Fünf Fragen an den Politikwissenschaftler Winfried Böttcher über Donald Trumps Regierungsbildung und die Gefahren für Europa durch allseits aufstrebende Despoten.
Herr Böttcher, was läuft gerade falsch, dass immer mehr große Nationen in die Hände von Autokraten fallen?
Die Demokratie ist weltweit unter Druck. Die "Intelligence Unit" des britischen "Economist" kommt in einer Studie von 2024 zu dem Ergebnis, dass der Zustand alarmierend ist. Nach ihrem "Demokratie-Index" mit Kategorien von 1 bis 10 Punkten leben nur noch 26 von 167 untersuchten Staaten in einer "vollständigen Demokratie". In "mängelbehafteten" Demokratien leben weitere 37,6 Prozent der Weltbevölkerung, zum Beispiel Indien mit seinem nationalistischen Hinduismus.
Menschen in 93 Staaten leben schon heute in unfreien, autokratischen Verhältnissen – Tendenz steigend. Die Attraktivität des Autokratismus ist vielfältig und komplex. Dazu gehören die Sehnsucht vieler Menschen nach starker politischer Führung, der Vertrauensverlust in die politischen Eliten, das Gefühl, es gehe in der Gesellschaft nicht gerecht zu sowie der Glaube an die permanent verbreiteten Lügen und Fake News, die durch ständige Wiederholungen zu neuen Wahrheiten werden.
Welche Eigenschaften zeichnen Tyrannen der Moderne aus?
Die Charakteristik, die einen Tyrannen ausmacht, hat sich in der Geschichte nicht verändert. Der Harvard-Literaturwissenschaftler und Pulitzerpreisträger Stephen Greenblatt hat 2018 in seinem bemerkenswerten Buch "Der Tyrann: Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert" meisterhaft herausgearbeitet, dass solche Typen an jedem Ort und zu jeder Zeit zuschlagen können. Am Beispiel von William Shakespeares Richard III. weist er nach, wie verblüffend ähnlich sich der Tyrann des 15. und des 21. Jahrhundert sind. Greenblatts Analyse ist eine Warnung und ein Merkbuch an alle, die sich nicht verführen lassen wollen.
Richard III. und Donald Trump sind durch gleiche Wesenszüge geprägt: durch grenzenlose Selbstliebe, durch das Brechen von Gesetzen, durch das zwanghafte Bedürfnis, Überlegenheit zu spüren. Sie sind pathologische Narzissten und in höchstem Maße arrogant. Sie verfügen über eine groteske Anspruchshaltung und haben nie einen Zweifel daran, dass sie tun können, was sie wollen. Sie erwarten unbedingte Loyalität und haben keinen natürlichen Anstand, keine Vorstellung von Mitmenschlichkeit, kein Schamgefühl.
Was hat die freiheitsliebenden US-Bürger dazu gebracht, mit großer Mehrheit den Despoten Donald Trump zu wählen?
Das ist die Frage! Was bewegt mehr als die Hälfte der Amerikaner, einen "Faschisten" (Zitat von Ex-US-General Mark Milley, Anm. d. Red.), einen verurteilten Straftäter, einen Aufwiegler zum Sturm auf das Kapitol, einen Unternehmer mit vier Insolvenzen zu wählen? Wahrscheinlich wissen die US-Amerikaner das selbst nicht. Wie tief muss diese Gesellschaft gesunken und gespalten sein, um das zu tun?
Eine Antwort entzieht sich jeder rationalen, nachvollziehbaren Analyse. Zwar gibt es eine Reihe von Hinweisen, wie Abstiegssorgen der Mittelschicht, Zukunftsängste der Jugend, die Angst vor dem bedrohlich Fremden; es besteht ein Angstgemisch von unkontrolliertem Ausmaß. Nach meiner Ansicht ist vor allem der letzte Grund der ausschlaggebende für die Wahlentscheidung gewesen: Die Furcht vor allem, was fremd ist, ist tief verwurzelt in der menschlichen Psyche. Diese Angst hat Trump geradezu in skrupelloser Meisterschaft in Wählerstimmen umgewandelt.
Was wird in den kommenden vier Jahren in den USA passieren?
Die größte Gefahr, die von einer zweiten Präsidentschaft Trump ausgeht, ist die Rache, die er immer wieder beschworen hat. Die Rache, seine Gegner zu vernichten: "Wir versprechen Euch, dass wir die Kommunisten, die Marxisten, Faschisten und die radikalen Linken ausrotten werden, die wie Ungeziefer in unserem Land leben."
In seiner ersten Präsidentschaft hatte er in seinem Umfeld noch aufrechte Demokraten. Betrachtet man dagegen jetzt die Zusammensetzung seines Gruselkabinetts, dann gewinnt man den Eindruck, es könnte ihm gelingen. Die Ernennung von Matt Gaetz, dem rechtsextremsten Republikaner aus Florida und Verschwörungstheoretiker, zum Justizminister steht für die Zerstörung der Demokratie (es ist sein oft geäußerter Plan). Diese Institution ihrer Unabhängigkeit zu berauben und sie zum verlängerten Arm des Präsidenten zu machen, markiert den Beginn der Zerstörung. Gaetz wird mit dem Versuch beginnen, die ehrwürdige, älteste moderne Demokratie der Welt in eine Autokratie zu überführen. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die fast 250 Jahre alten demokratischen Institutionen auch einem der gefährlichsten Despoten der amerikanischen Geschichte widerstehen.
PAID Trumps Verteidigungsminister 18.30
Welche autokratische Gefahr droht der Demokratie in Europa und Deutschland?
Liest man den überschwänglichen Glückwunsch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban an Donald Trump, hat man einen weiteren Beleg dafür, dass die Autokratie mitten in Europa angekommen ist. Autokraten aller Länder vereinigt euch! Schon bei der Siegesfeier am 25. April 2010 verkündigte Orban vor seinen Anhängern: "Eine Ordnung kann man nicht verändern, man kann sie nur umstürzen und eine neue errichten."
Schritt für Schritt hat Orban sein Vorhaben umgesetzt: Er hat Ungarn zentralisiert, die Medien kontrolliert, den angeblich illoyalen Beamtenapparat gesäubert. Er hat die Verfassung nach Belieben angepasst, nun sichern schon 40 Prozent Wahlergebnis eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Er hat Gerichte und Staatsanwälte gleichgeschaltet, drangsaliert NGOs, diffamiert Minderheiten, schränkt Sozialmaßnahmen und Arbeitnehmerrechte ein. Seine Maßnahmen sind eine Blaupause dafür, wie man eine liberale Demokratie zerstört. Auch in Deutschland sind autokratische Tendenzen unverkennbar. Da wir aber wissen, wie eine Demokratie zerstört werden kann, wissen wir auch, wie es zu verhindern ist.