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US-Politologe wägt Szenarien ab: "Anscheinend bricht unser System zusammen"



In den USA wird derzeit vieles infrage gestellt, was seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als selbstverständlich galt. Präsident Donald Trump und seine Regierung fordern die Gewaltenteilung heraus, wollen unter anderem die Behörden nach ihrem Gusto umkrempeln und die Macht aufs Weiße Haus konzentrieren. Verfolgen sie diesen Weg konsequent weiter, sieht der Politikwissenschaftler Kenneth Lowande die Demokratie enden. Selbst wenn das nicht geschieht - das politische System werde nie wieder so sein wie vorher, meint er.

ntv.de: Dr. Kenneth Lowande, Sie wissen, wie US-Präsidenten ihre Macht einsetzen, haben ein Buch darüber geschrieben. Was für ein Staatschef ist Donald Trump aus Ihrer Sicht?

Kenneth Lowande: Es gibt Ähnlichkeiten zwischen ihm und den letzten Präsidenten vor ihm. Sie gehen häufig mit Dekreten vor und nutzen mehrdeutig auslegbare Gesetze des Kongresses aus, um mit ihren Prioritäten zu regieren. Das ist ganz normal. Es ähnelt Trumps erster Amtszeit und allen anderen Präsidenten zu meinen Lebzeiten. Diesmal anders ist der Stil, die Art und Weise, wie er Dekrete einsetzt. Er geht insgesamt aggressiver vor. Trump gibt im Grunde grünes Licht für alles, weil er und die Regierung das Tempo halten wollen, damit alles so schnell wie möglich geschieht: Flood The Zone (Um die Ziele zu erreichen, sollen die gesellschaftlichen Widerstände mit der schieren Masse an Maßnahmen und Informationen überspült werden, Anm. d. Red.).

Welche Folgen beobachten Sie?

Politikwissenschaftler Kenneth Lowande lehrt und forscht an der University of Michigan. In seinem Buch "False Front. The Failed Promise of Presidential Power in a Polarized Age" beschäftigt er sich damit, wie US-Präsidenten ihre Macht eingesetzt haben. Politikwissenschaftler Kenneth Lowande lehrt und forscht an der University of Michigan. In seinem Buch "False Front. The Failed Promise of Presidential Power in a Polarized Age" beschäftigt er sich damit, wie US-Präsidenten ihre Macht eingesetzt haben.

Politikwissenschaftler Kenneth Lowande lehrt und forscht an der University of Michigan. In seinem Buch "False Front. The Failed Promise of Presidential Power in a Polarized Age" beschäftigt er sich damit, wie US-Präsidenten ihre Macht eingesetzt haben.

(Foto: University of Michigan)

Erstens kontrollieren sie damit vollständig die Medienberichterstattung. Wenn man gerade amerikanische Zeitungen liest, dann ist es, als gäbe es nichts anderes. Der Nachteil ist, dass viele dieser Aktionen nicht durchdacht waren. Sie haben offensichtlich einige der Konsequenzen nicht bis zum Ende durchgespielt und viele Fehler gemacht. Doch die meisten Aktionen ziehen Schlagzeilen nach sich, die Trumps Anhängern gefallen. Wie zum Beispiel die Abschiebung von Einwanderern nach Guantánamo. Das kostet zwar viel mehr, als sie hier in Haftanstalten unterzubringen, aber es lässt ihn so aussehen, als wäre er hart in Sachen Einwanderung. Zweitens sind viele der Dekrete so konzipiert, dass sie illegal sind, also bewusst gegen Gesetze verstoßen. Sie verbreiten damit eine andere Vorstellung davon, was der Präsident der Verfassung und den Gesetzen zufolge tun darf.

Hat sich Trump radikalisiert?

Trump hat während seiner ersten Amtszeit bereits geglaubt, dass er in der Lage sein sollte, zu feuern, wen er will. Er hat immer geglaubt, dass das Recht auf US-Staatsbürgerschaft bei Geburt schlecht ist. Er war auch früher der Ansicht, dass Auslandshilfe schlecht ist und es ihm erlaubt sein sollte, die Behörde abzuschaffen. Der Unterschied diesmal ist, dass Trump und seine Berater beschlossen haben, dass sie es einfach machen, und zwar so lange, bis andere ihn stoppen.

Was möchten Trump und seine Regierung damit erreichen?

Es gibt unterschiedliche Ziele innerhalb der Regierung. Da ist einmal der politische Aspekt der Öffentlichkeit. Sie wollen sich damit Unterstützung sichern und sich selbst als mächtig darstellen. Einige wollen die Art und Weise ändern, wie Amerika regiert wird. Sie glauben an die Theorie der einheitlichen Exekutive: Demnach soll der Präsident die vollständige Kontrolle über alles haben, was vor sich geht. Ein Chef, der praktisch alles uneingeschränkt tun kann. Die Anhänger dieser Theorie möchten auch den öffentlichen Dienst abschaffen. Sie wollen, dass der Präsident vom Kongress bewilligte Gelder einbehalten darf. Ihr Ziel ist, die seit über 140 Jahren bestehenden Regeln in der amerikanischen Regierung zu verändern.

