1 month ago

Meinung: Klimapolitik? Bitte schweigen Sie, Herr Merz!



Friedrich Merz stellt die Energiewende infrage und verbreitet Hoffnung auf eine schnelle Kernfusion. Doch für solchen Unsinn hat die sich erhitzende Welt keine Zeit.

Heute beginnt in Baku die 29. UN-Klimakonferenz. In Aserbaidschan kommt die Weltgemeinschaft zusammen, um zu verhindern, dass Mutter Erde klimatisch ins Miozän zurückfällt. Vor rund 15 Millionen Jahren lebten in unseren Breitengraden noch keine Menschen. Dafür wuchsen Palmen in einer unerträglichen Dauerhitze. 

Eine solche Gefahr ließe sich wohl verhindern, wenn vor allem die Menschen in den Industriestaaten sehr viel schneller Strom und Waren nachhaltig produzierten und klüger konsumierten. An dieser Erkenntnis zweifelt kein ernstzunehmender Wissenschaftler mehr.

Aber es gibt ja noch Friedrich Merz, den CDU-Vorsitzenden und womöglich nächsten Kanzler der viertgrößten Industrienation auf der Welt.

Seit Jahren kämpft Friedrich Merz gegen die Energiewende

Der Mann aus dem Sauerland, dessen Höhen übersät sind mit durch den Klimawandel verreckten Fichten, erklärt immer unverblümter seinen Ausstieg aus der deutschen Energiewende, sobald ihm die Macht des Amtes übertragen worden ist. In der Talkshow "Maybrit Illner" hat er jüngst mal wieder die Waffe gezogen und auf Wärmepumpen und E-Autos geballert, obwohl diese Techniken global als klimafreundlich und zukunftsweisend anerkannt sind. 

"Wir müssen raus aus der Bevormundung der Leute", sagt Merz fadenscheinig. Dieses Argument trug er nicht das erste Mal vor. Seit die Ampel im Amt ist, zerredet der CDU-Chef grüne Techniken mit an Ignoranz grenzender Verve. Sein Revolver weist inzwischen reichlich Kerben auf, für all die Attacken, die Verbraucher maximal verunsichert haben. Mit der Folge, dass der deutsche Markt für Wärmepumpen und Stromer schmerzlich eingebrochen ist. 

Merz Titelgespräch Heft 0200

Jetzt hat er noch eins draufgelegt. Er stellt den Deutschen in Aussicht, die Windräder bald wieder abbauen zu können, "weil sie hässlich sind und weil sie nicht in die Landschaft passen." Wer bis Donnerstag geglaubt hatte, diese Argumentation sei – zum Glück – längst überwunden, hat nicht mit Merz gerechnet. Er scheut sich in diesem Punkt nicht, sich an die letzten Wutbürger ranzuwanzen, die, wie Don Quichotte, noch immer aus Egoismus gegen Windräder kämpfen. Es ist die höchste Stufe des Populismus.

Richtig schlimm ist aber, dass Merz zugleich im Stil des Laienwissenschaftlers völlig überzogene Hoffnung verbreitet. Er setze auf Kernfusion zur Energieerzeugung, sagt er, also das Prinzip, mit dem die Sonne funktioniert. Deutschland bekomme zwei große Fusionsreaktoren: "Wir wollen hier den ersten am Netz haben." 

Das tut forschenden Klimaexperten wirklich weh. Weil es absolute Zukunftsmusik ist, von der niemand weiß, ob sie jemals erklingen wird.

Die Kernfusion verharrt im Stadium der Erforschung

Seit Jahrzehnten verharrt die Kernfusion im Stadium der Erforschung, so das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Nirgend auf der Welt gibt es eine Versuchsanlage, die mehr Energie erzeugt, als sie für ihren Betrieb benötigt. Die meisten Wissenschaftler setzen auf die sogenannte Deuterium-Tritium-Fusion, wo Kernfusion mithilfe eines Magnetfelds stattfindet. Bislang gibt nicht einmal eine Lösung, wie man dabei das 150 Millionen Grad heiße Plasma im Magnetfeld dauerhaft halten kann. 

Der bekannteste Prototyp der Welt ist ITER im französischen Cadarache. Dieser ist ausschließlich darauf angelegt, die Machbarkeit der Kernfusion zu demonstrieren; er soll keinen Strom erzeugen. Ursprünglich sollte der Erfolg zwischen 2035 und 2040 sichtbar werden. Inzwischen ist der Termin jedoch wieder offen. Dafür verschlingt das Projekt unentwegt Unmengen an Geld; schon 22 Milliarden Euro sind hineingeflossen.

Kein Probereaktor bringt bislang Strom in die Haushalte 

2014 wurde zudem das Konsortium EUROfusion gegründet. Ziel: die Entwicklung des Fusionsreaktor-Prototyps "DEMO" (ebenfalls Magnetfusion). 2050, also wenn nach Vorgaben der EU Europa schon klimaneutral sein muss, soll es gerade mal den ersten Prototypen geben. Er soll dann jährlich rund 500 Megawatt Strom erzeugen. Zum Vergleich: Ein AKW schafft 1400 Megawatt.

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Als letzter Schrei, vor allem von US-Forschern, gilt die Kernfusion mittels hochenergetischer Laser. Aber auch hier ist nicht absehbar, ob und wann mit einem kommerziellen Fusionskraftwerk zur Stromerzeugung zu rechnen ist. Kurzum: In der Welt der Kernfusion wimmelt es seit Jahrzehnten von Absichtserklärungen, nur fließt bislang keine einzige Kilowattstunde in Industrie und Haushalte. Und alles spricht dafür, dass sich daran mindestens die kommenden 15 bis 30 Jahre nichts ändern wird. 

Merz erzählt also schlicht Märchen. Doch die Realität ist: Deutschland einzige CO₂-freie Energiequellen bleiben bis auf Weiteres Wind, Sonne, Wasser und Biomasse. Darauf müssen wir vorerst setzen. Wir haben keine Wahl.

Die Welt hat keine Zeit für Merz-Märchen

Hinzukommt: Zur Energiewende, die die CDU lange mitgetragen und mitgestaltet hat, gibt es nach wie vor große Zustimmung in der Bevölkerung. Merz sollte deshalb einfach mal schweigen und die Deutschen nicht erneut mit populistischer Ketzerei irremachen. Dazu ist die Lage des Weltklimas viel zu ernst. Das sieht man nicht nur im Sauerland, sondern auch in Ostspanien und überall dort, wo Überschwemmungen so viele Menschen wie nie zuvor aus dem Leben reißen.

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