Reicht ihm die "Bro-Vote"?: Frauen lassen Trump rechts liegen

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Politisch gesehen ist die Schlucht zwischen jungen Frauen und Männern in den USA so breit wie nie. Wählerinnen sehen die Demokratin Harris als Verteidigerin ihrer Rechte, Wähler tendieren zum Republikaner Trump. Welche Stimmen führen ins Weiße Haus?

Zwei Tage nachdem Donald Trump im Strafgericht von New York in 34 Fällen wegen Wahlbetrugs verurteilt worden war, zeigte er sich erstmals öffentlich. Er ging zum Kampfsport im nahen Newark. Aus den Katakomben der Halle grüßte der Ex-Präsident an diesem 1. Juni auch die Follower seines neuen TikTok-Kontos, neben ihm stand der "Ultimate Fighting Championship"-Chef Dana White. Trump betrat das Rund, schüttelte Hände, winkte den jubelnden 16.000 Besuchern zu, "American Badass" von Kid Rock erklang. Das überwiegend männliche Publikum beschimpfte in Sprechchören US-Präsident Joe Biden. Dann skandierte es: "We love Trump".

Fast drei Monate später, es ist der Abschlussabend des Parteitags der Demokraten und Biden nicht mehr als Wahlkampfbeiwerk für Kamala Harris. Die Vizepräsidentin nimmt an diesem 22. August die Kandidatur in Chicago an, ihre Worte ertönen in Millionen Haushalten. In einem davon sitzen mehrere junge Männer auf der Couch, hören zu, einer schüttelt leicht den Kopf. Plötzlich kommt ein weiterer mit einem Vorschlaghammer von der Seite und schlägt mit aller Kraft auf den Flachbildfernseher ein. Die anderen laufen aufgeregt durchs Bild - aber da ist das kurze Instagram-Video der "Nelkboys" schon zu Ende. "Kamala wird niemals meine Präsidentin sein", kommentieren sie darunter.

Die beiden Szenen sind nur zwei Ausschnitte daraus, wie der Republikaner Trump versucht, seine Basis zu mobilisieren, um die Euphoriewelle der Demokraten um Harris im November überspülen zu können. Die Podcaster "Nelkboys" gehören zu mehreren Influencern in den sozialen Medien, die mitunter viele Millionen Zuhörer haben und von Trump umgarnt werden. Die US-Medien nennen es auch die "Bro-Vote": Stimmen von Freundesgruppen junger Männer. Sie gehören häufig zur Arbeiterschicht, haben also keine höhere Bildung und tendieren zu einem traditionelleren Verständnis von Männlichkeit. Sie waren das Fundament für Trumps Wahlsieg 2016 gegen Hillary Clinton. Sie sollen es auch 2024 gegen Harris sein.

Frauen besonders motiviert

Immer dann, wenn es in den USA um Wahlen geht, fangen Analysten, Strategen und Meinungsforscher an, die Bevölkerung in kleinstmögliche Gruppen aufzuteilen: nach Wohnort, Einkommensschicht, Bildungsniveau, Herkunft und Hautfarbe, Geschlecht und Gender. Seit klar wurde, dass Harris die Kandidatin der Demokraten ist, haben sich die Umfrageergebnisse zugunsten der Vizepräsidentin verschoben; nun liegt sie in den mutmaßlich wahlentscheidenden Bundesstaaten statistisch gleichauf mit Trump. Auch was die Begeisterung für den jeweiligen Kandidaten angeht, gibt es bei Demokraten und Republikanern keinen Unterschied mehr.

 Kamala Harris.  Kamala Harris.

Ist bei weiblichen Wählern meilenweit im Vorteil: Kamala Harris.

(Foto: REUTERS)

Dabei bildet sich eine Grundfrage heraus: Bringt die "Bro-Vote" Trump ins Weiße Haus? Oder schaffen es die Frauen, Harris als erste US-Präsidentin überhaupt über die Türschwelle zu tragen? Die Demokratin hat insbesondere bei jungen, nicht-weißen und weiblichen Wählern an Zustimmung gewonnen, wenig oder gar keine bei älteren Wählern sowie weißen Männern. Auch bei unabhängigen Wählern hat Harris derzeit einen Vorteil.

Landesweit liegt die Demokratin zwei Monate vor der Wahl 1,8 Prozent vor ihrem Widersacher. In den battleground states Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin sind es die Frauen, die Trump durch alle Altersgruppen hindurch rechts liegen lassen und damit Harris in Umfragen nach oben drücken. Den Unterschied machen die jungen Frauen zwischen 18 und 29 Jahren; und der ist gigantisch: Harris führt unter Frauen der Generation Z mit 38 Prozent, Trump bei den männlichen Altersgenossen mit 13 Prozent. Die beiden Gruppen liegen historisch weite 51 Prozent auseinander und 12 Prozent weiter als bei Biden.

Reicht das?

Die Gründe sind vielfältig, aber haben eine lange Vorgeschichte. Junge Frauen sind politisiert durch die #MeToo-Enthüllungen sexueller Angriffe, die Abschaffung des allgemeinen Abtreibungsrechts durch den konservativ dominierten Supreme Court, und jetzt durch die Aussicht, erstmals in der Geschichte der USA eine Frau zur Präsidentin zu machen. Trump eiert seit Jahren opportunistisch um die Abtreibungsfrage herum, auch der aktuelle Wahlkampf ist keine Ausnahme. Handfest ist das aktuelle Gesetzeschaos, für das er mitverantwortlich ist. Schließlich hatte er das Urteil des Obersten Gerichts durch seine Richternominierungen möglich gemacht.

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Für Frauen unter 45 Jahren sind inzwischen die reproductive rights, also alle Rechte rund um die Schwangerschaft, das wichtigste Wahlthema, vor der Wirtschaft. Trump mäandert in der Frage zum Abtreibungsrecht. Er ist gefangen zwischen konservativen, häufig christlichen Wählern, die Verbote befürworten, und der Aussicht, wegen zu extremen Positionen im November zu verlieren. Mit großem Abstand wird Harris als kompetenter angesehen als Trump, was Frauenrechte angeht. Die Demokraten haben kürzlich einen reproductive freedom Bus auf eine Reise durch alle Bundesstaaten geschickt. Zu Beginn fuhr er an Trumps Anwesen in Mar-a-Lago in Florida vorbei.

Die Bustour wird im November kaum den entscheidenden Unterschied machen, möglicherweise aber ein weiteres Problem, das den Republikaner plagt. Das Bildungsniveau im sogenannten Rostgürtel, wo weiße Arbeiter vor acht Jahren Trump den Wahlsieg brachten, steigt kontinuierlich. Obwohl Wählergruppen nie homogen sind: Weiße US-Amerikaner mit höherer Bildung wählen tendenziell eher Demokraten, und das noch mehr in den battleground states. Die Frauen gegen sich, ein dynamischer Wahlkampf der Widersacherin, eine möglicherweise schrumpfende Basis - ob Trump diese Nachteile mit der "Bro-Vote" ausgleichen kann?

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