1 day ago

Migrations-Debatte: Die SPD sucht den Showdown mit Merz



Nach dem schneidigen Asylvorstoß des Unions-Kanzlerkandidaten versucht die SPD in die Offensive zu kommen. Das Kalkül dahinter ist offensichtlich.

Ist das der Moment, auf den die SPD gewartet hat? Der erhoffte Kontrollverlust des Gegners – und das ersehnte Konjunkturprogramm für die Kanzlerpartei, die nur wenige Wochen vor der Wahl bange auf die Umfragelage blickt? 

Nach dem schneidigen Asylvorstoß von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz und dessen Ankündigung, im Zweifel auch Stimmen der AfD für mögliche Mehrheit in Kauf zu nehmen, platzierte die SPD-Kampagne jedenfalls prompt eine Zitatkachel im Netz: "Keine Zusammenarbeit mit Nazis. Seit 1863." 

Das Bollwerk gegen den Faschismus zu sein gehört zum Selbstverständnis der Sozialdemokraten. Das Ur-Motiv soll nun den schleppenden Wahlkampf wiederbeleben, die eigenen Anhänger mobilisieren. Schließlich sei die "Brandmauer" von Merz, wie die Co-Parteivorsitzende Saskia Esken am Samstag in Wiesbaden betonte, "aus Papier gebaut" und "brennt lichterloh". 

Dabei steht vor allem die Kanzlerpartei unter Feuer, ringt nach den Morden in Aschaffenburg um eine Strategie und um die Deutungshoheit in einer zunehmend erregt geführten Debatte. 

Die Partei wirkt getrieben von der Union und ihren vollmundigen Asylplänen: Zieht die SPD denn gar keine neuen Schlüsse aus den Gewalttaten der vergangenen Monate? Diese Frage steht im Raum, aufgeworfen vom CDU-Vorsitzenden. Durchsichtig, aber effektiv. Ausgerechnet kurz vor der Bundestagswahl – bei derzeit desaströsen Umfragewerten. 

Ein kommunikativer Spagat

Die SPD versucht nun wieder in die Offensive zu kommen, indem sie den Showdown im Parlament sucht. Das Kalkül: Merz soll als Blockierer und Spieler überführt werden, dem man das Land nicht anvertrauen dürfe, sei er doch schon als Kandidat für das Kanzleramt im Begriff, einen "Tabubruch" zu begehen. Gemeint: Dass die Union auch Stimmen der AfD für eine mögliche Mehrheit in Kauf nehmen würde. Während die SPD stabil stehe, anständig und besonnen handle. So jedenfalls will es die SPD verstanden wissen. 

Aber handelt die SPD überhaupt – oder moppert sie nur gegen Merz‘ Vorschläge? Dieser Eindruck drohte allmählich festzusetzen. Kanzler Olaf Scholz und seine Genossen hatten sich zunächst darauf verlegt, die Unionspläne als politisch wie juristisch heikel zu diffamieren. Was fehlte: eigene Impulse, die über das Klagen über "Vollzugsdefizite" bei den Behörden hinausgehen. Die SPD arbeitet nun an der Gegenerzählung. Am Montagvormittag, wohlgemerkt drei Tage nach dem Merz-Vorstoß, fasste der Parteivorstand einen Beschluss, wonach man "konsequent für die Sicherheit in Deutschland" eintrete. Was Tatkraft suggerieren soll, ist kommunikativ ein Spagat. 

Analyse Merz Asylmanöver 6:10

So werden die "vielen weitreichenden Maßnahmen", die unter Scholz‘ Führung in der Migrationspolitik getroffen worden seien, als effektiv verteidigt: Die Asylgesuche seien gesunken, die Abschiebungen gestiegen. Gleichzeitig will die SPD-Spitze den Eindruck vermeiden, im Schatten von Aschaffenburg nicht zu neuen Maßnahmen bereit zu sein. "Sollten sich im Zuge der Aufklärung Gesetzeslücken auftun", heißt es vorsichtig in dem Beschluss, "werden wir diese schließen". Es geht schwammig weiter: Man werde "alles" dafür tun, dass die Sicherheitsbehörden solche Taten in Zukunft verhinderten. "Weitere Schritte werden wir konsequent gehen." Zusätzliche Verschärfungen in der Migrationspolitik werden in dem Beschluss aber nicht gefordert. 

