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Strategische Abstimmung erwartet: Scholz stellt die Vertrauensfrage - Grüne wollen sich enthalten



Olaf Scholz ist der fünfte Bundeskanzler, der die Vertrauensfrage stellt. Die Abstimmung gilt als notwendige Formalie auf dem Weg zu Neuwahlen, die fast alle Fraktionen anstreben. Die Zahl der Abweichler könnte trotzdem interessant werden.

Am 16. Dezember will Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen - doch nicht etwa, um sich seiner Regierungsmehrheit zu versichern. Das Kalkül ist vielmehr umgekehrt: Spricht sich nur eine Minderheit des Bundestages dafür aus, dass der SPD-Kanzler im Amt bleibt, macht das den Weg für Neuwahlen frei. Sogar der Zeitplan steht bereits: Demnach soll das Parlament am 23. Februar 2025 neu gewählt werden.

So wird es wohl auch kommen. Am Mittwoch hat Scholz seinen schriftlichen Antrag zur Abstimmung über die Vertrauensfrage offiziell im Bundestag eingereicht. Am darauf folgenden Montagnachmittag soll abgestimmt werden. Der Ausgang scheint bereits fest zu stehen. Denn seit dem Bruch der Ampel-Koalition sprechen sich sowohl die verbliebenen Regierungsparteien als auch die größte Opposition, die Union, für baldige Neuwahlen aus. Die Hoffnung ist, dass sich die aktuelle Blockade im Bundestag mit dem neuen Wahlergebnis auflöst und eine neue, stabile Regierungsmehrheit zustande kommt.

Scholz wäre nicht der erste Kanzler, dessen Amtszeit mit einer verlorenen Vertrauensfrage endet. Auch Willy Brandt von der SPD, Helmut Kohl von der CDU und Gerhard Schröder von der SPD mussten 1972, 1982 und 2005 vorzeitig ihren Hut nehmen und sich in Neuwahlen erneut als Kanzlerkandidat bewerben. Im Fall von Kohl und Schröder war das Regierungs-Aus aber tatsächlich so geplant.

Vertrauensfrage verlieren- und trotzdem gewinnen?

Kohl wurde 1982 mithilfe der FDP zum Kanzler gewählt, nachdem sein Vorgänger Helmut Schmidt von der SPD im selben Jahr durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Parlaments aus dem Amt gedrängt worden war. Es waren also höchst ungewöhnliche Umstände, die den CDU-Politiker ins höchste Amt an der Spitze des deutschen Staates befördert hatten. Um seine Kanzlerschaft zu legitimieren, stellte Kohl baldige Neuwahlen in Aussicht. Doch dazu konnte es nur kommen, indem er die Vertrauensfrage stellte - und verlor. Der Plan ging auf: Kohl konnte die Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen und wurde nach seiner ersten, sehr kurzen Amtszeit mehrfach wiedergewählt.

Auch bei Schröders Vertrauensfrage war viel politisches Kalkül im Spiel. Allerdings lässt sich im Nachhinein feststellen: Schröder hatte sich damit verzockt. Rein formal besaß der SPD-Kanzler mit seiner rot-grünen Koalition eine Mehrheit im Bundestag. Die Regierungsparteien waren jedoch so zerstritten, dass sich Schröder bessere Chancen für seine SPD ausmalte, wenn Rot und Grün getrennte Wege gehen würden.

Um Neuwahlen herbeizuführen, stellte Schröder am 1. Juli 2005 die Vertrauensfrage - die er planmäßig verlor. Knapp drei Monate später wurde der Bundestag neu gewählt, am 18. September. Der Ausgang ist bekannt: Union und SPD mussten eine Große Koalition eingehen, um eine Regierungsmehrheit zu erreichen. Angela Merkel von der CDU wurde Kanzlerin und blieb das auch für die nächsten 16 Jahre bis zu ihrem selbst gewählten Rückzug aus der Politik.