Hängt das an konkreten Personen? Wer verfolgt diese Ziele?

Der Präsident selbst ist dieser Überzeugung. Er möchte, dass sein Job wie der eines CEOs ist. Ich glaube nicht, dass Trump besonders tiefgehende Gedanken über die Verfassung oder die amerikanische Regierung hat. Ich glaube nicht, dass ihm dieses Vermächtnis wichtig ist. Es geht ihm vor allem um seine persönliche Macht. Es reicht, dass die Theorie existiert und seinem Zweck dient. Russell Vought, der das Office of Management and Budget (Haushaltsbehörde, die direkt dem Präsidenten untersteht, Anm. d. Red.) leitet, glaubt daran. Vizestabschef Stephen Miller glaubt daran. Elon Musk ebenso, er ist ein CEO und meint, dass die Regierung wie ein Unternehmen geführt werden sollte. Dazu kommen Juristen der Regierung und einige Richter, die auch dieser Ansicht sind.

Früher haben Präsidenten ihre Minister und Behördenchefs nominiert, der Senat hat sie bestätigt oder mit einer Ablehnung ein Exempel statuiert, und das Weiße Haus passte sich an. Diese neuen Chefs gestalteten dann die Behörden um. Nun hat sich Trump aber Musk ins Weiße Haus geholt, der mit seinen Leuten durch die Seiteneingänge Washingtons geht, sich in den Behörden installiert, Beamte kontrolliert, umfassende Kündigungen und Drohungen ausspricht. Darf Trump das? Darf Musk das?

Es ist schwierig, Elon Musks Rolle zu definieren. Präsidenten haben auch in der Vergangenheit Berater eingestellt, aber sie hatten eben diese Funktion: Sie gaben Ratschläge, die Präsidenten nahmen sie an oder nicht. Musk hat in DOGE (Department of Government Efficiency, die vom Milliardär angeleitete Behörde, die den Staat schrumpfen soll, Anm. d. Red.) anscheinend die Kontrolle über Staatsbedienstete. Die wurden von den Behörden eingestellt, in die sie entsandt wurden, das ist also völlig legal. Ungewöhnlich ist, dass ihre Aktivitäten von jemandem außerhalb der Regierung geleitet werden. Ich kann nicht wirklich sagen, ob das technisch gesehen erlaubt ist oder nicht, aber es passiert. Vermutlich kann das kein Gericht stoppen, indem es etwa die Auflösung von DOGE anordnet und sagt, dass es rechtswidrig sei. Die Regierung würde das einfach umgehen, indem sie eine neue Behörde gründet.

Ohne jegliche Kontrolle.

Bislang nicht, und das ist unverantwortlich. Falls sie Fehler machen, ist der Schaden angerichtet. Sie frieren Regierungsprogramme ein, zahlen Geld nicht aus, machen die IT-Systeme verwundbar. Es ist viel schwieriger, das Chaos aufzuräumen, als es zu verursachen.

Wie kann das sein? Funktionieren die bestehenden Kontrollen in der Gewaltenteilung nicht mehr? Der Kongress, die Justiz?

Nein, sie arbeiten nicht so, wie sie sollten. Die Gerichte treffen zwar Entscheidungen, aber sie selbst können diese Urteile nicht durchsetzen. Das System ist so angelegt, dass die Exekutive zulassen muss, von den anderen Gewalten kontrolliert zu werden. Sie muss zulassen, dass andere ihr sagen, dass sie Dinge nicht tun darf, selbst den Beschlüssen des Kongresses und Gerichtsanordnungen folgen. Aber dies ist eine Regierung, die entschlossen ist, all dies in vielen Fällen zu ignorieren. Funktionieren die Kontrollen? Nein. Das ist nicht ungewöhnlich - es liegt insbesondere an der Exekutive, die sich nicht zwingen lassen will.

Üblicherweise besetzt eine neue Regierung etwa 4000 politische Posten neu. Es gibt aber rund 2 Millionen Staatsbeschäftigte, die bleiben. Wer im Weißen Haus sitzt, ist zweitrangig. Musk und Trump versuchen mit allen Mitteln, diese neutralen Beschäftigten herauszuekeln, Ministerien und Behörden zu schrumpfen oder gar ganz einzustampfen. Was geschieht da?

Nicht nur für die Macht des Präsidenten, sondern aller Politiker sind die Staatsbediensteten eine weitere Kontrollinstanz. Sie haben wichtige Funktionen, die Politikern ein Dorn im Auge sind. Sie veröffentlichen etwa die Inflationsdaten und anderes. Sie können ohne die Gefahr, entlassen zu werden, sagen: Nein, das werde ich nicht ausführen, weil es gegen das Gesetz verstößt. Die neue Regierung ist jedoch der Ansicht, Trump solle feuern oder einstellen dürfen, wen er will. Sie haben praktisch entschieden: Ich entlasse jeden, der nicht meinen Anordnungen folgt. Es wäre eine radikale Veränderung. Das bestehende System, wie es seit 140 Jahren funktioniert, wäre in dieser Logik verfassungswidrig.

