3 months ago

Krimineller in Moskau mischt mit: Hier tobt Russlands stiller Angriffskrieg auf Moldau



Der Oligarch Ilan Shor hat in der moldauischen Region Gagausien einen russischen Marionettenstaat errichtet. Jetzt versucht er, Moldaus Referendum über den EU-Beitritt zu stören. In der Kleinstadt Congaz wird deutlich, wie Shors hybride Kriegsführung funktioniert. 

An den Infotafeln der Gesamtschule in Congaz sind zwei Welten befestigt. Auf einem Foto weht die Flagge der Europäischen Union. Darunter hängen Karten und Texte, die den Schülern der Kleinstadt in der moldauischen Region Gagausien Fakten zur EU vermitteln.

Direkt daneben lächelt ein junger Mann in sowjetischer Uniform von einem Foto: N. Cebanov, der Namenspatron der Schule. Cebanov fiel als einziger Bewohner von Congaz im Stellvertreterkrieg zwischen der Sowjetunion und den USA in Afghanistan in den 1980er-Jahren. Die Erinnerung an die Sowjetzeit wird in Gagausien allerorts lebendig gehalten. So auch in dieser Schule, die an der Leninstraße liegt. In mehreren gagausischen Ortschaften gibt es Statuen des Gründers der UdSSR. Im spätsommerlichen Congaz steht eine, silbern glänzend, vor einem Haus, das als Aufnahmeeinrichtung für ukrainische Flüchtlinge dient.

 Links hängen Infos zur EU, rechts daneben das Foto des Namenspatrons der Schule, ein sowjetischer Veteran.  Links hängen Infos zur EU, rechts daneben das Foto des Namenspatrons der Schule, ein sowjetischer Veteran.

Die Pinnwand am Eingang der Gesamtschule "N. Cebanov": Links hängen Infos zur EU, rechts daneben das Foto des Namenspatrons der Schule, ein sowjetischer Veteran.

(Foto: privat)

In der Cebanov-Schule tritt Anna aus dem Lehrerzimmer in den Flur. Gegenstand des Unterrichts sei die EU nicht, erzählt Anna, Geografielehrerin für Schüler der ersten bis vierten Klasse. Nur falls die Kinder aktiv auf sie zukämen, erzähle sie ihnen mehr über die europäische Integration.

Shor floh wegen Haftstrafe nach Massenbetrug

Kurz unterbricht das schrille Klingeln der Schulglocke die Stille, aber aus den Räumen kommen keine Schüler. Es ist Nachmittag, zu dieser Zeit findet nur noch vereinzelt Unterricht statt. Ein paar Kinder spielen auf dem Schulhof Fußball mit ihrem Sportlehrer. Anna ist schon etwas müde, so kurz vor dem Feierabend. Aber als sie über Ilan Shor spricht, leuchten ihre Augen plötzlich. Shor habe Congaz für die Kinder so viel lebenswerter gemacht, als er den Vergnügungspark Gagausialand am Rande der Stadt gebaut habe, sagt sie. Kein kritisches Wort will ihr zu Shor über die Lippen kommen.

Dabei ist Ilan Shor ein von Russland finanzierter Krimineller, der die Macht in Gagausien an sich gerissen hat. Die etwa 130.000 turkstämmigen Gagausen, die in versprengten Gegenden mitten im Süden Moldaus leben, fühlen sich der russischen Kultur verbunden. Sie verherrlichen noch immer das Regime der UdSSR. Die meisten unter ihnen sprechen Russisch und Gagausisch, aber kaum einer Rumänisch, die Amtssprache in Moldau. Shor weiß das für sich zu nutzen. Zwar musste der schwerreiche Oligarch aus Moldau fliehen, nachdem die nationale Regierung in Chișinău ihn wegen Massenbetrugs in den Jahren 2012 und 2014 zu 15 Jahren Haft verurteilt hatte. Von Moskau aus zieht er mit seiner Partei "Sieg" aber noch immer die Strippen.

Moldau ist ein zwischen zwei Lebenswelten zerrissenes Land. Die Mehrheit der rumänisch sprechenden Moldauer pocht auf den in Aussicht gestellten EU-Beitritt. Die russischsprachigen Minderheiten machen etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Sie leben neben Gagausien auch im Osten Moldaus, in der Region Transnistrien, die an die Ukraine grenzt. Während Shor nach den Lokalwahlen im März vergangenen Jahres mit der Gouverneurin Evghenia Guțul einen Marionettenstaat in Gagausien aufgebaut hat, haben die zwei ehemaligen KGB-Agenten Victor Gusan und Ilja Kasmaly seit mehr als zwei Jahrzehnten Transnistrien im politischen Würgegriff. Dort sind etwa 1500 russische Soldaten stationiert. Die Armee ist ein Überbleibsel aus der Sowjetzeit.

Russland kauft Wähler und Demonstranten mit Millionen

Am 20. Oktober wird es zum Showdown kommen, wenn Moldau über seine Zukunft entscheidet: Parallel zu den Präsidentschaftswahlen steht ein Referendum an über die Frage, ob der EU-Beitritt des Landes in der Verfassung festgeschrieben werden soll. Die pro-europäische Präsidentin Maia Sandu hofft auf eine Wiederwahl. Premierminister Dorin Recean beteuert im Gespräch mit ntv.de und weiteren deutschen Medien in Chișinău zwar immer wieder, Moldau sei "sicher".

Dabei tobt in Moldau längst ein Krieg, wenn auch ein stiller.

