3 months ago

Nothilfe-Strategie der Ampel: Wenn Saudi-Arabien mehr hilft als Deutschland



Das Auswärtige Amt erklärt in einer neuen Strategie, dass humanitäre Hilfe so wichtig ist wie nie für Deutschlands Sicherheit, Zuwanderung - und streicht ihr Budget zugleich um mehr als die Hälfte zusammen. So klappt das nicht, sagt Ralf Südhoff, Leiter des Nothilfe-Thinktanks CHA.

Was haben der Wunschzettel meiner Tochter und deutsche Nothilfe gemeinsam? Seit dieser Woche sehr viel. In einem Monat wird die Jüngste zehn Jahre alt. Je näher der Termin rückt, desto länger wird ihre Wunschliste. Und werden alle Appelle ignoriert, wenn wir nicht noch im Lotto gewinnen, wäre es besser sich auf zwei bis drei wichtigste Wünsche zu konzentrieren. Was für ein Déjà-vu, als vor wenigen Tagen das Haus von Außenministerin Annalena Baerbock die lang erwartete neue Strategie für die deutsche humanitäre Hilfe präsentierte – und kurz zuvor ein Budget, das selbst grüne Abgeordnete schockiert.

Diese Woche stellte das Auswärtige Amt Presse und Partnern das Strategiepapier für die nächsten mindestens vier Jahre vor. Ein wichtiger Moment, mit Spannung erwartet: So viele Menschen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr leiden Not weltweit. Zum einen durch immer mehr und immer länger währende Konflikte wie in Syrien, Jemen, Sudan, jüngst Ukraine und Gaza. Zum anderen ist der Klimawandel schon heute buchstäblich ein Desaster und löst im Schnitt pro Tag eine Katastrophe in Form von Tornados, Überschwemmungen oder Dürren weltweit aus.

Ralf Südhoff leitet den Thinktank Centre for Humanitarian Action. Zuvor arbeitete er zehn Jahre als Direktor beim UN-Welternährungsprogramm, unter anderem in Jordanien für die Syrienhilfe. Ralf Südhoff leitet den Thinktank Centre for Humanitarian Action. Zuvor arbeitete er zehn Jahre als Direktor beim UN-Welternährungsprogramm, unter anderem in Jordanien für die Syrienhilfe.

Ralf Südhoff leitet den Thinktank Centre for Humanitarian Action. Zuvor arbeitete er zehn Jahre als Direktor beim UN-Welternährungsprogramm, unter anderem in Jordanien für die Syrienhilfe.

Umso wichtiger, dass Deutschland seit etwa zehn Jahren ein wichtiger Geber der weltweiten Nothilfe geworden ist. Im Lichte der stark gestiegenen Zuwanderung syrischer Flüchtlinge 2015 und 2016 erkannte die damalige Kanzlerin Angela Merkel die Verantwortung Deutschlands, das bis dahin als "humanitärer Zwerg" gegolten hatte. Die Nothilfe Berlins stieg Schritt für Schritt bis auf 3,2 Milliarden Euro im Jahr 2022. So ist aus dem Zwerg bis heute ein respektierter Riese geworden, der leistet, was seine wirtschaftliche Größe und Verantwortung erwarten lässt.

Mit entsprechenden Hoffnungen wurde die neue Strategie des heutigen Topgebers verbunden, zumal die Krisenhilfe selbst in der Krise steckt: Noch nie war die Lücke so groß zwischen dem Bedarf an Nothilfe weltweit und dem, was Geberregierungen bereitstellen. Nicht einmal ein Viertel der benötigten Hilfe für 2024 ist im Herbst dieses Jahres finanziert.

Gerade in Großkonflikten wie der Ukraine, Gaza, Jemen, Syrien, Sudan wird die Hilfe auf allen politischen und praktischen Ebenen behindert oder beschossen. Noch nie verloren so viele humanitäre Helfer weltweit ihr Leben wie derzeit. Und lange versprochene, elementare Reformen der Hilfe werden verschleppt: Es ist Konsens, dass lokale NGOs und Helfer häufig viel wirksamer und günstiger Hilfe leisten können als die internationale Hilfsmaschinerie. Die ist zugleich jedoch auch ein Geschäft, ein Wettbewerb, ein Ausdruck von Macht. Auch deshalb hat sie in der Ukraine etwa lokale Hilfsgruppen vielfach verdrängt.

Auch klappt es oft nicht, kurzfristige Nothilfe mit langfristiger Entwicklungszusammenarbeit zu verquicken, welche die Ursachen der Not beseitigen und nachhaltig wirken soll. Deutschland mit seinem ewigen Wettbewerb zwischen Entwicklungsministerium und Auswärtigem Amt (AA) ist plakatives Beispiel dafür.

