3 months ago

Kriegsgefahr in Nahost: Was droht bei Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah?



2006 lieferten sich die Hisbollah und Israel einen großen, offenen Krieg. Jetzt, bald 20 Jahre später, wären die Folgen für beide Seiten noch dramatischer. Im Libanon beginnt das bange Warten.

Vielleicht war dies der Fehler, der seit Monaten befürchtet wurde. Der Raketenangriff auf dem Golan mit zwölf getöteten Kindern und Jugendlichen könnte das Ereignis gewesen sein, das einen neuen, offenen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon lostritt. US-Diplomaten bemühen sich eilig, die Lage halbwegs zu stabilisieren. Im Libanon hat erneut das Warten begonnen - auf Israels Gegenangriff, womöglich im Umfeld der Hauptstadt Beirut, und das Warten darauf, wie die Hisbollah danach reagieren wird.

Es gilt als sicher, dass Israel nach dem folgenschwersten Angriff seit Beginn der Kämpfe mit der Hisbollah am 8. Oktober vergangenen Jahres hart zurückschlagen wird. Gleichzeitig sind beide Seiten allen Anzeichen nach nicht daran interessiert, ihre seit fast zehn Monaten andauernden harten Gefechte noch erheblich auszuweiten. Auf libanesischer Seite wurden dabei mehr als 100 Zivilisten getötet sowie 360 Hisbollah-Mitglieder, aufseiten Israels etwa 20 Soldaten und mehr als 20 Zivilisten. 150 000 Menschen auf beiden Seiten der Grenze mussten bereits ihre Wohnorte verlassen.

USA in "dauerhaften Diskussionen" 

Der Balanceakt ist nun, den von dem israelischen Sicherheitskabinett gebilligten Vergeltungsschlag unter der Schwelle eines echten, großen Krieges zu belassen. Washington bemüht sich, hinter den Kulissen für eine Beruhigung zu sorgen. Man sei in "dauerhaften Diskussionen" mit der israelischen und libanesischen Seite, sagt eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der USA. Die Attacke auf dem Golan schreibt sie der Hisbollah zu. "Es war ihre Rakete, abgeschossen von einem Gebiet unter ihrer Kontrolle." Die Miliz hat jede Verantwortung bestritten.

Es mehren sich die Zeichen, dass die Hisbollah den von Drusen bewohnten Ort Madschdal Schams womöglich versehentlich traf. "Die Annahme einer fehlgeleiteten Rakete ist viel glaubhafter als dass Hisbollah beschließt, ein Fußballfeld anzugreifen", sagt Eli Hanna, ein libanesischer Ex-General, der Zeitung "L'Orient-Le Jour". Dafür spricht auch, dass die Miliz am selben Tag mehrere andere Attacken gegen israelische Militärziele in der Nähe für sich beanspruchte. Die Drusen im von Israel annektierten Golan, von denen sich viele Syrien näher fühlen als Israel, wären für die Miliz auch ein ungewöhnliches Ziel.

Forderungen nach "begrenztem, aber bedeutsamen" Angriff 

Die drusische Minderheit, die um zwölf Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren trauert, ist zutiefst aufgebracht und fordert einen harten Gegenschlag. Israelische Repräsentanten sagten der Zeitung "Jediot Achronot", sie erwarteten eine "begrenzte, aber bedeutsame" Reaktion Israels. Denkbar seien dabei ein Angriff auf Infrastruktur im Libanon, ein wichtiges Waffenlager der Hisbollah, ein "ikonischer Ort, der bislang nicht angegriffen worden ist", oder die Tötung ranghoher Hisbollah-Repräsentanten.

Ein Kommentator der Zeitung "Israel Hajom" schrieb, das Dilemma sei für Israels Armee nun, den gewünschten Effekt zu erzielen, ohne eine gefährliche Dynamik zu schaffen, in der die Lage in einen Krieg in vollem Umfang eskaliere. Eine solche Entwicklung könne zu einem neuen Konflikt mit dem Iran und seinen Helfershelfer in der Region führen, erklärte er, darunter Milizen in Syrien, im Irak und im Jemen. Dies könne sich wiederum negativ auf Israels Ziele im Gaza-Krieg und die Bemühungen um eine Freilassung der mehr als 100 Geiseln im Gazastreifen auswirken. Es wird befürchtet, dass viele schon tot sein dürften. Die ohnehin stockenden Gespräche über einen Geiseldeal könnten bei einem neuen Krieg mit der Hisbollah ganz zusammenbrechen.

Angriff mit klarer Choreographie?

Vielleicht könnte die Reaktion ähnlich ablaufen wie im April, als der Iran - der wichtigste Verbündete der Hamas in Gaza sowie der Hisbollah im Libanon - seinen erklärten Erzfeind Israel erstmals direkt mit Drohnen und Raketen angriff. Diese Attacke nach einem mutmaßlich israelischen Angriff gegen ein iranisches Konsulargebäude in Syrien war groß und symbolisch genug für das eigene Publikum. Zugleich folgte sie aber einer klaren und berechenbaren Choreographie, was einen echten Flächenbrand in der Region verhinderte.

Ihren letzten Krieg führten Israel und die Hisbollah 2006. Israels Armee bombardierte den Flughafen von Beirut und zerstörte große Teile der Küstenstadt und im Süden. Jetzt, rund 20 Jahre später, hätte ein Krieg für beide Seiten noch dramatischere Folgen. Die Hisbollah verfügt über etwa 150 000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper - etwa das Zehnfache ihres Arsenals im Vergleich zu 2006. "Jede Stadt und jedes Dorf in Israel ist in Gefahr", schreibt die US-Denkfabrik Brookings. Die Miliz könnte auch Israels Stromnetz empfindlich treffen.

Israel kann sich mit Reaktion etwas Zeit lassen

Bei einer Ausweitung dürften auch Irans weitere Verbündete ihre Attacken gegen Israel verstärken, darunter die Huthi-Miliz im Jemen, deren Drohnenangriff in Tel Aviv zuletzt erstmals ein israelisches Todesopfer forderte. Israels reagierte im Jemen erstmals mit direkten Angriffen. Auch mit Ankara wird die Rhetorik schärfer, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gedroht hatte, die Türkei werde in Israel "reingehen" wie in Berg-Karabach und Libyen. Dass die Türkei tatsächlich ein militärisches Vorgehen gegen Israel in Betracht zieht, wird jedoch gemeinhin bezweifelt. 

Der israelische Ex-Militärgeheimdienstchef Tamir Hayman schrieb, die Hisbollah habe mit dem Angriff auf dem Golan einen schweren Fehler begangen. "Kindern Schaden zuzufügen, vor allem Drusen auf den Golanhöhen, stellt sie im Libanon in ein negatives Licht", erklärte der Leiter der Denkfabrik INSS. "Dies zusätzlich zu der Wut vieler Libanesen darüber, dass das Land in einen Krieg gegen Israel schlittert, der für sie völlig überflüssig ist." Vor diesem Hintergrund könne Israel es sich erlauben, mit einer Reaktion etwas abzuwarten. "Die Zeit arbeitet für uns. Es ist besser, die Hisbollah etwas im eigenen Saft schmoren zu lassen." 

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