Hier fliegen zwar keine Bomben, stürzen keine Häuser ein, durchschneiden keine Todesschreie die Luft. Aber sogar Regierungsvertreter sprechen offen über die hybride Kriegsführung Russlands. Nach Angaben des moldauischen Innenministeriums steckt Russland jedes Jahr Millionen in Attacken, um Chaos zu stiften. Angesichts der enormen Summen, die aus Moskau fließen, fühlt die Regierung des ärmsten Landes in Europa sich hilflos. Zu den skrupellosen Methoden zählen nicht nur der Kauf von Wählern und Demonstranten, sondern auch Desinformations-Kampagnen über den EU-Beitritt.

In Gagausien versucht die Europäische Union, durch die Förderung von Projekten sichtbarer zu werden. Nur wenige Meter von der Cebanov-Schule in Congaz entfernt steht der "ethno-touristische Komplex Gagauz Sofrasi", den die EU mit 25.000 Euro gefördert hat. Er besteht aus einem Hotel, einem Restaurant und einem Museum. Nichts erinnert hier an die Sowjetunion. Stattdessen setzt die Besitzerin, eine Witwe mit zwei Kindern, auf gagausische Folklore. Der Speiseraum samt der angrenzenden Terrasse bordet über mit bunt gestrickten Kissen und Bildern voller Ornamente und Blumen. Neben dem Eingang stehen volkstümliche Figuren, die an Hirten erinnern und etwas größer als Gartenzwerge sind.

Touristenkomplex bewirtet Gäste aus Ostdeutschland

Über einer aus Holz gezimmerten Galerie thront ein Dach aus Stroh. Darauf trocknet die Sonne gerade die letzten Regentropfen eines Schauers, ein erdiger Geruch liegt in der Luft. Er mischt sich mit dem Duft eines frisch gebackenen Brotes, das die Kellnerinnen einer Besuchergruppe reichen. Sie zelebrieren ein traditionelles Begrüßungsritual, in volkstümlichen Trachten, mit weißen Röcken und Hauben. In der Hochsaison im Sommer arbeiten hier mehr als 20, vornehmlich weibliche, Angestellte.

Die Besitzerin des "ethno-touristische Komplex Gagauz Sofrasi" in ihrer volkstümlichen Tracht. Die Besitzerin des "ethno-touristische Komplex Gagauz Sofrasi" in ihrer volkstümlichen Tracht.

Die Besitzerin des "ethno-touristische Komplex Gagauz Sofrasi" in ihrer volkstümlichen Tracht.

(Foto: privat)

An einem der Holztische wird acht Gästen aus Ostdeutschland ein gagausisches Lammgericht serviert. Sie fühlten sich in dem Hotel hier sehr wohl, erzählen sie. Um ihre Beine streifen Kätzchen, die um Essen betteln. Ihr Miauen mischt sich in das Geklapper des Geschirrs und das Stimmengewirr im gut besuchten Lokal.

Wer durch das Tor des "Gagauz Sofrasi" aus der warmen Willkommensatmosphäre hinaustritt, wird auf der Straße wieder von Stille empfangen. Kaum ein Mensch ist auf dem mit Schlaglöchern gesprengten Gehweg zu sehen. Im Kontrast zum prunkvoll geschmückten Touristenkomplex stehen hier kleine, meist einstöckige Häuser mit bemoosten Dächern und lädierten Gartentoren. Hier beginnt wieder die andere Lebenswelt.

Rentnerin lebt von 200 Euro im Monat

Es ist auch die Welt von Sofia, die hinter einem der Gartentore auf die Leninstraße blickt. In ihrem Innenhof hält sie sich eine Handvoll Hühner. Neben dem Holzstall steht eine ausgediente Badewanne, ihr gegenüber stapeln sich große Kochtöpfe voller Wasser. Mitten im Hof befindet sich Loch mit Metallklappe, wo Sofia ihr Abwasser hineinkippt. Eine Kanalisation gibt es in Congaz nicht. Für ihr großes Geschäft muss Sofia in ein Klohäuschen gehen, das sie mit den anderen Bewohnern teilt.

Nachdem sie 40 Jahre lang gearbeitet hat, bekommt Sofia etwas mehr als 200 Euro Rente im Monat. Oligarch Shor kauft sich Wähler in Gagausien mit 15 bis 100 Euro pro Kopf. Wie gut seine Gouverneurin Guțul die Regierungsgeschäfte der Region leite, könne sie noch nicht abschätzen, sagt Sofia. Schließlich sei Guțul erst seit etwas mehr als einem Jahr im Amt.

Sofia zeigt ihre Grube im Innenhof, in die sie das Abwasser hineinkippt. Sofia zeigt ihre Grube im Innenhof, in die sie das Abwasser hineinkippt.

Sofia zeigt ihre Grube im Innenhof, in die sie das Abwasser hineinkippt.

(Foto: privat)

In ihren Plastik-Crogs schlappt Sofia ein paar Schritte weg von der Grube, in die sie ihr Wasser kippt. Sie zeigt mit dem Finger in Richtung ihres Wohnzimmers zur Linken und ihrer Sommerküche zur Rechten. Das Haus habe sie von ihren Eltern geerbt, die beide aus der Ukraine stammten. Sie hätten sich in Moldau kennengelernt und viele Jahre in Congaz gewohnt. Noch immer hat Sofia Verwandte in Kiew und im Donbass. Die hätten aber den Kontakt zu ihr abgebrochen. Über die Gründe des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sei ein Streit in der Familie ausgebrochen.

Sofia ist davon überzeugt, dass die ukrainische Regierung für den Krieg verantwortlich ist und ihre eigene Bevölkerung schlecht behandelt. Weil Sofia die russischen Falschbehauptungen über die Invasion glaubt, herrscht noch immer Funkstille zwischen ihr und ihrer Familie in der Ukraine. Im Donbass fallen russische Bomben, Häuser stürzen ein, Todesschreie durchschneiden die Luft. In Congaz hört Sofia nur das leise Gackern der Hühner.

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