Stattdessen drängen die Sozialdemokraten auf die Umsetzung bereits getroffener Gesetzesentwürfe. Einige davon sollen noch in dieser Woche im Bundestag zur Abstimmung gestellt werden, heißt es. Dann müssten sich auch CDU und CSU dazu verhalten. Ob es die Punkte auf die Tagesordnung des Parlaments schaffen, hängt aber auch von der Union ab, die hier blockieren könnte. Derzeit zurren die Fraktionsmanager aller Parteien das Programm für die laufende Woche fest, am Dienstag soll es stehen. 

"Die SPD lässt sich von der Union nicht unter Druck setzen"

"Wir können in dieser Woche noch offene Punkte des Sicherheitspakets zum Abschluss bringen, die von der Union aber bisher blockiert werden", sagt Dirk Wiese, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, dem stern. Zudem liege das Bundespolizeigesetz auf dem Tisch, auch die nationale Umsetzung der europäischen Flüchtlingsregeln (GEAS) könne begonnen werden. 

"Das würde tatsächlich etwas ändern", meint Wiese. Die Union könne dann schauen, ob sie tatsächlich etwas bewegen wolle oder an ihrer "Schaufensterpolitik ohne Folgen" festhalte. Ihre Vorschläge seien mit der Verfassung und europäischem Recht unvereinbar, kritisiert Wiese, sie würden von Gerichten wieder schnell kassiert. "Die SPD lässt sich von der Union nicht unter Druck setzen." 

Die Genossen wollen es im Zweifel wohl darauf ankommen lassen. Matthias Miersch, der SPD- Generalsekretär, gab nach der Sitzung des Parteivorstands den Ton vor. 

Gegen die Anträge der Union werde man nicht "geschäftsordnungstechnisch" vorgehen, sagte Miersch in der Berliner Parteizentrale, diese also nicht vorzeitig aus dem Verkehr ziehen. Wolle Merz seine Vorschläge zur Abstimmung stellen, dann solle er das tun – und der Öffentlichkeit zeigen, dass er den "Tabubruch" vollziehe. Es klingt wie: Soll die Union doch mal in die von ihr selbst gestellte Falle laufen.

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"Wer das tut, wer die AfD, die Weidels, Höckes und Co. in sein Haus lässt, der wird sie aus diesem Haus nicht mehr herausbekommen", sagte Miersch. Die SPD setze da ein "klares Stoppsignal", der gesellschaftliche Zusammenhalt dürfe auch bei "schwierigen Anlässen" nicht infrage gestellt werden. Eine Grundlage für einen Kompromiss sieht Miersch in den Unions-Vorschlägen derzeit nicht. Die SPD mache daher Gegenvorschläge im Rahmen der eigenen parlamentarischen Möglichkeiten. 

Mit dem Kampf gegen rechts versucht die SPD seit jeher ihre Wählerschaft zu mobilisieren, allerdings dürfte das den Rückstand zur Union – je nach Erhebung von 16 bis 17 Prozent – kaum wettmachen. Bei der Europawahl hatte dieser Kurs kaum gezogen. Und hinter vorgehaltener Hand räumen Genossen ein, dass Merz mit seinem vollmundigen Manöver einen Nerv in der Bevölkerung getroffen habe. Da schwingt mit: Es werden Ergebnisse erwartet, nicht unbedingt "Brandmauer"-Debatten. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage für die "Bild"-Zeitung kann sich sogar einer Mehrheit der SPD-Wähler (56 Prozent) hinter Merz‘ Vorschlag versammeln, Migranten ohne Papiere und Asylsuchende an allen deutschen Grenzen abzuweisen.

Kanzler-Rede am Mittwoch

Die SPD versucht daher auch die Erzählung von Olaf Scholz als Kanzler, der keine waghalsigen Experimente macht, vor allem nicht mit rechtspopulistischen Kräften, wiederaufleben zu lassen. 

"Friedrich Merz fällt erneut auf durch Impulsivität und viel Lyrik ohne Substanz", sagt Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, dem stern. Statt die "Backen aufzublasen", sollte die Union sich den Vorschlägen der SPD nicht in den Weg stellen, fordert die SPD-Fraktionsmanagerin. "Wir wollen eine europäische Lösung. Europa ist der Schlüssel." 

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Diesen Sound dürfte auch Scholz selbst anstimmen, wenn er voraussichtlich Mittwochmittag eine Regierungserklärung im Bundestag abgibt. Auch dieser Tagesordnungspunkt wird derzeit noch final abgestimmt.

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