Die Politik reagiert ganz unterschiedlich auf den Rücktritt der Grünen-Spitze. Aus der Opposition werden Forderungen nach Neuwahlen und einem Rücktritt von Habeck und Baerbock laut. Die eigene Partei sieht Chancen, die Regierungspartner zollen Respekt und Anerkennung - von Bedauern spricht nur einer.
Die Grünen haben die Reißleine gezogen. Als Konsequenz aus den jüngsten Misserfolgen der Partei bei diversen Wahlen kündigten die Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour den Rücktritt des gesamten Parteivorstandes im November an. "Es braucht einen Neustart", sagte Nouripour.
Dieser Neustart hat nach Ansicht von Bundeskanzler Olaf Scholz keine Auswirkungen auf die Ampel-Koalition. Scholz habe mit den beiden Parteivorsitzenden Lang und Nouripour "eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Namen von Scholz: "Er bedauert diesen Schritt." Es gehöre in demokratischen Verfahren aber dazu, dass es auch mal Wechsel in Parteiführungen gebe. "Das hat keinerlei Auswirkungen auf die Koalition", betonte Hebestreit.
Außenministerin Annalena Baerbock fand dagegen mahnende Worte an die eigene Partei. "Wir alle, die wir für die Grünen und dieses Land Verantwortung tragen, müssen uns fragen, was wir anders machen können und müssen", erklärte die Ex-Grünen-Chefin. "Dabei geht es darum, das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen. Das Vertrauen, dass die Politik für die Menschen und ihre Sorgen da ist", ergänzte Baerbock. Der Schritt der beiden Vorsitzenden sei "bemerkenswert" und "keine Selbstverständlichkeit".
Auch Umweltministerin Steffi Lemke sieht den Rücktritt als deutliches Zeichen für Veränderung. "Es ist das klare Signal: Die Grünen haben verstanden. Es hat sich etwas geändert in unserem Land und darauf reagieren wir", sagte die Grünen-Politikerin.
Respekt gezollt bekommen die beiden Grünen-Vorsitzenden nicht nur von Scholz, sondern auch von Finanzminister Christian Lindner. "Die Zusammenarbeit war menschlich immer fair", schrieb er auf X. Zugleich betonte der FDP-Chef: "Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat." Die Ampel müsse in der Sache arbeiten, hier gebe es in Deutschland gerade keine Zeit zu verlieren.
Union und BSW fordern weitere Rücktritte
Die CDU hingegen geht auf Angriff. Im nächsten Schritt fordert die Union auch den Rücktritt von Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Baerbock. "Wenn die Parteivorsitzende Ricarda Lang von der Notwendigkeit eines Neuanfangs und von neuen Gesichtern spricht, können ja wohl kaum diejenigen Vertreter im Amt bleiben, die zum Symbol der verkorksten Wirtschafts- und Migrationspolitik wurden - Baerbock und Habeck", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, der "Rheinischen Post".
Deswegen richteten sich laut Frei die drängenden Fragen auch an die führenden Bundesminister der Grünen. Was man sehe, sei die "Initialzündung einer Kettenreaktion." Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann meldete sich mit einer Forderung zu Wort. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte er, das Land verkrafte nicht ein weiteres Jahr mit der Ampel-Koalition. "Ich bleibe dabei: An Neuwahlen führt kein Weg vorbei."
Die Rücktrittsankündigung ist laut Bayerns Ministerpräsident Markus Söder "nichts anderes als ein Bauernopfer". Dass der Grünen-Bundesvorstand im November komplett zurücktreten wolle, zeige, "dass die Ampel in sich zerfällt". Grund für die sinkende Akzeptanz der Grünen seien nicht Fehler der Parteispitze, sondern das Regierungshandeln. Habeck persönlich sei verantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands. Dass Subventionen keine Lösung seien, habe unter anderem der Fall Intel gezeigt. Habecks Rücktritt sei "fällig und Neuwahl bei der Ampel auch - Punkt", sagte Söder.
Auch die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht fordert Neuwahlen im Bund: "Dass Frau Lang und Herr Nouripour politische Verantwortung übernehmen, verdient Respekt. Viel zu oft erleben wir heute eine Unkultur der politischen Verantwortungslosigkeit und das Kleben an Ämtern, egal, wie mies die Performance ist. Das wird nicht zuletzt bei den anderen beiden Ampel-Parteien deutlich." Sie würde sich wünschen, dass der Schritt von Lang und Nouripour auch die Bundesminister der Grünen ermuntere, politische Verantwortung für schlechtes Regieren zu übernehmen und den Weg für notwendige Neuwahlen freizumachen, sagte Wagenknecht.
Optimismus aus den eigenen Reihen
Die Landesverbände der Grünen in den Bundesländern haben der Bundesspitze dagegen Respekt für ihre Rücktrittsankündigung gezollt. "Ganz viel Respekt für eure Entscheidung und die klare Kommunikation" schrieb etwa Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und frühere Grünen-Landesvorsitzende, Katharina Fegebank, auf der Plattform X.
Außerdem hielten die Verbände die personelle Entscheidung für den richtigen Schritt und sahen sie als Chance auf einen Neustart aus der aktuellen Krise der Partei. "Wir werden uns bei unserem Bundesparteitag im November neu aufstellen und dann mit frischer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl beginnen", sagte Bayerns Grüne-Landesvorsitzende Gisela Sengl. Der Rücktritt zeuge zudem für eine Verantwortungsübernahme nach den Wahlniederlagen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, sagte etwa die Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, Madeleine Linke.