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NRW-CDU-Neujahrsempfang: Angela Merkel fordert mehr Anstrengung: "Sonst werden wir es nicht schaffen!"



Altkanzlerin Angela Merkel hielt ihre einzige Wahlkampfrede. In Düsseldorf erschien eine reflektierte, aufgeräumte Weltpolitikerin – überraschend wohltuend im Krawallwahlkampf.

Station Airport, ein altes Terminal am Düsseldorfer Flughafen, heute eine Eventhalle. Hier hat die CDU NRW am Samstagmorgen zum Neujahrsempfang eingeladen. Ein Pianist und ein Saxofonist in schwarzen Anzügen spielen leicht verdauliche Fahrstuhlmusik. Easy-Listening im Halbplayback, darunter "Ain’t Nobody". "Niemand liebt mich besser, macht mich glücklicher, lässt mich so fühlen, niemand liebt mich besser als du", heißt es im Original von Chaka Khan. So fühlt man sich hier wohl gerade als CDU-Mitglied, im warmen Schoß der Parteimutter.

Die CDU in Gewinnerlaune

Auf der blauen Videowand reihen sich QR-Codes auf für die CDU-Auftritte bei Instagram, WhatsApp, X, Threads und Facebook. "Folgt uns", steht darüber, das Duz-Virus hat inzwischen auch die Christdemokraten befallen. Davor gibt der CDU-Hoffnungsträger in eigener Sache, Jens Spahn, erste Interviews, bevor die Redner kommen. Alles ganz locker, man ist in Gewinnerlaune. 

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Zunächst richtet sich eine Stimme aus dem Off an die rund 1300 Besucher: "Schnallen Sie sich an", ruft sie, hier "lande" gleich die "Kapitänin" Merkel. "Vielen Dank, dass Sie heute mit Union Air fliegen." So geht es weiter. Metapher-Overboarding, könnte man sagen 

Dann: Disco-Beat von Avicii, "Good Feeling", rhythmisches Klatschen. Die Heroen ziehen ein: Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von NRW, Paul Ziemiak, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes. Und Angela Merkel, die Altkanzlerin mit der Aura der Alleskönnerin. Es ist der einzige Besuch der alten Dame bei einer Wahlkampfveranstaltung 2025. 

Sie hat sich den CDU-Landesverband von Hendrik Wüst ausgesucht, wahrscheinlich der Mann, der sich seit ihrem Abgang von Merkel am wenigsten distanziert hat. Als Ministerpräsident hat er ihr 2023 den Verdienstorden des Landes NRW umgehängt. Und bei beiden kann man sich absolut sicher sein, dass ihre Loyalität zu Merz mehr dem parteisoldatischen Pflichtgefühl entspringt, aber nicht voller Überzeugung. Merz gehört übrigens auch zum Landesverband NRW. Aber er ist heute nicht gekommen.

Merkel wird wie eine Erlöserin gefeiert

Die Bühne füllt sich mit jungen Leuten. Der Kölner Jugendchor St. Stephan performt den Dauerbrenner "Halleluja" von Leonhard Cohen. Damit soll wohl das "C" im Parteinamen unterstrichen werden. Nur bleibt das Lied wohl auf ewig missverstanden, es ist alles andere als christlicher Lobpreis. Es folgt "Oh, happy day, when Jesus comes". Heute ist nur Merkel da, aber sie wird ähnlich gefeiert werden wie der Erlöser.

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Erster Redner: Paul Ziemiak, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Er begrüßt und begrüßt und begrüßt, verdiente CDU-ler und Vertreter von anderen Organisationen, den Oberbürgermeister, natürlich auch die grüne Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur, mit der es so gut läuft an Rhein und Ruhr, dass sich viele Rot-Grün auch auf Bundesebene wünschen. "Bitte versorgen Sie sich zuerst selbst, bevor Sie anderen helfen“, sagt Ziemiak schon mal mit Blick auf den anschließenden Snack. Lacher.

"Anführerin der freien Welt" 

Dann betritt Wüst die Bühne, begrüßt Merkel als ehemalige "Anführerin der freien Welt". Mit ihr sei Deutschland besser auf Trump vorbereitet gewesen als heute. Aber ein Kanzler Merz könne das richten, er sei "der Richtige für diese Aufgaben".

 NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verleiht Altkanzlerin Angela Merkel 2023 den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen.Spassgemeinschaft: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verleiht Altkanzlerin Angela Merkel 2023 den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen.
© Martin Meissner/

Wüst spricht leise, unaufgeregt, scharf, ohne zu beleidigen. "Die Demokratie als Ganzes hat unglaublichen Schaden genommen", wirft er der Ampelregierung vor. Diese "unglaubliche ständige Streiterei". Am Anfang habe die Welt das noch belächelt. Doch nun? Deutschland müsse wieder Führung übernehmen in Europa. "Aus engsten Freunden müssen wieder Partner werden."

