
Nach dem Anschlag auf Demonstranten in München dominiert die Migrationspolitik am Donnerstagabend die Talkshow mit Maybrit Illner im ZDF. Die Migration nach Deutschland muss begrenzt werden. Da sind sich alle Vertreter der kleinen Bundestagsparteien einig. Fast.
Zehn Tage vor den Bundestagswahlen passiert das, wovor sich wohl jeder Politiker fürchtet: In München fährt ein 24-jähriger Afghane in eine Gruppe Demonstranten, 28 Menschen werden schwer verletzt. Und wieder wird darüber diskutiert, wie man derartige Verbrechen in Zukunft verhindern könnte. Auch die Gäste bei Maybrit Illner im ZDF streiten am Abend darüber. Es sind Vertreter der kleinen Bundestagsparteien, bei denen nicht klar ist, ob sie im nächsten Bundestag vertreten sind.
"Diese Anschläge können überall stattfinden", sagt der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt. Er könne die Wut vieler Bundesbürger nach dem Anschlag verstehen. "Das, was sehr viele Menschen in Deutschland inzwischen teilen, ist die Überforderung, das ist schlichtweg die Grenze, die überschritten ist, es ist das System, das nicht mehr funktionsfähig ist. Und deswegen macht es zwar immer Sinn, auch über den Einzelfall zu diskutieren. Aber wer eine Lösung will, der muss eine Bereitschaft haben, zu erklären, dass die Überforderung erreicht ist, dass das System neu eingestellt werden muss. Und das geht nur, wenn die Zahlen dramatisch sinken. Und deswegen muss es eine Neuordnung des Migrationssystems geben. Die illegale Migration muss gestoppt werden, und das muss die logische Schlussfolgerung aus dem sein, was wir seit Monaten in Deutschland erleben." Dobrindt kritisiert zudem, dass es keine Abschiebungen nach Afghanistan gibt. Sein Fazit: "Das System funktioniert nicht mehr."
Kubicki will mit Taliban verhandeln
Die Tatsache, dass Menschen aus Afghanistan nicht in ihre Heimat abgeschoben werden, ärgert auch den an diesem Abend gesundheitlich leicht angeschlagenen Wolfgang Kubicki von der FDP. Man dürfe nicht die Hände in den Schoß legen und nicht mit den in Afghanistan herrschenden Taliban reden, weil diese die Frauenrechte verletzen. "Das macht die Menschen langsam irre. Und wenn Frau Baerbock mit den Taliban nicht reden will, dann muss es jemand anderen geben, der da hinfährt." Kubicki hatte angeboten, entsprechende Verhandlungen zu führen. "Ich werde da wahrscheinlich nicht die feministische Außenpolitik beachten. Aber entscheidend ist: Wir haben eine Milliarde Entwicklungshilfe in den letzten drei Jahren für Afghanistan geleistet. Warum können wir unsere eigenen Interessen mit den Interessen der anderen nicht verbinden und sagen: Zahlungen gibt es nur, wenn ihr uns entgegenkommt. Ich bin sicher, da lässt sich sehr viel machen. Zu sagen, wir reden mit denen einfach nicht, ist das Schlimmste, was wir tun können." Was Kubicki allerdings verschweigt: In der Ampelregierung gab es einen Politiker, der für Rückführungsabkommen zuständig war. Der hieß Joachim Stamp. Er ist FDP-Mitglied, genau wie Kubicki.
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht fordert, die Aufnahme von Migranten deutlich zu begrenzen. Und: "Wenn einer Gewaltdelikte verübt, dann muss das Asylverfahren abgebrochen werden und derjenige muss ausgewiesen und auch abgeschoben werden. Und auch wenn er einen Schutzstatus hat. Wenn wir Menschen Schutz geben, und sie missbrauchen diesen Schutz, um hier gewalttätig zu werden, dann ist die Politik auch verpflichtet, die eigene Bevölkerung zu schützen."
Das wollen die Parteien
Und trotzdem ist die Lehre aus den letzten Anschlägen: Die Behörden sind offenbar völlig überlastet. Das weiß auch Alexander Dobrindt. "Das ist ein Politikversagen. Die Politik lässt die Überlastung der Behörden zu. Dann darf man nicht erwarten, dass das noch funktioniert." Die Behörden seien durch die illegale Migration überlastet, und das sei noch ein Grund mehr, sie zu begrenzen.
Das sieht Kubicki auch so. Zudem möchte er die Abschiebung ausreisepflichtiger Migranten, deren Asylanträge abgelehnt wurden, deutlich beschleunigen. Wagenknecht weist darauf hin, dass viele dieser Migranten aus Kriegsgebieten stammten und fordert daher: "Wir sollten die Konsequenz daraus ziehen, dass wir solche Kriege nicht mehr führen."
Da stimmt auch Gysi zu. Die Linke ist zudem gegen das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), das im nächsten Jahr starten soll. Sie lehnt Asylverfahren an den EU-Außengrenzen ab und will zudem die Agentur Frontex abschaffen, die für den Schutz der EU-Außengrenzen zuständig ist. FDP, CSU und BSW wollen Migranten an den Grenzen zurückweisen, wenn sie keine Aufenthaltsberechtigung in Deutschland haben. Die FDP spricht sich außerdem für die Aussetzung von Familiennachzug zu Menschen mit einem Schutzstatus aus, die CSU fordert unbefristete Abschiebehaft für abgelehnte Asylbewerber, das BSW will das GEAS so schnell wie möglich umsetzen und Asylverfahren an die EU-Außengrenzen verlegen.
Müssen vermeiden, dass diese Straftaten passieren
Gysi und Wagenknecht fordern außerdem, dass verurteilte Gewalttäter ihre Haft in einem deutschen Gefängnis absitzen. Dobrindt und Kubicki sind absolut dagegen. Kubicki: "Ich bin dafür, dass wir Leute hier verurteilen, aber dann nach Hause schicken. Warum sollen die hier 10, 15 Jahre bei uns im Knast sitzen und auf Steuerzahlerkosten versorgt werden? Das Entscheidende ist, dass wir damit einen Hebel haben, die Einreise zu verhindern. Sie können ausgewiesene Straftäter an der Grenze zurückweisen." Und Dobrindt fügt hinzu: "Wir müssen vermeiden, dass diese Straftaten passieren. Und deswegen dürfen diese Leute nicht mehr in dem Maße in unser Land."
Klar ist: Die Migrationspolitik wird gerade nach den Anschlägen der letzten Wochen zu einer Zerreißprobe für die demokratischen Parteien werden. Sie werden die Sondierungs- und Koalitionsgespräche nach den Wahlen mit einer besonderen Sensibilität führen müssen, an der es ihnen vor allem in den letzten Wochen häufig mangelte.