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Raumfahrt: "Die deutsche Freiheit wird auch im Weltraum verteidigt"



Raumfahrt ist eine Schlüsseltechnologie für viele Zukunftsbranchen und militärisch eminent wichtig. Auch im All braucht es eine Zeitenwende, sagt eine Expertin.

Frau von der Recke, heute sollte in Norwegen eine Rakete ihres Mitbewerbers Isar Aerospace abheben. Nun ist der Start erst einmal aufgrund starker Winde verschoben worden. Wie sehr hoffen Sie, dass es doch noch klappen wird?
Raketenstarts sind immer etwas ganz Besonderes. Wir fiebern mit und drücken die Daumen. Raumfahrt ist immer noch eine verhältnismäßig kleine Branche, in der sich viele Akteure gut kennen. Wir wünschen unserem Mitbewerber aus München viel Glück beim Start. Auch die Rocket Factory Augsburg, an der OHB beteiligt ist, wird noch in diesem Jahr einen weiteren Startversuch mit einer Rakete unternehmen. 

Die "Spectrum"-Rakete von Isar Aerospace ist gerade mal 28 Meter lang und die in Augsburg gebaute auch kaum größer. Warum schrauben wir in Deutschland nur an so kleinen Raketen?
Nur würde ich nicht sagen. Auch der Vorgänger der Falcon 9, mit der SpaceX heute Astronauten zur ISS und wieder zur Erde bringt, die Falcon 1, hatte nur ein Triebwerk. Wenn kleine Raketen erfolgreich starten, dann kann man die Technik hochskalieren. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schwer es ist, die Erdanziehungskraft zu überwinden, wie viel Schub und Feuer das bedarf. 

Apropos Feuer. Die Rocket Factory Augsburg legte im vergangenen August einen klassischen Fehlstart hin. Deren Rakete explodierte noch auf der Startrampe in Schottland in einem Flammenmeer …
Auch wenn Raketenstarts oft so leicht aussehen, sie sind immer noch: Rocket Science. Selbst aus einem missglückten Start können wir viel lernen. Wenn man bedenkt, dass Isar Aerospace und die Rocket Factory beide erst 2018 gestartet sind, dann sind beide Unternehmen schon sehr weit gekommen. Jeff Bezos hat 20 Jahre lang Milliarden von Dollar in sein Projekt Blue Origin gesteckt, und erst vor Kurzem ist erstmals eine Rakete des Unternehmens tatsächlich gestartet.

Bislang gibt es in Europa schon zwei Startplätze für Kleinraketen, sogenannte Minilauncher, einen in Norwegen und einen in Schottland. Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert schon länger einen eigenen deutschen Startplatz in der Nordsee. Warum?
Wir brauchen einen eigenen Startplatz, um unabhängig zu sein. Der Start von einer schwimmenden Plattform in der Nordsee hätte viele Vorteile, denn von dort aus würde eine Rakete auf einer langen Stecke übers Meer fliegen können. Das spart unter anderem Treibstoff und wäre auch deutlich sicherer als ein Startplatz auf dem deutschen Festland. 

Wie schnell wäre eine solche Plattform einsatzbereit?
Dass sich Raketen auch von Schiffen oder Plattformen auf dem Meer starten lassen, ist belegt. Wie schnell wir eine solche Plattform bekommen, hängt auch davon ab, wie viel Geld wir für die Entwicklung der Plattform auftreiben. Momentan finanzieren wir die Entwicklung des Spaceports mit eigenen Mitteln des Unternehmens und einer Unterstützung des Verkehrsministeriums. Aber selbst ohne weitere staatliche Förderung sollten wir in fünf Jahren von dort aus starten können. 

Welche Bedeutung hat Raumfahrt für unser Land? 
Wir sind alle von der Raumfahrt abhängig, in der Kommunikation und bei der Navigation etwa, aber auch die Wirtschaft. Raumfahrttechnologie spielt eine ganz zentrale Rolle in den Zukunftstechnologien. Wir müssen die Wichtigkeit der Weltraumtechnologie weiter propagieren.

Wenn Raumfahrt so wichtig für uns alle ist, warum hört man dann hier so wenig davon?
Raumfahrttechnik hat in Deutschland immer noch einen kleinen Makel. Insbesondere Raketen gelten hierzulande auch als Kriegssymbol. Das ist eine Folge des Zweiten Weltkriegs, in der Raketen aus Deutschland eine tödliche Waffe waren. Und was die Menschen vor allem interessiert, sind die Starts von großen Raketen, wie die in den USA

Beim Raketenbau stehen wir offenbar noch ganz am Anfang. Worin liegen denn momentan die größten Stärken der deutschen Raumfahrt?
Wir sind beispielsweise führend bei Satelliten zur Erdbeobachtung. Ohne sie gäbe es keine Wettervorhersage und keine Klimabeobachtungen. Aber auch militärische Aufgaben fallen zunehmend darunter, wie wir im Krieg in der Ukraine gerade erleben.

Das bedeutet, Sie werden auch von dem 500-Milliarden-Paket für die Verteidigung profitieren?
Selbst wenn wir die USA noch zu unserer Freundesseite zählen können, müssen wir Raumfahrt auch immer als strategische militärische Dimension mitdenken. Satelliten und andere Weltraumtechnologien können angegriffen werden. Die europäischen Assets in der militärischen Raumfahrtinfrastruktur sind, vorsichtig gesagt, lückenhaft. Die Kompetenzen sind hervorragend, es gab nur bisher zu wenig staatliches Budget für militärische Programme. Insofern brauchen wir eine Rakete, die uns den Zugang zum All ermöglicht. Während es früher hieß, unsere Freiheit wird auch am Hindukusch verteidigt, muss es heute heißen: Die Deutsche Freiheit wird auch im Weltraum verteidigt.

Raumfahrt ist Staatsaufgabe

Andere Länder wie Großbritannien haben ein eigenes Raumfahrtministerium, bei uns gibt es aktuell mit Anna Christmann lediglich eine Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt beim Bundeswirtschaftsministerium. Braucht es nicht mehr politische Aufmerksamkeit?
Raumfahrt ist Staatsaufgabe. Wenn sich die europäische Raumfahrtorganisation Esa alle drei Jahre trifft, um über neue Projekte zu beraten, dann ist das ein Ministertreffen. Auch in der Zwischenzeit sollte Raumfahrt in Deutschland eine Ministeraufgabe sein, dazu braucht es jedoch kein eigenes Ministerium. 

Ihr Unternehmen OHB hat einen Milliarden-Euro-Umsatz und ist nach eigenen Angaben einer der Weltmarktführer der Branche. Warum nur kennt Sie niemand außerhalb ihrer eigenen Bubble?
Das geht anderen Unternehmen, die keine Konsumgüter herstellen, ganz ähnlich. Wissen Sie, wer den Fehmarn-Belt-Tunnel baut oder die größte Eisenbahn-Trasse in Ostdeutschland? Auch wir sind letztendlich ein Infrastruktur-Unternehmen, das vielleicht nicht alle kennen müssen. Dennoch konkurrieren wir mit anderen Unternehmen um die raren Fachkräfte. Aber Raumfahrt übt auf angehende Ingenieurinnen und Ingenieure immer auch eine große Faszination aus. Das müssen wir weiter verstärken, auch um mehr junge Menschen für MINT-Fächer zu begeistern, also für Mathematik, IT, Naturwissenschaften und Technik. Unser wichtigster Rohstoff in Deutschland befindet sich nun mal zwischen den Ohren.   

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