Viele spannende Themen und große Baustellen also. Welche davon würde Berlin künftig als Schwerpunkte benennen und ernsthaft voranbringen wollen? Das Ergebnis: ein langer Wunschzettel, der alle genannten Themen auflistet und noch ein halbes Dutzend mehr. Während die lange Liste von einem finanziellen Harakiri begleitet wird: Kurz bevor die neue Strategie des AA fertiggestellt war, veröffentlichte die Bundesregierung ihre Budgetpläne für die humanitäre Hilfe – und kürzte das Nothilfe-Budget um sage und schreibe 53 Prozent.

Dies ist umso verblüffender, als das Auswärtige Amt die Bedeutung der humanitären Hilfe just in der neuen Strategie in so vielen außen- und sicherheitspolitischen Feldern und diesen "Zeitenwende"-Jahren betont wie nie zuvor. Erste Überschrift der neuen Strategie: "Humanitäre Hilfe ist Teil der Integrierten Sicherheit".

Was damit gemeint ist, wird ausführlich beschrieben: "Wo Menschen das Lebensnotwendigste fehlt, wo Nahrung fehlt, entsteht sozialer Sprengstoff; Terrorgruppen, bewaffnete Milizen erhalten Zulauf, der Zusammenbruch der Ordnung kann ganze Regionen in den betroffenen Ländern destabilisieren. Alle humanitären Krisen haben das Potential, sich in unserer vernetzten Welt global auszuwirken. Häufig sind deutsche Sicherheitsinteressen davon direkt berührt."

Auch das Wechselspiel zwischen humanitärer Hilfe und der neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie" wird vielfach betont. Doch weil die Hilfe so wichtig ist, verspricht Berlin den ganzen fast 40-seitigen Wunschzettel zugleich: Mehr "Humanitäre Diplomatie" soll den Zugang zur Hilfe in Konflikten verbessern, mehr Fokus etwa auf Genderfragen soll sie inklusiver machen. Dazu möchte man sie präventiver, effizienter und transparenter gestalten, innovativ und koordiniert. Schließlich soll auch noch die Jahrhundertaufgabe gelingen, Nothilfe, Entwicklung und Friedensarbeit besser zu verzahnen.

Soweit die Wünsche. Nur einige entscheidende Fragen bleiben ohne Antwort: Wer soll das wie umsetzen? In einem Amt, das für humanitäre Fragen nur einen Bruchteil des Personals einsetzt, im Vergleich etwa zu London, Brüssel, Washington oder auch Stockholm?

Wer soll diese Wunschliste bezahlen, wenn das Ministerium die Mittel gleichzeitig halbiert? Und damit auch international sein Standing in dem Moment verspielt, in dem es all das dort durchsetzen möchte?

Und wie passt das zusammen: Die Bundesregierung unterstreicht, wie sehr Nothilfe, die per se humanitären Zwecken dient, auch für deutsche außen- und sicherheitspolitische Interessen bedeutsam ist – und haut ihr Budget im selben Atemzug in Stücke?

Wenn Deutschland wie geplant nur noch rund eine Milliarde Euro Nothilfe im Jahr 2025 finanziert, ist dies weniger, als Norwegen, Japan oder gar Saudi-Arabien heute leisten. Die Ampel-Regierung, welche im Koalitionsvertrag versprach, das Budget für Nothilfe zu erhöhen, hat es dann mit ihrem wohl letzten Budget seit 2021 auf rund ein Drittel geschrumpft.

Daran ist nicht nur das grüne AA schuld, doch die Schwarzer-Peter-Spiele der Ampel führen hier nicht weiter. Ja, weder Finanzminister Lindner noch Kanzler Scholz interessiert das Thema ernsthaft, und sie verlangen vom Auswärtigen Amt mit einem 17-Prozent-Schnitt erneut weit stärkere Kürzungen des Gesamtbudgets als von anderen Ministerien im Vergleich.

Doch Annalena Baerbocks Haus lässt es nun zu, dass die harten Budget-Schnitte mit 53 Prozent Kürzung fast ausschließlich in der Nothilfe erfolgen – die doch so wichtig ist wie nie - siehe oben. Wenn sich an diesem Budget nichts mehr ändert, fällt die deutsche Nothilfe unter grüner Leitung auf ein 10-Jahres-Tief. Damals, 2015, entschied Merkel, die humanitäre Hilfe drastisch zu erhöhen. Ihre Bedeutung nicht früher erkannt zu haben, nennt sie bis heute einen ihrer größten politischen Fehler.

Nun begeht die Ampel den nächsten historischen Fehler, mit einem langen Wunschzettel ohne Budget. Dies lässt sich noch reparieren. Dazu müsste sich das AA aber zumindest in der Umsetzung seiner Strategie auf wenige echte Prioritäten konzentrieren – und die Bundesregierung die Nothilfe bei den finalen Budgetverhandlungen im Herbst auch wieder ernsthaft finanzieren. Doch Stand jetzt käme das wohl tatsächlich einem Lotto-Gewinn gleich – auf den auch meine Tochter jetzt bis zu ihrem Geburtstag innig hofft.

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