Erstmals wurde im polnischen Pegasus-Überwachungsskandal ein hochrangiger Politiker angeklagt. Als damaliger Vize-Justizminister hatte Michał Woś einen Fonds angezapft, um den Staatstrojaner zu beschaffen. Jetzt spricht er von einem „illegalen Verfahren“ gegen ihn.
Langsam wird es ernst in der polnischen Untersuchung des Pegasus-Überwachungskandals. Zumindest für Michał Woś, der zwischen 2017 und 2018 stellvertretender Justizminister war. Dem rechtskonservativen Politiker wird vorgeworfen, die Beschaffung der Spähsoftware Pegasus mit illegalen Mitteln in die Wege geleitet zu haben.
Schon Ende Juni hatte das Parlament Woś, inzwischen Abgeordneter der PiS-Abspaltung „Solidarisches Polen“, die Immunität entzogen. Nach wochenlangem Hinhalten stellte er sich gestern den Behörden für ein Verhör zur Verfügung. Mit viel Kooperation war jedoch nicht zu rechnen. „Dies ist ein illegales Verfahren“, wetterte Woś im Vorfeld. „Die Staatsanwälte wurden nicht wirksam ernannt und haben daher kein Recht, Anklage zu erheben.“
Auch danach gab sich Woś unbeugsam. Wie der Nachrichtensender TVN24 berichtet, will er die nun offiziell erhobene Anklage nicht akzeptieren. Im Unterschied zur Staatsanwaltschaft sieht er sich nicht als Verdächtigen: „Ich habe keine Erklärung gemäß der Strafprozessordnung abgegeben, aber eine sehr umfassende Stellungnahme abgegeben“, sagte Woś nach dem Verhör.
Woś soll sich geweigert haben, das rund 20 Seiten lange Protokoll zu unterzeichnen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Deren Geduld könnte bald auf die nächste Probe gestellt werden: Woś muss künftig zwei Mal im Monat bei der zuständigen Polizeidienststelle erscheinen und darf nicht ohne Genehmigung das Land verlassen. Zudem wurde ihm der Kontakt mit mehreren Zeugen und Verdächtigen verboten, sagte der Sprecher.
Staat als Selbstbedienungsladen
Im Zentrum der strafrechtlichen Untersuchung steht der sogenannte Gerechtigkeitsfonds. Der soll eigentlich Opfer von Kriminalität unterstützen. Sein Zweck wurde von der PiS-Regierung indes auch für eine vage gehaltene Bekämpfung von Verbrechen ausgeweitet – so geriet der Fonds offenbar zu einem Selbstbedienungsladen für die damaligen Regierungsparteien. Dabei scheint die Korruption weit über den undurchsichtigen Fonds hinausgegangen zu sein, erklärte jüngst Ministerpräsident Donald Tusk: Insgesamt sollen bis zu 23 Milliarden Euro veruntreut worden sein.
Mit Mitteln aus dem Gerechtigkeitsfonds hatte schließlich die Antikorruptionsbehörde CBA (Centralne Biuro Antykorupcyjne) im Jahr 2017 den Staatstrojaner Pegasus angeschafft, Kostenpunkt: rund sieben Millionen Euro. Damit wurden in den nächsten Jahren etwa regierungskritische Jurist:innen oder der damalige Oppositionspolitiker Krzysztof Brejza überwacht.
Insgesamt dürften mindestens 600 Personen in Polen mit der Spähsoftware gehackt worden sein, darunter womöglich auch mehrere PiS-Regierungsmitglieder. Neben der strafrechtlichen Ermittlung untersucht ein Untersuchungsausschuss des Parlaments, ob die nationalkonservative PiS-Regierung Pegasus zum Ausspähen politischer Gegner eingesetzt hat. Zuvor hatte ein Bericht des Senats festgestellt, dass damit die Wahl im Jahr 2019 manipuliert worden sei.
Im Frühjahr fanden erste Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt. Im Juni beschlagnahmten Ermittler:innen Hard- und Softwarekomponenten des Spionagesystems sowie Dokumente, von denen sie sich weitere Hinweise auf den tatsächlichen Umfang des Skandals erwarten.
Komplettüberwachung mit Pegasus
Pegasus stammt von der israelischen Firma NSO Group. Mit dem Spionagewerkzeug lassen sich unbemerkt IT-Geräte wie Smartphones aus der Ferne knacken. Angreifer:innen erhalten damit in Echtzeit praktisch unbegrenzten Zugriff auf die Geräte – und damit auf das digitale Leben ihrer Opfer. Eigentlich soll das mächtige Werkzeug allein dem Kampf gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität dienen, verspricht der Hersteller.
Einschlägige Vorfälle in Polen, Ungarn und anderen Teilen der Welt hatten in den vergangenen Jahren jedoch gezeigt, dass der Staatstrojaner wiederholt missbräuchlich von Regierungen eingesetzt wurde.
Rechtliche Konsequenzen hielten sich bislang in Grenzen. Ein eigens eingerichteter Untersuchungsausschuss im EU-Parlament verlief weitgehend im Sand. Ein ähnlich gelagerter Spionageskandal rund um die Spähsoftware Predator wurde in Griechenland unlängst konsequenzenlos für beendet erklärt. Die USA hingegen haben die NSO Group mittlerweile auf eine Sanktionsliste gesetzt, dort sind zudem Klagen von Apple und Meta gegen das Unternehmen anhängig. Es nutzte Sicherheitslücken in ihren Apps und Systemen, um Zugang zu den Geräten zu bekommen.
Angeblich nur Spione enttarnt
Die Straflosigkeit könnte sich in Polen ändern, selbst wenn Michał Woś seine Unschuld beteuert. Pegasus sei rechtmäßig angeschafft und etwa für Gegenspionage eingesetzt worden, erklärte Woś in der eilig einberufenen Pressekonferenz vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft. Weder er noch der damalige Justizminister Zbigniew Ziobro, der ebenfalls ins Visier geraten ist, hätten darüber bestimmt, ob und wie der Staatstrojaner eingesetzt würde, sagte Woś.
„Ich werde strafrechtlich verfolgt und sie wollen mich für zehn Jahre ins Gefängnis stecken, weil der polnische Staat aufgehört hat, taub und blind gegenüber Kriminellen zu sein – dafür, dass der CBA legale Mittel zur Verfügung gestellt wurden“, sagte Woś.
Das klingt ganz anders als noch am Anfang des Überwachungsskandals vor drei Jahren. Damals wollte die amtierende PiS-Regierung lange nicht bestätigen, Pegasus überhaupt gekauft und eingesetzt zu haben. Der einstmalige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wollte die Affäre erst „ausländischen Mächten“ in die Schuhe schieben. Woś selbst wollte nicht einmal gewusst haben, was das für ein System sei. Später witzelte er in sozialen Medien über die Namensgleichheit des Überwachungstools mit einer Spiele-Konsole, den er in den 1990er Jahren gekauft habe.
Sein vermeintliches Unwissen hielten Woś gestern Journalist:innen vor, berichtet Gazeta.pl. Das habe daran gelegen, dass das Überwachungstool in Polen nicht Pegasus genannt werde, behauptete Woś daraufhin. In einem hitzigen hin und her fragte Woś schließlich einen Journalisten, ob ihn Donald Tusk geschickt hätte – und brach die Pressekonferenz frustriert ab.
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