Meinung: Kanye West präsentiert Bianca Censori wie ein Bauer sein Vieh – und die Welt sieht zu

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Kanye West inszeniert seine Ehefrau Bianca Censori nicht erst seit den Grammys als nacktes Accessoire. Wer hierbei ernsthaft von Kunst spricht, sollte dringend umdenken. 

Sie ist die Frau ohne Stimme, ohne Meinung – und ohne Kleidung. Bianca Censoris Nacktauftritt bei den diesjährigen Grammys hat nicht sonderlich überrascht. Seit einiger Zeit schon ist sie zum Accessoire von Kanye West geworden und immer wieder selbst in den Schlagzeilen. Grund hierfür ist weder ihre Arbeit als Architektin, noch irgendetwas anderes, das darauf schließen ließe, Censori könnte eine Persönlichkeit haben. Schuld sind einzig und allein ihre Outfits, die West angeblich höchstpersönlich für sie aussucht. 

Bianca Censori tritt nackt bei den Grammys auf

Meist ist das nicht mehr als eine Nylonstrumpfhose, die ihren Körper kaum verdeckt. Bei den Grammys trug Censori unter einem Pelzmantel ein komplett transparentes Kleid auf, das keine Fragen offen ließ. 

Fans von Kanye West dürften sich immer noch die Münder fusselig reden, um auch diesen Auftritt als Kunst zu erklären. Immer wieder sorgt West öffentlich für Aufsehen, seine antisemitischen Aussagen – eigentlich Grund genug, dass er von öffentlichen Events verbannt werden müsste – sind davon nur ein kleiner Teil. Und immer wieder kommen seine treuesten Anhänger daher und betonen, der Rapper sei einfach ein Genie, und sein Talent würde verkannt werden. 

Aber Censoris Outfit bei den Grammys war keine Kunst. Vielmehr erinnerte Kanye West an einen Bauern, der sein Vieh präsentiert. Sieht man sich die Videoaufnahmen vom roten Teppich an, ist unschwer zu erkennen, dass Censori genau auf die Anweisungen ihres Mannes reagiert. Er gibt ihr ein Zeichen, dass sie ihren Pelzmantel fallen lassen soll. Laut Lippenlesern raunte er ihr zu, sie solle "eine Szene machen". "Lass es hinter dir fallen und dann dreh dich um, ich hab dich", sagte er demnach zu ihr. "Alles klar, los geht's", soll Censori geantwortet haben. In dem Moment, indem Censori fast gänzlich nackt vor den Fotografen und ihren blitzenden Kameras steht, tritt West einen Schritt zur Seite und begutachtet sein "Kunstwerk". 

Kanye West Bianca Censori 12.23

Kanye West übt Kontrolle aus

Will Kanye so zeigen, wie Frauen auf den roten Teppichen dieser Welt zu Objekten werden? Wollte er das Albumcover von "Vultures" nachstellen? Alles – mit viel Fantasie – möglich, aber es sollte keine Rolle spielen, was Kanye West möchte. Das große Problem ist, dass seine Frau keine Stimme zu haben scheint. Der Auftritt wirkte nicht wie ein Fashion-Statement oder ein feministisches Zeichen. Die Nacktheit gepaart mit dem Schweigen Censoris wirkte dunkel und verstörend. Von Female Empowerment kann keine Rede sein, vor allem nicht an einem Abend, der in der Tat von so vielen erfolgreichen Künstlerinnen geprägt war – ohne dass sie dafür nackt auftreten mussten.

Wäre Censori alleine über den roten Teppich geschritten, könnte die Diskussion eine andere sein. Aber wie in Videos zu sehen ist, lässt sie sich komplett von West leiten. Er gibt vor, was sie tun soll. Und Censori führt seine Anweisungen aus. In einem Moment versucht sie ohne Erfolg, das bisschen Stoff, das sie trägt, weiter über ihren entblößten Hintern zu ziehen. Natürlich darf die Australierin tragen, was sie möchte. Und sie kann ihren Körper so wenig bekleiden wie ihr lieb ist. Doch der Kontrast der nackten Frau neben dem komplett bekleideten Mann, der sie dann auch noch begutachtet, ist verstörend. Hier geht es nicht um Empowerment oder Kunst, sondern um Kontrolle. Nacktheit wird in diesem Fall zu einem visuellen Zeichen der Unterwerfung. Ein Konzept, das leider älter ist als West und Censori zusammen. 

