Die Polizei in Görlitz hat in fast zwei Dutzend Verfahren stationäre und mobile Systeme für biometrische Überwachung eingesetzt. Die Datenschutzbeauftragte Sachsen zweifelt die angegebene Rechtsgrundlage an. Doch da es um richterliche Anordnungen geht, wird es kompliziert.
Die sächsische Polizei hat bei 21 Ermittlungsverfahren automatisierte Gesichtserkennung für Videoüberwachungsaufnahmen eingesetzt. Das geht aus einer Antwort der Sächsischen Datenschutzbeauftragten auf eine Beschwerde hervor, die wir im Volltext (PDF) veröffentlichen.
Demnach hat die Polizei Görlitz etwa mit mobilen und stationären Geräten (PerIS) in Ermittlungsverfahren den Verkehr überwacht und die Aufnahmen später händisch und automatisiert ausgewertet. Dies ist laut der Datenschutzbehörde auf Grundlage richterlicher Anordnungen passiert. Die Polizei hatte die Überwachungstechnik ohne Kenntnis der Datenschutzbehörde eingesetzt.
Die Auswertung fand laut der Polizei bis auf ein Verfahren immer retrograd, also im Nachhinein statt. Ein biometrischer Echtzeit-Abgleich habe bisher nur in dem Verfahren stattgefunden, über welches „nd“ und netzpolitik.org im Mai 2024 berichtet hatten – hier waren Berliner Strafverfolgungsbehörden verantwortlich. Die richterliche Anordnung stützte sich dabei auf die Rasterfahndungsparagrafen 98a und 98b der Strafprozessordnung.
Datenschutzbehörde sieht keine Rechtsgrundlage
Die anderen biometrischen Überwachungen fanden auf Basis von §§100h und 163f StPO statt. Nach Einschätzung der Datenschutzbehörde seien das jedoch „keine Rechtsgrundlagen, auf die derartige ‚Scans‘ des öffentlichen Verkehrsraums gestützt werden können“.
Die Datenschutzbehörde ist wegen der Unabhängigkeit der Gerichte nicht zuständig für die Prüfung richterlicher Beschlüsse, welche die Überwachung angeordnet hatten. Sie bewertet den Einsatz der Technik aber „abstrakt und unabhängig von konkreten Ermittlungsverfahren“ als „sehr kritisch“, weil diese in großer Zahl „nahezu ausschließlich unbeteiligte Dritte betreffen“ würden.
Diese Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Vorgehens verstärken sich laut der Behörde „exponentiell, wenn sich an derartige Bildaufzeichnungen eine biometrische Weiterverarbeitung der erhobenen Daten anschließt und von den Kameras erfasste Personen einem biometrischen Abgleich ihrer Gesichter mit Referenzbildern unterzogen werden“.
Hinzu komme, dass die Polizei in Görlitz den Bilddatenbestand aus den Aufzeichnungen vor dem biometrischen Abgleich nicht reduziert oder nach wie auch immer gearteten Kriterien gefiltert habe. Dadurch würden auch biometrische Daten von Personen verarbeitet, die „bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale“ gerade nicht erfüllen würden. Als Beispiel nennt die Behörde eine Suche nach männlichen erwachsenen Tatverdächtigen, bei der aber auch Frauen und Kinder vom biometrischen Abgleich erfasst würden.
Behörde könnte Staatsanwaltschaften biometrische Überwachung untersagen
Die Piraten-Politikerin Anne Herpertz, die sich bei der Datenschutzbehörde beschwert hatte, sagt: „Dass es sich um retrograde Abgleiche von Gesichtern statt Echtzeit-Überwachung handelt, ändert nichts an der Tatsache, dass biometrische Überwachung stattfindet.“ Eine rückläufige Überwachung würde zudem neue Fragen bezüglich Datensammelei und Vorratsdatenspeicherung aufwerfen.
Die Datenschutzbeauftragte stelle selbst fest, so Herpertz weiter, dass die bestehende Strafprozessordnung diese Praxis nicht abdecke. Herpertz fordert die Datenschutzbeauftragte auf, den Staatsanwaltschaften zu untersagen, biometrische Überwachung zu beantragen. Im Rahmen der Umsetzung des europäischen AI Acts brauche es jetzt ein klares Verbot des Einsatzes solcher Techniken in Deutschland.
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