Verfassungsgericht hält "unechte Vertrauensfrage" für legitim

Neuwahlen per Vertrauensfrage zu provozieren, galt einst als umstritten. Inzwischen ist in diesem Zusammenhang auch von einer "unechten Vertrauensfrage" die Rede. Das Bundesverfassungsgericht hat den Einsatz jedoch gebilligt, "wenn die Handlungsfähigkeit einer parlamentarisch verankerten Bundesregierung verloren gegangen ist", heißt es in der Zusammenfassung eines Urteils vom 25. August 2005. Und weiter: "Handlungsfähigkeit bedeutet, dass der Bundeskanzler mit politischem Gestaltungswillen die Richtung der Politik bestimmt und hierfür auch eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß."

Diese erforderliche Mehrheit hat Scholz mit Sicherheit nicht mehr. Seit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner und dem freiwilligen Rückzug der übrigen FDP-Minister führt der Kanzler eine rot-grüne Minderheitsregierung an. Allein mit den 315 Stimmen der SPD- und Grünen-Fraktion würde er das Vertrauensvotum garantiert verlieren.

Um die Vertrauensfrage zu bestehen, braucht der Kanzler eine absolute Mehrheit, also die Ja-Stimmen von mindestens 367 von 733 Bundestagsabgeordneten. Doch selbst wenn der Kanzler - wie im aktuellen Fall - darauf abzielt, weniger Unterstützung zu bekommen, bleibt der Ausgang der Abstimmung spannend. Wie viele Abgeordnete halten sich nicht an Absprachen oder weichen von der Parteilinie ab? Vor allem im Falle einer namentlichen Abstimmung - das wäre der übliche Weg - könnte so manches Fraktionsmitglied in Erklärungsnot geraten.

Sorge vor Querfront aus der AfD

Zwar sind sich sowohl die (ehemaligen) Regierungsparteien als auch die größte Opposition aus CDU und CSU einig, dass Neuwahlen die beste Lösung seien. Für den Kanzlerkandidaten Scholz wäre es in der Außendarstellung dennoch besser, seine SPD könnte ihm geschlossen das Vertrauen aussprechen - und auf das Nein aller anderen Bundestagsabgeordneten vertrauen.

So war es auch bei Schröder: Statt sich explizit gegen den SPD-Kanzler auszusprechen, übten sich die Koalitionspartner in diplomatischer Zurückhaltung, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Auch die Grünen-Fraktion hat bereits angekündigt, sich zu enthalten. Zumindest lautet so die Empfehlung der Fraktionsspitze. Die Grünen hielten "die vorgezogene Neuwahl des Deutschen Bundestags für richtig", erklärten die beiden Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge am Mittwoch vor der Abstimmung. "Um zu einer vorgezogenen Neuwahl des Bundestags zu kommen, muss die Vertrauensfrage scheitern. Mit einer Enthaltung der Grünen-Bundestagsfraktion ermöglichen wir dies."

Haupthintergrund dieser strategischen Überlegungen ist die Angst vor einer Querfront aus der Opposition: Würden sich SPD und Grüne geschlossen hinter ihren Kanzler stellen, würden "nur" noch 52 Ja-Stimmen fehlen, um Scholz eine ungewollte Mehrheit zu verschaffen. Die AfD könnte diese mit ihren 76 Fraktionsmitgliedern theoretisch liefern und versuchen, die geplante Auflösung des Bundestages auf diese Art zu torpedieren.

AfD-Abgeordneter bezeichnet Scholz als "das kleinere Übel"

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Der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl hat bereits angekündigt, dem SPD-Kanzler sein Vertrauen aussprechen zu wollen. Scholz sei im Vergleich zu einem potenziellen CDU-Kanzler Friedrich Merz das "kleinere Übel", sagte Pohl dem Nachrichtenmagazin "Politico" zur Begründung. Ob und inwiefern andere Mitglieder der AfD diese Ansicht teilen oder ebenfalls in Betracht ziehen, für Scholz zu stimmen, ist offen. Spitzenpolitiker der AfD, darunter auch die Partei-Chefin Alice Weidel, hatten in der Vergangenheit wiederholt Neuwahlen gefordert.

Aktuelle Umfragewerte deuten darauf hin, dass die vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextrem eingestufte Partei im nächsten Bundestag deutlich stärker vertreten sein wird als aktuell. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die AfD 10,3 Prozent der Zweitstimmen. Laut dem aktuellen Forsa-Trendbarometer würden etwa 18 Prozent der Befragten ihre Stimme den Rechtsextremen geben und die AfD damit zur zweitstärksten Fraktion im Bundestag machen.

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