3 months ago

UN Cybercrime Convention: „Unverändert gravierende Mängel“



Eine UN-Konvention zur Bekämpfung von Computerkriminalität soll im September von der Generalversammlung beschlossen werden. Welche ernsten Gefahren von der Konvention ausgehen und warum Russland die Verhandlungen als Erfolg für sich verbuchen kann, erklärt Tanja Fachathaler im Interview.

Das Logo der Vereinten Nationen im Saal der Generalversammlung.Das Logo der Vereinten Nationen im Saal der Generalversammlung. CC-BY-NC-ND 2.0 United Nations Photo

Ein geplanter internationaler Vertrag der Vereinten Nationen soll Cyberkriminalität bekämpfen und die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden verbessern. Er wird im September der Generalversammlung vorgelegt.

Weit über einhundert Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen weltweit hatten vor ernsten Gefahren für die Menschenrechte gewarnt und kritisiert, dass im Vertragstext keine angemessenen Sicherheitsvorkehrungen und Schutzmaßnahmen enthalten sind. Denn durch das geplante Abkommen würden UN-Mitgliedstaaten verpflichtet, umfassende Überwachungsmaßnahmen für ein breites Spektrum von Straftaten umzusetzen. Der Vertrag sei faktisch ein Überwachungsabkommen mit zu wenig Bestimmungen zum Datenschutz und zu Menschenrechten. In autoritären Staaten drohten vermehrt repressive Maßnahmen gegen politische Gegner oder Journalisten, die durch den geplanten UN-Vertrag quasi legitimiert werden.

Wir fragen Tanja Fachathaler nach ihrer Bewertung des nun vorliegenden Resultats der Verhandlungen zur „International Convention on Countering the Use of Information and Communication Technologies for Criminal Purposes“ (Konvention über die Bekämpfung des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien zu kriminellen Zwecken), die künftig 193 UN-Mitgliedstaaten binden könnte. Sie erklärt, warum Russland ein Zustandekommen des Abkommens als Erfolg für sich verbuchen kann.


Tanja FachathalerTanja Fachathaler

Tanja Fachathaler hat als Teil der Zivilgesellschaft an den Verhandlungen in New York teilgenommen. Sie hat Rechts- und Lateinamerikawissenschaften sowie Menschenrechte und Demokratisierung in Wien, Venedig und Sevilla studiert und sowohl in Österreich als auch in Brüssel für Menschenrechtsorganisationen und ein Beratungsunternehmen für EU-Institutionen gearbeitet. Tanja engagiert sich als Wahlbeobachterin und in der Menschenrechtsbildung. Seit August 2021 bringt sie ihre Erfahrung als Policy Advisor bei epicenter.works ein.

Große Kritikpunkte bleiben

netzpolitik.org: Nachdem die Verhandlungen in New York nun beendet sind: Sind noch wesentliche oder auch kleinere Verbesserungen an den von zahlreichen NGOs vorgebrachten kritischen Mängeln der UN-Cybercrime-Konvention umgesetzt worden?

Tanja Fachathaler: Unsere großen Kritikpunkte sind im Wesentlichen bis zuletzt aufrecht geblieben. Sie werden vom Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen sowie – das ist in der Tat sehr ungewöhnlich – auch von Unternehmen geteilt.

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netzpolitik.org: Welche Schutzmaßnahmen für Journalisten und Medienvertreter sowie für IT-Sicherheitsforscher fehlen nach wie vor im Text der Konvention?

Tanja Fachathaler: Die Strafbestimmungen sind hinsichtlich der subjektiven Tatseite, die für die Verwirklichung einer strafbaren Handlung ebenso nachgewiesen werden muss, immer noch zu weit gefasst. Wir haben durchgehend darauf gepocht, „criminal intent“ (krimineller Vorsatz) als eine spezifische Art des Vorsatzes als Standard in die Strafbestimmungen aufzunehmen, was aber nicht geschehen ist.

Auch gibt es keine Ausnahmeregelung, die die genannten Personengruppen und andere darüber hinaus von der Strafverfolgung ausnehmen würde. Es gibt lediglich eine Regelung, die etwa Sicherheitsforscher ausnehmen, die im Auftrag tätig werden. Diese Gruppe umfasst in der Realität aber nur einen kleinen Teil der Personen, deren Schutz wir als sogenannte „good faith actors“ (redlich handelnde Menschen) sichergestellt sehen wollten. Es wird nun vor allem davon abhängen, wie mit diesen Personengruppen national umgegangen wird, also ob diese durch nationale gesetzliche Ausnahmen oder ministerielle Erlässe von der Strafverfolgung ausgenommen sind. Das ist insgesamt keine befriedigende Situation.

„Ein gefährliches globales Überwachungsabkommen“

netzpolitik.org: Russland hat die Idee der Konvention ursprünglich 2017 bei der UNO eingebracht. Was heißt das Abkommen für russische Journalisten und Medienvertreter, wenn die Konvention in dieser Form in Kraft tritt?

Tanja Fachathaler: Es ist in Zukunft zu befürchten, dass Russland, aber auch andere Staaten unter dem Deckmantel der Cyberkriminalitätsbekämpfung Oppositionelle oder Journalisten mit dem Segen der Vereinten Nationen zum Schweigen bringen werden.

Russland kann einen Erfolg verbuchen

netzpolitik.org: Stärkt die Konvention Russland in der UNO?

