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Meinung: Asche auf euer Haupt, Manager!



Thyssenkrupp, VW, Bosch: Fast täglich werden neue Horrormeldungen über Massenentlassungen publik. Statt auf die Politik zu schimpfen, sollte sich mancher Manager schämen.

Einer, der es wissen muss, sagt: "Vor allem schlechte Manager haben große Angst vor dem Scheitern." Die Worte stammen von Chris Williams, ehemals Personalchef bei Microsoft. Läuft's nicht, dann sind stets die anderen Schuld. Williams sagt: "Sie suchen nicht nach den Ursachen, sondern nach einem Schuldigen." Weil sie "besessen" seien von der Pflege des eigenen Images.

In Deutschland lässt sich das gerade gut beobachten. Ob Thyssenkrupp-Chef Miguel López, der 11.000 Stellen abbauen will, oder VW-Boss Oliver Blume, der mehrere Werke zu schließen plant: Auch hier sind die anderen schuld, vor allem die Politiker. "Psychologische Projektion", heißt das seit Freud. Man könnte es auch die Entstellung der Wirklichkeit zum eigenen Nutzen nennen. 

Thyssenkrupp: Die allzu simple Geschichte der Bosse

Im deutschen Fall trifft es die schon mausetote Ampelregierung, die auch wegen des Dauerfeuers aus den Wirtschafts-Chefetagen so trostlos verendet ist. Zu den beliebtesten Erzählungen der Wirtschaftsbosse zählt die von den extremen deutschen Energiekosten: Die Regierenden ruinierten die gesamte Volkswirtschaft durch viel zu hohe Industriestrompreise, vor allem ausgelöst durch eine zu hastige Energiewende. Deutschland sei deshalb international nicht mehr konkurrenzfähig. Ein Narrativ, das logisch klingt, weil es maximal simplifiziert. Schon deshalb wird es gern von Oppositionspolitikern nachgeplappert.

Thyssen Krupp 14.14

In Wahrheit gibt es "den" Industriestrompreis in Deutschland gar nicht. Es gibt nur einen gelebten Automatismus: Je mehr Strom ein Unternehmen verbraucht, desto weniger muss es dafür zahlen, Vater Staat sei Dank. Was Thyssenkrupp und die anderen Großverbraucher genau pro Kilowattstunde (kWh) hinblättern, hüten sie wie ein Geheimnis. Die Konzerne sind jedenfalls in der Regel von sämtlichen staatlichen Abgaben und Steuern auf Strom befreit und zahlen somit im Grunde nur den Preis, für den sie den Strom an den Strombörsen einkaufen – und der für alle anderen europäischen Firmen gleichermaßen gilt. 2023 waren das laut einer Studie für energieintensive Erzeuger von Metallen, Eisen oder Papier im Durchschnitt gerade mal rund acht Cent pro kWh. Das ist europäischer Durchschnitt. Preisnachteile gegenüber anderen Staaten hat die deutsche Industrie meist durch Effizienzgewinne überkompensiert. 

Strom ist weltweit nur durch massive Subventionen billig

Weltweit betrachtet liegt der Strompreis nur in Industriestaaten, in denen er mit Steuergeld drastisch subventioniert wird, deutlich niedriger. Also etwa in den USA (durch Joe Bidens "Inflation Reduction Act") und im notorisch wettbewerbsverzerrenden China. In Deutschland wie in den meisten europäischen Staaten gibt es eine solche derbe staatsmonopolistische Schützenhilfe nicht, schon um die Chancengleichheit im EU-Binnenmarkt nicht zu gefährden. Frankreich, wo der Staat für recht teuren Atomstrom feste Abnahmepreise unter Marktwert garantiert, traut sich noch am weitesten vor.

Dass Thyssenkrupp seit Jahren immer wieder ins Schlingern gerät, liegt also nicht an dusseligen Politikern. Im Gegenteil: Der Staat verschont den Stahlkonzern seit Langem nicht nur beim Strompreis, sondern will ihn sogar beim Umbau auf grüne Energie mit rund zwei Milliarden Euro unterstützen. Thyssenkrupp ist vielmehr durch krasse Managementfehler, falsche Partnerschaften und die Inflexibilität der Montanunion ins Wanken geraten. Die Ampel hat viel falsch gemacht, aber für die Probleme beim Stahlkonzern kann sie nun wirklich nichts.

VW ist nicht wegen der Strompreise in Not

Auch VW rutschte nicht in die Krise, weil der Konzern seine rund elf Millionen Megawattstunden Strom pro Jahr nicht bezahlen kann. VW hat es selbst verbockt, es hat vor allem den wichtigsten Markt der Welt verschlafen: China. Hier werden global 60 Prozent aller Autos verkauft, vor allem E-Autos, und der VW-Anteil ist mangels geeigneter Modelle fürchterlich eingebrochen. Am Strompreis kann es nicht liegen, denn VW produziert selbst Fahrzeuge und Komponenten in 39 chinesischen Werken mit chinesischem Billigstrom.

Es besteht also der dringende Verdacht, dass die laut jammernden deutschen Manager vor allem die Gunst der politisch trüben Stunden nutzen, wo allerorts die Angst vor dem Abstieg wächst, um von eigenen Fehlern abzulenken und diese mit wilden Kürzungen auf Kosten der Belegschaft zu kaschieren. Es liegt nahe, dass sie vor allem so unangemessen auf die Politik eindreschen, um das eigene Ego zu retten. Das ist keine gute Idee, denn es tötet den Glauben an den Segen der Marktwirtschaft und der Demokratie.

Der Motor einer Volkswirtschaft ist der Konsum. Und der stockt gerade schmerzlich. Wenn Manager weiter jeden Tag in Interviews Staatsversagen beklagen, steigt die Zukunftsangst der Verbraucher weiter und ihre Lust am Einkaufen sinkt zugleich. Das wiederum schadet den Unternehmen, weil sie ihre Ware noch schlechter loswerden. Dieser Teufelskreis ist viel fataler als ein Cent mehr oder weniger beim Strompreis.

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