoch nicht mehr. Anfang Februar setzte er die Zahlungen der US-Behörde für Entwicklungshilfe, USAID, aus. Nun hat das Oberste Gericht des Landes festgelegt, dass Trump die Gelder nicht so einfach einfrieren darf – die Entscheidung kann er aber anfechten, womöglich ein langwieriger Rechtsstreit. Dabei fehlt das Geld schon jetzt an allen Ecken.

Finn Jarle Rode sagt, bei Hilfsorganisationen herrsche der "Survival Modus". "Jeden Tag rufen mich jetzt Ärzte und Krankenschwestern aus der ganzen Welt an, die nicht nur Angst um ihr eigenes Gehalt haben, sondern dass die Hilfe vor Ort komplett wegfällt."

Mehr als 600.000 zusätzliche Todesfälle allein in Südafrika

Hilfe etwa für Menschen mit HIV. Noch vor 25 Jahren kam eine Infektion mit dem HI-Virus einem Todesurteil gleich. 2003 dann rief der damalige US-Präsident George W. Bush das Programm PEPFAR (President’s Emergency Plan for Aids Relief) ins Leben, bezahlte damit HIV-Medikamente, baute Kliniken auf und unterstützte Präventionsprogramme. Seit seiner Gründung hat PEPFAR rund 26 Millionen Menschenleben gerettet. Das Geld fällt nun weg – für HIV-Infizierte in aller Welt ein Todesstoß. Mit jedem Tag, an dem PEPFAR jetzt nicht arbeiten kann, erhalten etwa 220.000 Menschen nicht ihre dringend benötigte Behandlung, darunter mehr als 7000 Kinder, schätzt die Organisation Amfor.

Linda-Gail Bekker, HIV-Wissenschaftlerin an der University of Cape Town, macht zusammen mit ihren Kollegen eine dramatische Rechnung auf: Wenn die PEPFAR-Mittel nicht ersetzt werden, könnte es in Südafrika bis 2034 rund 565.000 zusätzliche HIV-Neuinfektionen und 601.000 weitere Todesfälle durch das Virus geben, schreiben die Forscher in den "Annals of Internal Medicine".

"Wenn die Menschen keine Medikamente mehr bekommen, die das Virus in Schach halten, werden sie in großem Stil daran sterben", sagt auch Olaf Müller, Professor für Global Health in Heidelberg. "2004, zu den dunkelsten Zeiten der Aids-Epidemie, gab es in einem Jahr 2,1 Millionen Aids-Tote." Das ist jedoch nicht der einzige Punkt, der dem Experten Sorgen macht. "Wir werden Resistenzentwicklungen sehen, die unsere Medikamente unbrauchbar machen können." Und das würden irgendwann auch Patienten in anderen Ländern zu spüren bekommen, deren Therapien plötzlich nicht mehr wirkten. Allein in den USA seien das mehr als eine Million Menschen.

Das passiert, wenn Impfungen nur kurzzeitig ausgesetzt werden

Der wohl häufigste Denkfehler, wenn es um den USAID-Zahlungsstopp geht: Er trifft nicht nur abgelegene Dörfer in Entwicklungsländern – sondern auch alle westlichen Länder. Finn Jarle Rode, der die weltweit verbreiteten Hepatitis-Viren bekämpft, sagt: "Das wird auch alle die einholen, die denken, diese Weltregionen haben mit uns nichts zu tun. Die Krankheitswellen werden bald Europa erreichen."

Selbst fast schon besiegte Krankheiten wie Polio könnten wieder aufflammen. Dabei hatte der Siegeszug gegen die furchterregende Krankheit sogar einst in den USA begonnen. Als der Amerikaner Jonas Edward Salk vor ziemlich genau 70 Jahren als Erster einen funktionierenden Impfstoff gegen die gefürchtete Poliomyelitis (Kinderlähmung) entwickelte, wurde er als Held gefeiert. Schlagartig sank die Erkrankungsrate in den USA um über 80 Prozent. 1988 setzte sich die Weltgesundheitsorganisation WHO das Ziel, Polio komplett auszurotten. Geberländer wie die USA investierten mehr als 20 Milliarden US-Dollar in die dafür gegründeten Global Polio Eradication Initiative (GPEI). Der Weltgemeinschaft gelang es, Polio an den Rand der Ausrottung zu bringen. Die Zahl der Poliofälle ging um mehr als 99 Prozent zurück, 1,5 Millionen Leben wurden gerettet, 20 Millionen Menschen, die sonst gelähmt gewesen wären, können laufen.

Ohne USAID: Kommt Polio zurück?

Was passiert, wenn diese Impfungen nur kurzzeitig ausgesetzt werden, lässt sich vor allem in Kriegsgebieten beobachten. Während Syriens Bürgerkrieg 2011 wurden bald auch die ersten Polio-Infektionen gemeldet. In Nigeria kam Polio zurück. In Jemen und auch im Sudan. Im vergangenen Sommer war es schließlich in Gaza so weit: Als Mitte August ein Baby an Polio erkrankte, starteten die besorgten Hilfsorganisationen eine großangelegte Impfkampagne für Hunderttausende Kinder. Denn jedes Aufflackern der Krankheit kann dazu führen, dass sich das Virus auch in anderen Ländern verbreitet.

Selbst Deutschland ist nicht gefeit vor einem Ausbruch. Mehr als zwanzig Prozent der Zweijährigen hierzulande sind nicht ausreichend geschützt: Diese Kinder haben auch nach 24 Monaten nicht alle drei vorgesehenen Impfungen erhalten.