Tanja Fachathaler: Russland geht zweifelsohne gestärkt aus den Verhandlungen bei den Vereinten Nationen hervor. Seitens der russischen Verhandler wurde in einem Abschluss-Statement zwar noch einmal zum Rundumschlag ausgeholt und das Missfallen ob des finalen Texts der Konvention zum Ausdruck gebracht. Einige der potentiell gefährlichsten Aspekte, die auf dem Tisch lagen, sind nicht in den Text aufgenommen worden. Das betrifft etwa äußerst vage und viel zu weitgehende Strafbestimmungen bezogen auf Terrorismus und Extremismus beziehungsweise Subversion. Bei all diesen Begriffen war unklar, was darunter verstanden werden soll. Es gibt beispielsweise keine international rechtlich verbindliche Definition von Terrorismus. Aber die Aufnahme der Begriffe in den Text wäre zur Verfolgung politischer Gegner geeignet gewesen.

Es kann trotzdem einen großen Erfolg verbuchen: Allein die Tatsache, dass es Russland gelungen ist, die Verhandlungen zu dieser Konvention, die zunächst auf wirklich große Ablehnung gestoßen ist, ins Leben zu rufen, ist als solcher zu sehen. Sämtliche Staaten der Welt haben sich letztlich auf die Verhandlungen eingelassen – und das zu einer Zeit, in der Russland einen beispiellosen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat und diesen mit unverminderter Härte weiterführt. Es tritt das Völkerrecht also mit Füßen.

Man darf auch nicht vergessen, dass seitens des Internationalen Strafgerichtshofs Haftbefehle gegen Russlands Führung wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegen. Vor diesem Hintergrund wurde der Vertragstext vom Ad-Hoc-Komitee angenommen. Viele Vertreter priesen dies in ihren Abschlussworten als Zeichen dafür, dass selbst in diesen Zeiten der Multilateralismus am Leben sei. Man kann sich also trotz Überfalls auf ein friedliches Land noch an einen Tisch setzen und auf Wunsch des Aggressors einen neuen Vertrag aushandeln, den dieser sich wünscht und der unverändert gravierende Mängel hat.

Damit aber nicht genug: Selbst wenn die eben genannten Strafbestimmungen zu Terrorismus und Extremismus nicht im Vertragstext verblieben sind, so sind Verhandlungen über ein sogenanntes „Ergänzendes Protokoll“ betreffend etwaige weitere Strafbestimmungen bereits vorgesehen. Das allein erweckt schon den Anschein, als ob der Vertrag selbst irgendwie nicht ganz vollständig wäre.

Das Thema zusätzliche Straftatbestände ist also nicht vom Tisch – im Gegenteil. So darf man das Lamentieren der russischen Delegation am Ende der Verhandlungen wohl schon als ein gewisses Vorbauen für zukünftige Verhandlungen des „Ergänzenden Protokolls“ verstehen.

Davon abgesehen ist es Russland meisterhaft gelungen, eine große Anzahl an Staaten, vor allem Entwicklungsländer, auf seine Seite zu ziehen. Aus deren Sicht ergibt es natürlich Sinn, vereinfacht Zugang zu Daten auf Servern etwa in den USA zu bekommen, ebenso wie Technologie- und Wissenstransfer bei der Bekämpfung von Computerkriminalität zu erhalten. Den Argumenten gegen die westliche Vormachtstellung und für Hilfe in den Entwicklungsländern war schwer etwas entgegenzusetzen.

Zu groß war auch die Angst des Westens, dass Russland im Fall des Scheiterns der Verhandlungen der Generalversammlung einen Vertragsentwurf ganz nach seiner Vorstellung vorlegt und dieser dort per Abstimmung angenommen würde – damit ohne die Möglichkeit, durch Verhandlungen einen Kompromiss zu erzielen, den alle irgendwie mittragen können.

netzpolitik.org: Was könnte dieser Verhandlungserfolg für die Zukunft bedeuten? Welche neuen Ideen verfolgt Russland, die in kommende UN-Konventionen münden können?

Tanja Fachathaler: Man muss feststellen, dass Russland es meisterhaft verstanden hat, Vertragsverhandlungen auf UN-Ebene für seine Zwecke zu nutzen und die Weltgemeinschaft vor sich herzutreiben, allen geopolitischen Umständen zum Trotz. Man darf annehmen, dass das erst der Anfang war. Wir werden künftig einiges sehen zu Themen wie Cybersicherheit, Künstliche Intelligenz oder gar zur Regulierung des Internets.

Nicht ratifizieren

netzpolitik.org: Wie stehen die Chancen, dass die Konvention in Europa nicht ratifiziert wird?

Tanja Fachathaler: Es ist davon auszugehen, dass der Vertrag im September ohne Schwierigkeiten in der UN-Generalversammlung angenommen wird und damit offiziell als UN-Konvention gilt. Sodann liegt er zur Unterschrift auf und kann in weiterer Folge ratifiziert werden. Es ist anzunehmen, dass es keine große Hürde sein wird, die nötigen vierzig Ratifikationen zustande zu bringen, die nötig sind, um den Vertrag in Kraft treten zu lassen.

netzpolitik.org: Was wäre deine Forderung in Bezug auf die Ratifizierung des Cybercrime-Abkommens?

Tanja Fachathaler: Seitens der Zivilgesellschaft haben wir wiederholt gefordert, dass ohne signifikante Nachbesserungen der Vertrag nicht angenommen werden sollte. Diese Nachbesserungen sind nicht erfolgt. Folglich muss jetzt auch weiter gelten: Wir fordern die Staaten dringend auf, diesen Vertrag nicht zu ratifizieren.


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