Diese Beschäftigten arbeiten nicht nur in Ministerien, sondern auch in Behörden, die vom Kongress als unabhängig gegründet wurden, eben damit das Weiße Haus keine Macht über sie hat. Welche Gefahren sehen Sie?

Die Machtkonzentration in den Händen sehr weniger Personen macht die Regierung ineffektiv. Das zuvor unabhängig agierende humanitäre Hilfsprogramm USAID soll angeblich als Teil des Außenministeriums weitergeführt werden. In den Behörden sitzen schlaue Leute, die gut in ihrem Job sind und nicht für eine Regierung arbeiten wollen, in der sie zufälligen Anordnungen von jemand befolgen müssen, der keine Ahnung von ihrem Bereich hat. Die Expertise der Behörden wird ausgehöhlt. Dies geschieht jetzt schon. Hochrangiges Personal im Finanzministerium etwa oder der Sozialversicherungsbehörde, wahre Grundpfeiler des Staates, haben gekündigt. Sie sind nicht mehr da. Die Gefahr liegt aber nicht nur in der Kontrolle von oben und präsidentieller Macht. Das Risiko von Korruption und anderem schädigenden Verhalten wird größer. Staatliche Daseinsfürsorge, welche die Bevölkerung im Alltag für selbstverständlich hält, wird schlechter. Diese Dinge kommen nicht aus dem Nirgendwo, jemand muss sie erbringen. Das merken die Menschen jetzt noch nicht, weil der Verfall seine Zeit braucht. Aber er kommt.

In welchen Bereichen?

Bei der Flugsicherungsbehörde FAA etwa, die jeder für selbstverständlich hält, wenn er reist. Die Menschen halten es für selbstverständlich, dass die Nationalparks geöffnet sind. Dass die Post ausgeliefert wird. Die Schecks der Sozialversicherung ankommen. Die Medicaid-Zahlungen pünktlich sind (Staatliche Krankenversicherung für einkommensschwache Ältere und Kinder, Anm. d. Red.). Die Regierung bastelt an Systemen herum, indem sie Änderungen in all diesen Behörden von oben anordnen und spielt so mit deren Leistungsfähigkeit. Das ist die Hauptkonsequenz der Ausweitung präsidentieller Macht: Das System funktioniert schlechter.

Vizepräsident J.D. Vance und auch Elon Musk gehen offen die Justiz an. Die Regierung ignoriert gerichtliche Anordnungen, stellt Richter offen infrage oder verlangt sogar ihre Absetzung. Befinden sich die USA in einer Verfassungskrise? Erleben wir einen schleichenden Putsch? Wie würden Sie die derzeitige Situation bezeichnen?

Die Regierung forciert eine Veränderung. Egal, wie dieser Konflikt ausgeht, wir werden danach ein anderes Regierungssystem haben. Es wird von einem ersetzt werden, von dem wir bisher nicht wissen, wie es aussehen wird, da wir uns in der Übergangsphase befinden. Anscheinend bricht unser System zusammen.

Weitergedacht, wie könnte das neue System aussehen?

Ein Szenario wäre, dass die Gerichte alles bestätigen, was die Regierung getan hat. Das wäre eine verfassungskonforme Diktatur. Ich kann mir auch eine Situation vorstellen, in der das Weiße Haus die Gerichtsanordnungen einfach ignoriert. Das wäre eine reine Diktatur. Es gibt auch Szenarien, in der die Regierung den Anordnungen folgt, der Kongress einschreitet oder es zu Massendemonstrationen kommt; es so viel Unzufriedenheit gibt, dass sie einen Rückzieher macht. Die Frage ist aber auch: Will die Regierung all die Verantwortung, die sie für sich beansprucht?

Wie meinen Sie das?

Jedes Mal, wenn ein Präsident ein Dekret unterschreibt, gibt er sich Hausaufgaben. Er könnte auch irgendwann entscheiden, dass es doch keine so gute Idee ist, sich mit allem aus dem Fenster zu lehnen. Die Leute könnten sehen: Oh, das hat er ja gar nicht in Ordnung gebracht. Trump hat beispielsweise eine Kommission gegründet, die Lebensmittelpreise senken sollte. Die Preise sind nicht gesunken, sondern gestiegen, und tun es auch weiterhin.

Wir erleben also eine unumkehrbare Veränderung, oder sogar einen Systemwandel weg von der Demokratie?

Ja, falls die Regierung den derzeitigen Pfad weiter verfolgt, keinen Rückzieher macht und sie bei ihrer Position bleibt. Dann werden wir ein anderes Regierungssystem haben.

Mit Kenneth Lowande sprach Roland Peters

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