Turnen um jeden Preis: Nach dem Karriereende von Meolie Jauch melden sich mit Tabea Alt und Carina Kröll weitere Spitzensportlerinnen zu Wort – und erheben schwere Vorwürfe.
Die 17-jährige Meolie Jauch hängt ihre Karriere an den Nagel. "Weil es mental nicht mehr geht", sagt sie. stern-Autorin Charlotte Wirth kann das aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen (mehr dazu lesen Sie hier). Doch das überraschende Aus einer vielversprechenden Turnerin ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs.
Mit Tabea Alt und Carina Kröll meldeten sich am Samstag gleich zwei Leidensgenossinen zu Wort, die ebenfalls kein gutes Haar an den Verbänden ließen. Die mehrfache Meisterin Kröll schreibt in einem langen Instagram-Beitrag etwa: "Heute beobachte ich immer häufiger, wie junge Turnerinnen nur noch funktionieren müssen, nicht gehört werden, daran zerbrechen und viel zu früh aufhören oder aussortiert werden".
Sie klagt ein System an, in dem "nach jedem erreichten Ziel sofort das nächste eingefordert wird" und es an Wertschätzung für das Erreichte fehle. Bei ihr habe das dazu geführt, dass die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2023 "weniger bedeutsam" gewesen sei, "als sie eigentlich sein sollte". Der Grund: Weil Kröll nie bei Olympia war, habe sie verlernt, ihre Erfolge zu achten. Es sei, so Kröll, "unvermeidbar, so zu denken".
Turnen mit Verletzungen
Auch die physische Gesundheit leide unter dem Sport, so die Turnerin. Demnach sei selbst das Wahrnehmen eines wichtigen Arzttermins "problematisch" gewesen. So verlerne man schon als junger Mensch, dem Körper Pausen zu gönnen, wenn es mal nicht mehr geht. Sie schließt mit der Forderung, dass es Zeit sei, dass sich etwas ändert.
Tabea Alt, eine ehemalige deutsche Kunstturnerin mit großen Erfolgen während ihrer Laufbahn, veröffentlichte am Samstag ebenfalls ein Statement. Sie fordert: "Dieses System muss sich verändern, um sich weiterentwickeln zu können".
Alt erklärt, dass auch sie unter dem enormen Druck gelitten habe und sich über das gesunde Maß für den Sport habe opfern müssen. "In all diesen Jahren hat man meine Gesundheit ganz GEZIELT aufs Spiel gesetzt, in dem man ärztliche VORGABEN missachtete und mich selbst mit mehreren FRAKTUREN (Knochenbrüchen) turnen ließ und in den Wettkampf schickte", schreibt sie. Beide Sportlerinnen sprechen auch explizit das Thema Essstörungen an, zuvor hatten ihre Kolleginnen Kim Bui und Emelie Petz darüber berichtet. Der Umgang mit dem eigenen Körper, so Alt, werde fremdgesteuert und manipuliert.
Die Ex-Turnerin habe mehrfach versucht, diese Probleme intern anzugehen – sei aber stets überhört worden. "Heute weiß ich, es war systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch. Wir müssen endlich gehört werden!", so Alt. Ihr Statement sieht sie als Startschuss für eine öffentliche Debatte über Veränderungen im Spitzensport.
Verbände geloben Besserung
Die "Sportschau" bat den Deutschen Turner-Bund (DTB) und den Schwäbischen Turnerbund (STB) um Antworten. Beide bekräftigten, dass man die Vorwürfe "sehr ernst" nehme. "Konkrete Informationen" zu möglichem Fehlverhalten, so die Verbände weiter, "liegen vor".
Was macht eigentlich Fabian Hambüchen? 13.00
"Beide Verbände werden gemeinsam eine Untersuchung initiieren, in der das Geschehen aufgearbeitet wird. Für diese Untersuchung wird auch externe Unterstützung hinzugezogen werden. Gegenstand der Untersuchung wird mögliches Fehlverhalten von Trainerinnen und Trainern aber auch Fehler im Leistungssportsystem an Bundesstützpunkten sowie der Umgang mit möglichen Hinweisen innerhalb der Verbandsstrukturen des STB und DTB sein", zitiert die "Sportschau" das Statement der Verbände.
Man wird wohl auch darüber sprechen müssen, warum das nicht schon nach den "ausführlichen Briefen" passiert ist, die Tabea Alt nach eigenen Angaben bereits vor Jahren an den Deutschen Turner-Bund geschrieben hatte.