In Erfurt tritt der neue Thüringer Landtag erstmals zusammen. Unter der Leitung eines AfD-Abgeordneten soll die Parlamentsspitze gewählt werden - doch schon die Tagesordnung gestaltet sich als schwierig. Die Sitzung wird zum Tauziehen zwischen der AfD und den anderen vier Fraktionen.
Knapp vier Wochen nach der Landtagswahl in Thüringen ist der neue Landtag erstmals zusammengetreten. In der konstituierenden Sitzung soll unter anderem ein neuer Landtagspräsident oder eine -präsidentin gewählt werden. Erst dann ist das Parlament voll arbeitsfähig. Zunächst sollten die Namen der Abgeordneten aufgerufen und die Beschlussfähigkeit festgestellt werden. Wegen Unstimmigkeiten über die Tagesordnung zwischen der AfD und den anderen vier Parteien kam es allerdings schon vorher zu einem Schlagabtausch. Infolgedessen wurde die Sitzung vom Alterspräsidenten Jürgen Treutler von der AfD wegen Unstimmigkeiten zur Tagesordnung unterbrochen. Die Sitzung lief zu diesem Zeitpunkt gerade einmal elf Minuten.
Treutler, der die Sitzung als Ältester Abgeordneter eingangs leitet, wollte zunächst seine Eröffnungsrede halten. Darin betonte er den Anspruch der AfD als stärkste Fraktion auf das Amt des Parlamentspräsidenten. Es handele sich dabei um eine "nie in Frage gestellte Gepflogenheit" im Landtag. Wer darüber hinweggehe, untergrabe die Demokratie.
Die gewählten Parlamentarier seien gehalten, "das Wahlergebnis nüchtern und sachlich zur Kenntnis zu nehmen" und den Willen des Souveräns ernst zu nehmen. Er warnte vor einer Untergrabung der politischen Kultur. Mit Blick auf die Regierungsbildung sagte er, es gebe eine "nicht zu übersehende Option" für eine stabile parlamentarische Mehrheit. Nach der Rede Treutlers stellte die CDU-Fraktion erneut einen Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit des Parlaments. Die Sitzung wurde daraufhin erneut unterbrochen.
Tatsächlich hat die AfD, die vom Thüringer Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft ist, als stärkste Kraft laut Geschäftsordnung zunächst das Vorschlagsrecht für den Posten. Sie nominierte die Abgeordnete Wiebke Muhsal für das Amt der Landtagspräsidentin. Muhsal war vor einigen Jahren zu einer Geldstrafe wegen Betrugs rechtskräftig verurteilt.
CDU und BSW wollen Geschäftsordnung ändern
Die Wahl der Parlamentsspitze gestaltet sich allerdings als schwierig. So lehnen die anderen Fraktionen - CDU, BSW, SPD und Linke - einen AfD-Politiker an der Spitze des Parlaments ab. CDU und BSW wollten noch vor der Wahl mit einem Antrag eine Änderung der Geschäftsordnung erreichen, so dass bereits vom ersten Wahlgang an Kandidaten aus allen Fraktionen vorgeschlagen werden können. Nach der bisherigen Regelung ist das in den ersten beiden Wahlgängen der stärksten Fraktion vorbehalten. Ein Kandidat braucht, um gewählt zu werden, die einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen.
Mit der geplanten Änderung der Geschäftsordnung wollen die anderen Parteien einen AfD-Politiker auf dem Spitzenposten verhindern und eine Hängepartie im Parlament etwa durch Unterbrechungen vermeiden. Die CDU nominierte ihren Abgeordneten Thadäus König als Kandidaten für die Wahl des Landtagspräsidenten. Die AfD hatte die Änderung der Geschäftsordnung bereits im Vorfeld abgelehnt.
Treutler erntete für seine Rede bei der konstituierenden Sitzung viel Kritik. CDU-Chef Mario Voigt sagte, der Alterspräsident müsse unparteiisch und neutral handeln. Das sei nicht der Fall gewesen. Die CDU schrieb auf X: "Der Alterspräsident der AfD nutzt in missbräuchlicher Weise sein Amt, um einen angeblichen 'Wählerwillen' zugunsten der stärksten Fraktion festzustellen. Weiß der Mann nicht, dass es Mehrheiten im Parlament bedarf?"
Ramelow: "Grenze des Sagbaren" verschoben
Thüringens geschäftsführender Ministerpräsident Bodo Ramelow warf Treutler mit seinem Verweis auf Eduard Spranger vor, Grenzen des Sagbaren verschoben zu haben. Spranger habe sich positiv zur nationalsozialistischen Revolution ausgesprochen und habe 1938 Juden aus der Goethe-Gesellschaft ausgeschlossen, sagte Ramelow.
Bereits vor der Sitzung hatte Ramelow zudem betont, den Vorschlag der AfD für Muhsal als Landtagspräsidentin als "ungeheuerlich" zu empfinden. Die AfD beschädige damit zum wiederholten Mal ein Verfassungsorgan, sagte er vor der Sitzung. "Ich kann der Person Wiebke Muhsal mein Vertrauen nicht aussprechen - und zwar als frei gewählter Abgeordneter."
Mit der Konstituierung des neuen Landtags endet auch die reguläre Amtszeit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung von Ministerpräsident Ramelow. Die Mitglieder der Regierung bleiben laut Landesverfassung aber bis zum Antritt ihrer Nachfolger weiter geschäftsführend im Amt. Die entsprechenden Urkunden händigte Ramelow seinem Kabinett am Donnerstagmorgen in Erfurt aus.