1 month ago

Meinung: Coca-Cola kürzt beim Klimaschutz – das ist nur konsequent, leider!



Coca-Cola streicht überraschend seine Ziele beim Klimaschutz zusammen. Die Politik hat dem Konzern den Boden dafür bereitet.

Zwei US-Soziologen haben in den Achtzigerjahren die Broken-Windows-Theorie entwickelt. Danach müsse eine zerbrochene Fensterscheibe schnell repariert werden, denn ansonsten würden sehr rasch weitere Scheiben eingeworfen und das ganze Viertel verkomme. Denn die erste sinnfreie Attacke löst sofort Nachahmer-Effekte aus. Die Hemmungen zur Zerstörung fallen.

Eine Art Broken-Windows-Szenario erleben wir derzeit weltweit in der Politik. Die Hemmungen, die drohende Klimakatastrophe in Zweifel zu ziehen, fallen allerorten. Die erste Scheibe hat US-Präsident Donald Trump schon 2016 eingeworfen, als er, nun mächtigster Mann der Welt, mit großem Trara das Pariser Klimaabkommen aufkündigte. Seine irrwitzige Begründung: Die Idee des Klimawandels sei "von den und für die Chinesen erfunden, um der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in den USA zu schaden".

Rechte Staatschefs fahren den Klimaschutz herunter

Offenbar haben Trumps Worte enthemmende Kraft entfaltet. Denn seit dieser Zeit werfen immer mehr einflussreiche Politikerinnen und Politiker immer dickere Steine. 2017 schloss sich der russische Präsident Wladimir Putin Trumps Klimaleugnung offen an. Menschen wie der damalige Staatschef Brasiliens, Jair Bolsonaro, eigentlich Hüter des Regenwaldes, folgten ihm. In der EU stimmte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ein. Auch der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl, der trotz des katastrophalen Hochwassers mit mehreren Toten und Tausenden abgesoffener Häuser die österreichische Parlamentswahl gewann, reihte sich ein. Ähnlich agiert Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National (RN). Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni redet von "Ideologie" und will den europäischen "Green Deal", den Weg zur Klimaneutralität, verlassen. 

IV Konservative Klimapolitik 15.30

In Deutschland wütet die AfD besonders platt gegen alle Klimaschutzbemühungen und erreicht damit inzwischen fast 20 Prozent der Deutschen. Im Wahlprogrammentwurf 2025 konstatiert sie, den Klimawandel habe es zu allen Zeiten gegeben und der Anteil des Menschen sei wissenschaftlich ungeklärt.

Deutsche Spitzenpolitiker täuschen häppchenweise

Andere deutsche Politiker gehen differenzierter, cleverer vor, um ein ähnliches Ziel zu verfolgen: die Anstrengungen herunterzufahren. Sie servieren ihren Widerstand gegen den Klimaschutz in kleineren Häppchen, weil die Folgen des Klimawandels inzwischen so stark zu spüren sind, dass man sie nicht mehr komplett abstreiten kann. Das jedenfalls sagt die Nichtregierungsorganisation "Center for Countering Digital Hate", die 12.000 Youtube-Videos auf die Rhetorik untersucht hat. 

In Deutschland kann man den Trend in Talkshows gut verfolgen. FDP-Chef Christian Lindner verbrämt seine Aversion gegen eine konsequente Klimaschutzpolitik hinter besänftigenden Forderungen wie "Technologieoffenheit", was nichts anderes heißt, als dass Öl und Gas weiter brennen dürfen. CDU-Chef Friedrich Merz, der schon 2023 wissen ließ, dass wegen der Erderwärmung "morgen die Welt nicht untergeht", positioniert sich neuerdings gegen Windkraft und fabuliert von Kernfusion, die weltweit noch immer in den Kinderschuhen steckt. 

Die Deutschen gaukeln sich vor, Klimaschützer zu sein

Die perpetuierten Aussagen sind hochinfektiös. Die Macht der Wiederholung schlägt sich bereits in Untersuchungen nieder. Fast zwei Drittel der Deutschen (61 Prozent) glauben laut einer neuen Ipsos-Umfrage, bereits alles für den Umweltschutz zu tun. Zugleich aber kaufen sie weiter Verbrennerautos und bauen neue Öl- und Gasheizungen in ihre Häuser ein.

Klima vor acht sammelt Spenden für Werbeplatz bei der ARD 13.05

Man könnte sagen: Sei’s drum. Schließlich belegen andere Umfragen, dass gerade die Europäer im Kern noch immer zur Energiewende stehen. Doch der Broken-Windows-Effekt zeitigt längst folgenschwere Auswirkungen in der Realpolitik. Bei der jüngsten Weltklimakonferenz (COP29) in Aserbaidschan zeigte sich das schmerzlich. Es gab keinerlei Fortschritte beim weltweiten Klimaschutz mehr. Die Ergebnisse sind extrem enttäuschend. 

Klimaabkommen scheitern, Konzerne kapitulieren

Fast noch schlimmer ist, dass auch in der Wirtschaft, die sich lange vorbildlich und verantwortungsvoll präsentierte, die Hemmungen fallen. Vor gut einer Woche scheiterte in Südkorea der Versuch, einen UN-Vertrag über die Umweltverschmutzung durch Plastikmüll abzuschließen. In der Folge hat Coca-Cola, einer der energiehungrigsten Kunststoffnutzer der Welt, seine ambitionierten Klimaziele drastisch zurückgefahren. Eigentlich wollte der Konzern bis 2030 mindestens die Hälfte seiner Verpackungen – etwa sechs Millionen Tonnen pro Jahr – aus recyceltem Material herstellen. Jetzt sollen es nur noch 35 bis 40 Prozent sein – und zwar erst 2035. Die eigenen Recyclingbemühungen hat Coca-Cola zugleich um ein Viertel gekürzt.

Deutschland droht den richtigen Weg zu verlassen

Der deutsche Wahlkampf wird schmutzig, heißt es. Das kann man ganz wörtlich nehmen. Denn wenn CDU, FDP, AfD und BSW bei Klimafragen weiter Steine auf Fenster werfen, um Wählerstimmen zu fangen, dann wird Deutschland seinen Weg zur Klimaneutralität 2045 sicher verlassen. Dann werden die Deutschen ihren Einsatz für eine lebenswerte Zukunft noch weiter drosseln. Deswegen ist Parteivertreterinnen und -vertretern dringend Mäßigung angeraten. Niemand sollte die Klimawahrheiten in Wahlkampfreden leichtfertig verdrehen. Um es mit dem beliebten Astrophysiker Harald Lesch zu sagen: "Der Klimawandel ist ausgeforscht, wir müssen handeln!" 

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