Sicherheit, Wohlstand, Bildung – alles im Argen

Wüst erinnert an die Tugenden der jungen Republik. An die Adenauer-Versprechen, die Vertrauen in die Demokratie geschaffen hätten. Die das Fundament der Bundesrepublik gebildet hätten: Sicherheit, Wohlstand, Aufstieg durch Bildung. All das liege im Argen. Es gehe nicht mehr um "Kleinigkeiten", sondern um "grundlegende Entscheidungen". Sein Fazit: "Olaf Scholz war vom ersten Tag an der falsche Kanzler." Die gute Nachricht sei: "Es sind nur noch fünf Wochen."

Vor Merkel singt noch einmal der Chor: "Du hast den Farbfilm vergessen", von Nina Hagen. Merkel hatte das Lied bei ihrem Abschied als Kanzlerin gewünscht.

Sie betritt die Bühne, vertraute Optik, lila Jackett, schwarze Hose. Sie wünscht erst mal der CDU das allerbeste und dass "Friedrich Merz das Mandat erhält". Knappe versöhnliche Wort einer Frau an einen Mann, mit dem sie lange spinnefeind war. 

Kampf gegen Staatsverächter

Wer erwartet hatte, dass Merkel nun den Hammer kreisen lässt, wird enttäuscht. Sie gibt die Politikerin von Welt, die sie 16 Jahre lang war. Sie macht keinen Hehl daraus, wie ihr diese vielen Staatsverächter missfallen, die sich in der Gesellschaft breitmachen. Sie fordert dazu auf, "Farbe zu bekennen" in der zunehmend komplizierten Welt. Sie beschwört den europäischen Geist, die EU sei "unsere Lebensversicherung": "Ohne die Europäische Union wären wir in dieser Welt von über acht Milliarden Menschen verloren." Sie nennt aber auch "klimaneutrales Wirtschaften" als eines der großen Ziele, das die deutsche Politik verfolgen müsse. Manche in der CDU haben es auf der Prioritätenliste nach unten geschoben.

Dann rechnet sie mit Putin ab, der das "Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen" außer Kraft gesetzt habe. "Das Thema Krieg und Frieden steht wieder vor unsere Tür", warnt sie und setzt als Gegenmittel auf die Nato – mit der USA. Auf "glaubwürdige Abschreckung". Zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für die Wehrfähigkeit reichten dafür womöglich nicht.

Sie rechnet auch mit Trump ab, dessen erste Amtszeit sie durchlebt und -litten hat und der in zwei Tagen erneut die US-Macht ergreift: "Er glaubt, es gibt immer nur einen Gewinner und einen Verlierer." Sie glaube dagegen an Zusammenarbeit und Kompromisse: Man erreiche so mehr, "als wenn man nur allein gewinnt". Große Anstrengungen seien nun nötig, "da hat die Ampelregierung in den drei Jahren die Chancen nicht genutzt".

Philosophischer Schnellkurs

Und dann wird sie philosophisch. "Wer ist das Volk?", fragt die Frau, die unter dem Ruf "Wir sind das Volk" mitgeholfen hat, die DDR-Diktatur zu beenden. Sie räsoniert über Verantwortung von Staat und Bürgern. Merkel zitiert den Verwaltungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Als ehemalige DDR-Bürgerin sagt sie: "Wir wollten die Freiheit und bekamen damit auch die Verantwortung." Einige im Publikum, die eher zum Feiern gekommen waren, sind nun sichtlich überfordert: Sie greifen zum Smartphone und checken Mails.

Dann geht sie noch auf soziale Medien und Fake News ein, auf Desinformationskampagnen. Hier brauche es die "Leitplanken des Staates". Man solle nicht auf Behauptungen reinfallen, die Meinungsfreiheit solle eingeschränkt werde. Die Wahrheit sei auch in Zeiten der Digitalisierung Wahrheit, und die Lüge bleibe Lüge. Wenn es einmal gelänge, das Volk zu spalten, sei "die Kluft zwischen Staat und Volk aufgerissen."

Vertrauen in die Freiheit zurückgewinnen

Am Schluss fordert sie noch einmal, Farbe zu bekennen. Sich ins Zeug zu legen, um das Vertrauen in den freiheitlichen Staat zurückzugewinnen. "Sonst werden wir es, um ein Wort aus meinem Repertoire zu gebrauchen, nicht schaffen." Rauschender Beifall. Standing Ovations.

Der Jugendchor noch einmal: "Freude schöner Götterfunken." Alle stehen auf. Dann die Nationalhymne. Und abschließend der Queen-Hit "Don’t stop me now".

Merkel hat ihren möglichen CDU-Nachfolger Merz an diesem Samstagmorgen nicht gestoppt. In den Himmel gehoben hat sie ihn aber auch nicht.

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