Nach 1.000 Tagen Krieg in der Ukraine ist kein Ende in Sicht. Die Forderungen beider Seiten liegen weit auseinander - doch der ukrainische Präsident Selenskyj lässt mit einer Äußerung aufhorchen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Raum für eine zeitweilige russische Kontrolle über ukrainische Gebiete gelassen. "Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wieder herzustellen", sagte Selenskyj mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin (72) im Parlament. Dort stellte er einen Plan vor, wie sein Land dem russischen Druck besser standhalten kann.
In internationalen Medien wird seit längerer Zeit darüber spekuliert, dass der Krieg in der Ukraine entlang der Frontlinie eingefroren werden könnte, ohne dass Kiew juristisch Gebiete an Russland abtritt.
Dennoch lehnte Selenskyj formaljuristische Gebietsabtretungen kategorisch ab. "Wir verzichten nicht auf die Rechte der Ukraine auf ihr Territorium", unterstrich der Staatschef.
Kiew werde es auch nicht zulassen, dass die Ukraine in Wahlkämpfen benutzt werde, sagte Selenskyj, ohne die anstehenden Bundestagswahlen in Deutschland zu erwähnen. "Auf Kosten der Ukraine zu gewinnen, gelingt nicht. Gemeinsam mit der Ukraine kann man aber gewinnen", sagte er.
Lage an der Front bleibt kompliziert
Dabei ist das ukrainische Militär an der Front nach wie vor in der Defensive. Der Generalstab in Kiew vermeldete in seinem abendlichen Lagebericht 130 Zusammenstöße im Tagesverlauf. Die meisten Angriffe lancierten die russischen Truppen dabei an der Front im Südosten des Landes. So attackierten sie Pokrowsk 37 Mal und Kurachowe 22 Mal. An der Grenze zwischen den Gebieten Donezk und Saporischschja gab es zudem 15 Angriffe.
In diesem Abschnitt ist die Front seit Jahresbeginn am stärksten in Bewegung geraten. Etwa 40 Kilometer konnten die Russen seit der Eroberung der ukrainischen Festung Awdijiwka bei Donezk vorrücken. Eine der Ursachen für die Probleme der Ukrainer an der Front waren die lange Zeit stagnierenden Waffen- und Munitionslieferungen aus dem Westen.
Berichte: Washington will Schützenminen liefern
Nach der Freigabe an Kiew zum Einsatz von weitreichenden Waffen gegen Ziele in Russland ordnete US-Präsident Joe Biden nach einem Medienbericht nun auch die Lieferung von Schützenminen an die Ukraine an. Biden sei damit von seiner bisherigen Position abgerückt, um der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Armee zu helfen, berichtete die "Washington Post" unter Berufung auf ranghohe Vertreter der US-Regierung. Grund für die Meinungsänderung im Weißen Haus sei das stetige Vorrücken russischer Truppen im Donbass. Die Lieferung dieser Minen sei nach Meinung des Pentagon ein wirksames Mittel, um das Vordingen der russischen Einheiten zu verlangsamen.
Der Einsatz dieser Schützenminen, auch als Antipersonenminen bekannt, werde jedoch auf den Osten der Ukraine beschränkt. Das russische Militär hat am Rande der besetzten Gebiete in der Ukraine dichte Minenfelder ausgelegt und damit eine ukrainische Offensive zum Scheitern gebracht.
Der Einsatz von Minen ist international geächtet. Die 1999 in Kraft getretene sogenannte Ottawa-Konvention von 1999 verbietet Einsatz, Produktion und Weitergabe dieser heimtückischen Waffen, die auch lange Zeit nach Kampfhandlungen ihre Opfer vor allem unter der Zivilbevölkerung in den jeweiligen Regionen finden. Die Konvention wurde von 164 Staaten unterzeichnet und ratifiziert, nicht jedoch von Russland und den USA. Die Ukraine hat das Papier 2005 ratifiziert.
Borrell: Eine Million Artilleriegeschosse an Kiew geliefert
Nach Angaben des Europäischen Auswärtigen Dienstes hat die EU nun immerhin ihren Plan zur Lieferung von Artilleriegeschossen an die Ukraine erfüllt - wenn auch mit Verspätung. "Wir haben das Ziel von einer Million Schuss Artilleriemunition erreicht", sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell nach einem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel. Die Munition sei an die Ukraine geliefert worden, "einige Monate später als erwartet". Ursprünglich hatte die EU die Marke von einer Million Schuss bereits bis Ende März erreichen wollen.
Tatsächlich konnte bis März nur etwas mehr als die Hälfte der Menge geliefert werden. Als neues Ziel hatte die EU dann Ende 2024 in Aussicht gestellt. "Wir werden damit fortfahren, denn Russland erhält weiterhin umfangreiche Lieferungen von Munition und Raketen aus Nordkorea und dem Iran", kündigte Borrell an.
Der ukrainische Präsident Selenskyj stellte indes in Kiew einen Plan zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des von Russland angegriffenen Landes vor. Die Ukraine werde massiv in die Rüstung investieren, kündigte er an. Dazu zähle der Ausbau der eigenen Munitionsproduktion. "Ukrainische Waffen" seien eine der Hauptgarantien der ukrainischen Unabhängigkeit.
Ukraine und Russland attackieren sich mit Drohnen
Eine der wichtigsten Waffen in dem Krieg sind Drohnen. Beinahe zeitgleich überzogen sich die Ukraine und Russland in der Nacht mit Drohnenschwärmen.
Bei einem massiven Drohnenangriff der Ukraine kam es zu Schäden in mehreren russischen Regionen. "In der Stadt Alexejewka sind durch den Absturz von Drohnentrümmern auf dem Territorium eines Unternehmens Produktionshallen beschädigt worden", schrieb der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, bei Telegram. Zudem seien ein Infrastrukturobjekt und eine Stromleitung getroffen worden. Einen Einschlag gab es demnach auch in der benachbarten Region Woronesch.
Drohnenangriffe wurden auch aus den Regionen Brjansk und Tula sowie dem Moskauer Umland gemeldet. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden insgesamt 42 Kampfdrohnen abgeschossen.
Das russische Militär startete erneut mehrere Drohnenschwärme, die aus verschiedenen Himmelsrichtungen in die Ukraine einflogen. In zahlreichen Regionen des Landes sowie in der Hauptstadt Kiew wurde Luftalarm ausgelöst. Über eventuelle Einschläge der Kampfdrohnen lagen zunächst keine Angaben vor.