FS Pete Davidson 12.12

Kunsthändler Leo Braudy, bekannt aus der Reality-TV-Serie "Love is Blind", griff das Thema auf seinem Instagram-Kanal auf. "Es scheint niemand daran zu zweifeln, dass der Auftritt seltsam oder frauenfeindlich ist. Nur für den Fall, dass ein paar Leute behaupten, dies sei eine eigene Form der Kunst, möchte ich erklären, warum ich das nicht glaube und was echte Nacktheit in der Kunst ist", so Braudy. Als Vergleich nannte er Yoko Onos Performance-Stück "Cut Piece" aus den Sechzigerjahren. 

Damals saß Ono in "locker sitzende Kleidung gehüllt, und die Zuschauer konnten mit Scheren kommen und Teile ihrer Kleidung abschneiden", erklärte der Kunstexperte. "Was dieses Stück so kraftvoll machte, war die Verletzlichkeit der Künstlerin, denn sie ließ die Leute mit der Schere an sich heran und erlaubte ihnen, mit ihr zu machen, was sie wollten, und sie so zu entblößen, wie sie es für richtig hielten. Das Stück spielte auch mit der Objektivierung von Frauen in der menschlichen Form und allen möglichen tiefgründigen philosophischen Konzepten", erklärte er. Es sei "provokativ" gewesen, besonders zu der Zeit. "Dass Bianca bei den Grammys nackt war, war auch sehr provokativ, aber meiner bescheidenen Meinung nach ist das keine Kunst. Denn provokativ bedeutet nicht unbedingt Kunst", resümierte er. 

Pornografische Texte, nackte Haut

Wer immer noch an die gute Intention glaubt, sollte sich "Carnival" anhören, den Song von Ty Dolla Sign, für den West für einen Grammy nominiert war. Der pornografische Liedtext lässt keinen Zweifel daran, was West mit der Zurschaustellung von Nacktheit bezweckt. 

Dass der Musiker über seine Frauen Kontrolle behalten will, ist nicht neu. In ihrer Autobiografie "Down the Drain" schildert Wests Ex-Freundin Julia Fox, wie er auch ihr Vorschriften gemacht habe. Er habe damals ein ganzes Team engagiert, das zuständig war für ihre Outfits. Als eines davon nicht richtig passte, bot er ihr an, eine Brustvergrößerung zu spendieren. Fox, die gerade ein Kind bekommen hatte, lehnte ab. Es sei ein Spiel aus "kranker Kontrolle" gewesen, so Fox. 

Bianca Censori beim Grammy 6.44

Auch Kim Kardashian sprach in der Vergangenheit darüber, dass West großen Einfluss auf ihren Stil gehabt habe. Trug sie früher gerne schrille Outfits und viel Bling Bling, brachte er ihr Minimalismus bei. "Kanye hat mich definitiv dazu inspiriert, ein bisschen individueller zu sein. Ich denke, mein Stil entwickelt und verändert sich gerade, und ich denke, das sollte er auch", sagte sie selbst. In einer Szene in ihrer Doku-Soap "Keeping up with the Kardashians" wurden Zuschauer Zeugen davon, wie bei der Unternehmerin auf Wests Aufforderung hin aussortiert wurde. Kardashian weinte damals um ihre Kleidung. 

Der Unterschied zwischen Kardashian und Censori ist: Erstere behielt ihre Stimme und baute sich ein Modeimperium auf. Kardashian hat eine immense Reichweite, wenn sie spricht, würde jeder zuhören. Censori könnten genauso gut die Stimmbänder entfernt worden sein. Man weiß so gut wie nichts über die Frau an Kanyes Seite. Dafür weiß man mittlerweile, wie jeder Zentimeter ihres Körper aussieht.