Alles dreht sich nun um eine entscheidende Frage: Wie können wir verhindern, dass medizinische Errungenschaften, die Abermillionen Menschenleben gerettet haben, binnen weniger Monate zunichtegemacht werden?

Klar ist: Die Lücken, die Trumps Geld-Stopp in die Entwicklungshilfe gerissen hat, müssen gestopft werden. Sollten die USAID-Zahlungen trotz Rechtsstreits ausbleiben, können die betroffenen Länder sie kaum allein ausgleichen. Etwa 85 Prozent der Gelder aus den USA für die globale Gesundheit flossen in Programme für afrikanische Länder. 2023 war Äthiopien der größte Empfänger von USAID-Mitteln in Afrika (1,37 Milliarden US-Dollar), gefolgt von Somalia (973 Millionen US-Dollar). Auf dem dritten Platz lag die Demokratische Republik Kongo (943 Millionen US-Dollar). Plötzlich selbst zahlen? So etwas geht nicht von heute auf morgen. In Somalia etwa machte die US-Hilfe bisher 25 Prozent des gesamten Staatshaushalts aus. In Tansania finanzierten die USA den Großteil der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Außerdem geht es längst nicht nur um Geld allein: Hilfsprogramme wie USAID unterstützten auch logistisch, sandten technisch geschulte Mitarbeiter, organisierten humanitäre Flugeinsätze, lieferten Medikamente zu vergünstigten Preisen. Selbst wenn eines der betroffenen Länder plötzlich mehr Geld hätte, könnte es Medikamente wohl nicht mehr zu den niedrigen Preisen kaufen. Neue Strukturen aufzubauen, dauert oft Jahre. 

Nach den USA ist es vor allem Deutschland, das weltweite Hilfe mitfinanziert. Doch statt Ausgaben zu erhöhen, ist die Bundesregierung gerade auf Sparkurs: So entschied sie im vergangenen Jahr, das Budget für humanitäre Hilfe für 2025 zu halbieren. 

Chinas Interesse an Afrika

Auch andere europäische Länder entscheiden in ähnlicher Weise: Großbritannien kürzte sein Hilfsbudget zuletzt um 40 Prozent, Frankreich um 37 Prozent. Die Niederlande um 30 – man wolle die Mittel auf Projekte umleiten, die "direkt den niederländischen Interessen dienen", hieß es. Weniger Auslandshilfen, stattdessen oft mehr Geld für Verteidigung. Insgesamt fehle das Geld, um alle finanziellen Lücken zu füllen, die die USA hinterlassen haben, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in einem Interview des Nachrichtenagentur-Netzwerks enr. Doch unter einer Bedingung will die EU wegfallende Zahlungen in ausgewählten Fällen ausgleichen: Die Empfänger sollen deutlich zeigen, dass sie von der EU unterstützt werden. Hilfe im Tausch gegen geopolitische Macht also. So macht es auch China. 

"In diese Lücke, die die USA jetzt hinterlassen, geht China jetzt natürlich gern hinein", sagt Global Health-Professor Olaf Müller. "Das Land erhofft sich bessere Bedingungen für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern des afrikanischen Kontinents." Auf dem Weg zur Supermacht ist Entwicklungshilfe für China ein willkommenes "Soft-Power"-Instrument. Schon jetzt finanziert das Land Infrastrukturprojekte in afrikanischen Ländern – am liebsten in jenen mit strategischen Häfen oder Materialreserven. Die Schablone für strategisches Helfen haben die USA selbst geliefert: USAID wurde mitten im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion gegründet. 

Eine andere Möglichkeit: private Initiativen. Einer der größten Geldgeber ist die Gates Stiftung, gegründet von Microsoft-Milliardär Bill Gates. 2023 waren es 1,86 Milliarden US-Dollar, die der Philanthrop bereitgestellt hat. Auch mit USAID arbeitete seine Stiftung zusammen, finanzierte unter anderem Gesundheitsforschung und die Impfallianz Gavi. Erst kürzlich versuchte Gates Trump bei einem Treffen vom Zahlungsstopp abzubringen. Die Stiftung hat bereits davor gewarnt, dass sie die Lücke nicht schließen kann, die USAID hinterlässt. 

Was, wenn eine Pandemie kommt? 

"Keine Stiftung und kein Zusammenschluss von Stiftungen kann die finanziellen Ressourcen, die Arbeitskraft, das Fachwissen oder die Führungsrolle bieten, die in der Vergangenheit von den Vereinigten Staaten bei der Bekämpfung tödlicher Krankheiten und bei der Eindämmung von Hunger und Armut in der Welt bereitgestellt wurden", sagt Rob Nabors, Nordamerika-Direktor der Gates Stiftung, dem stern.

Wie verheerend der Rückzug der USA aus der globalen Gesundheitsversorgung ist, könnte sich sehr viel schneller zeigen, als uns lieb ist. "Was, wenn uns dieses Vogelgrippevirus in die nächste Pandemie mit Millionen Todesfällen führt?", fragt sich Müller. "Dann muss die Welt ordentlich zusammenhalten und an einem Strang ziehen. Mit den USA von heute, die aus der WHO ausgestiegen sind, wird das nicht funktionieren."

Die Weltgesundheit – das zeigt sich immer stärker – gleicht einem fragilen Gebilde. Ob sich der Dominoeffekt noch aufhalten lässt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die neue Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verpflichtet die Trump-Regierung nicht dazu, sofort Zahlungen für Auslandshilfe zu leisten. Sie ebnet aber den Weg, diese Zahlungen zu erzwingen. Das dürfte vielen Betroffenen zumindest etwas Hoffnung geben.

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