Der rennomierte Fotograf Hosam Katan dokumentierte das Leben und Sterben in Syrien. 2016 floh er nach Deutschland. Der Sturz des Regimes lässt ihn hoffen – und um Freunde trauern.
Erst mit seinem Smartphone, später mit Kameras hielt Hosam Katan, heute 30 Jahre alt, den syrischen Bürgerkrieg in seiner Heimatstadt Aleppo fest. Der Fotograf arbeitete zu dieser Zeit vor allem für den stern und die Nachrichtenagentur "Reuters". Bis ihn Ende Mai 2015 ein Scharfschütze des Assad-Regimes schwer verletzte – ein gezielter Anschlag, Katan trug eine Schutzweste mit der Aufschrift "Press". Er floh kurz darauf nach Deutschland, wo er noch heute lebt und arbeitet. Katans Fotografien erschienen unter anderem in der "New York Times" und wurden mit zahlreichen bedeutenden Preisen ausgezeichnet.
"Ich verfolge die Nachrichten aus meiner Heimat mit wachsender Fassungslosigkeit. Obwohl ich in Deutschland lebe, bin ich mit Syrien stark verbunden. Freunde und Reporter vor Ort schreiben mir oder rufen mich an, sie erzählen mir genau, was geschieht. Die ersten Anzeichen für eine militärische Operation vor rund drei Wochen bereiteten mir Sorgen. Ich dachte: Geht das schief, wird das Regime die Bevölkerung brutal bestrafen – die gesamte Bevölkerung. Wir Syrer wissen genau, wozu Assad fähig ist.
Als in der Nacht auf Sonntag bekannt wurde, dass der Diktator gestürzt worden war, lag ich hellwach und fand keinen Schlaf mehr. Ich realisierte, dass es vorbei ist. Mich überkam eine Flut von Gedanken und Gefühlen.
Da ist unglaubliche Erleichterung und Ungläubigkeit. Ich war seit 2011 Teil dieser Revolution. Noch vor zwei Wochen hätte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen können, dass das Regime fallen würde. Es fühlt sich surreal an.
Bis vor wenigen Wochen hatte Hosam Katan mit Syrien abgeschlossen
Da ist Glück. Als mich die Nachricht von der Befreiung Aleppos, meiner Heimatstadt, erreichte, war ich so froh wie lange nicht mehr. Ich bin kein Romantiker, kein Mann der großen Emotionen. Aber diese Nachricht traf mich im Kern. Ich lebe jetzt in Deutschland, habe eine deutsche Frau gefunden, eine deutsche Wahlfamilie. Ich liebe dieses Land. Hier liegt meine Zukunft. Aber auf eine gewisse Art bin ich immer noch fremd. Es gibt Menschen, die mir das Gefühl geben, anders zu sein.
Trotzdem hatte ich bis vor wenigen Wochen mit Syrien abgeschlossen. Ich dachte, unter Assad sehe ich meine Heimat, das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin und mit dem ich so viel verbinde, nie wieder. Die Befreiung Aleppos brachte meine Hoffnung zurück. Ich habe wieder ein Zuhause.
Da ist aber auch große Trauer. Meine Gedanken sind bei meinen Freunden und Cousins, die von Bashar al-Assad und seiner Diktatur getötet wurden. Menschen, die ich liebe, wurden in ihren Häusern von Bomben getroffen, andere wurden während Protesten verschleppt und eingesperrt. Ich habe Freunde, deren gesamte Familie ausgelöscht wurde. Das Regime hat dem syrischen Volk so unglaublich viel genommen – auch mir persönlich.
Als ich an der Front fotografierte, kam ich beinahe ums Leben. Ich verlor meine Heimat, musste fliehen, alles zurücklassen: Freunde, Familie, mein ganzes Leben. Das Regime nahm uns unsere Zukunft, trennte und verstreute meine Familie. Meine Verwandten in Syrien lebten in ständiger Angst. Zwei Brüder von mir durften nicht weiter an der Universität studieren, das Regime verbot es ihnen. Ein Kollege und guter Freund von mir wurde in der Nacht getötet, als Aleppo fiel. Ich wünschte, all jene, die im Protest oder Kampf gegen das Regime ihr Leben verloren haben, könnten diese historischen Tage erleben.
Syrien Überblick Montagmorgen 6.42
Und da ist große Aufregung. Es gibt plötzlich eine reale Chance, die Zukunft Syriens zu gestalten. Wir haben jetzt so viele Aufgaben, so viele Probleme, die wir lösen müssen. Wie machen wir das Land wieder funktionstüchtig?
Die Menschen in Syrien müssen sich mit Offenheit begegnen. Oppositionelle mussten so viel erleiden, sie wurden bombardiert, vertrieben, in Camps gezwängt. Jetzt, nach all dem Leid, müssen sie mit jenen zusammenleben, die Assad unterstützt, die unter ihm gedient und gefoltert haben. Können die Menschen das ertragen? Es darf jetzt kein "die" und "wir" geben, es muss ein "uns" geben.
Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden
Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber wir müssen uns auch vergeben. Nur so kommen wir als Land voran, nur so können wir unser aller Leben besser machen.
All das wird unglaublich kompliziert. Aber ich habe die große Hoffnung, dass es uns gelingen wird; überall wo ich hinblicke, bei jedem Syrer, mit dem ich spreche, sehe ich Hoffnung.
Sah ich Bilder von Syrern in Flüchtlingslagern, von deren Leid, dann konnte ich nicht anders, als mich ein bisschen schuldig zu fühlen. Ja, ich war Teil der Revolution, bis ich 2016 fliehen musste. Jetzt bin ich in Deutschland und lebe ein schönes Leben. Ich weiß, es ist nicht meine Schuld. Aber manchmal fühlt es sich so an.
Doch das ist jetzt vorbei. Ich kann wieder in meine Heimat und dort etwas bewegen. Ob ich einmal ganz nach Syrien zurückkehre, für diese Frage ist es noch zu früh. Wenn mit meinem Visum alles funktioniert, werde ich Anfang des kommenden Jahres erst einmal länger in das Land reisen. Ich freue mich sehr darauf, Familienmitglieder und alte Freunde endlich wiederzusehen. Besonders freue ich mich aber, die Universität von Aleppo zu besuchen. Sie spielte eine entscheidende Rolle beim Beginn der Revolution in der Stadt.
Vor allem aber werde ich in Syrien arbeiten. Während des Bürgerkrieges habe ich Leid, Tod und Zerstörung fotografiert. Jetzt möchte ich den Wiederaufbau dokumentieren, des Landes und der Gesellschaft. Ich möchte Geschichten von Hoffnung erzählen."