Der ukrainische Präsident Selenskyj hat das Ziel der Kursk-Offensive enthüllt. Doch kann Kiew dauerhaft russisches Gebiet besetzen?
Welches militärische Ziel will die Ukraine in der russischen Region Kursk erreichen? Darüber rätselten die Analysten, seit die Offensive am 6. August begann. Dem ukrainischen Militär wurde vorgeworfen, dass neben dem Wert, einen PR-Coup gelandet zu haben, überhaupt kein strategisches Ziel zu erkennen sei.
Vor zwei Tagen erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj nun, eine Pufferzone auf russischem Gebiet schaffen zu wollen. Er sagte: "Unsere wichtigste Aufgabe bei allen Verteidigungsoperationen ist es jetzt, so viel russisches Kriegspotential wie möglich zu zerstören und so viele Gegenoffensiven wie möglich durchzuführen." Dazu gehöre auch die Schaffung "einer Pufferzone auf dem Territorium des Aggressors – unsere Operation in der Region Kursk".
Ukraine Brücke bei Kursk 14:51
Was bedeutet Pufferzone?
Eine Pufferzone nannte auch Putin als Ziel seiner Operationen nördlich der Stadt Charkiw im Osten der Ukraine. Aber was bedeutet dieser Begriff überhaupt?
Zuerst einmal sagt das Ziel einer Pufferzone viel darüber aus, was Kiew zumindest offiziell nicht machen wird: immer tiefer nach Russland vorzustoßen, die Stadt Kursk einzunehmen oder zumindest zu gefährden, oder das dortige Kernkraftwerk zu besetzen. Selenskyj machte aber auch deutlich, dass er die eroberten Gebiete zwar nicht annektieren, aber für die Dauer des Krieges besetzen will. Zu diesem Zweck wurde schon begonnen, eine Militärverwaltung in der eroberten Region zu errichten.
Die Pufferzone wird damit vermutlich nicht tiefer, aber sie könnte sehr wohl breiter werden. Derzeit versuchen Ukrainer, den Einbruch in russisches Territorium nach Westen und Osten zu erweitern oder an anderen Stellen der Grenze im Norden ähnliche Operationen durchzuführen. Doch kann es Kiew gelingen, das besetzte Gebiet im Wesentlichen zu halten und gar zu verbreitern?
Ukraine Hilfen Koalition streitet 11.00
Politisch wichtig - militärisch unbedeutend
In der flüssigen Form des Bewegungskrieges seit dem Überraschungsangriff am 06. August wurden Kiew viele Gebiete und tiefe Vorstöße zugerechnet. Häufig nur, weil dort ein paar ukrainische Fahrzeuge gesichtet wurden und keine Russen den Ort verteidigten. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Ort von den Ukrainern gehalten oder auch nur verteidigt wird. Es ist also zu erwarten, dass einige dieser "Landkarten-Gewinne" ebenso schnell verloren gehen, wie sie gewonnen wurden.
Man sollte nicht mit den von der Ukraine genannten 1000 Quadratkilometern rechnen, doch das Militär hat schon zu Anfang der Operation begonnen, eine Kernzone zu befestigen. Es wurde also von Beginn an erwartet, dass die Phase des stürmischen Vormarsches schnell zu Ende gehen und die ukrainischen Streitkräfte dann zur Defensive übergehen werden.
Pufferzone kann Putin Monate kosten
So kann es den Ukrainern durchaus gelingen, eine Pufferzone entlang der Grenze einzurichten. Es könnte Monate dauern, bis die Russen sie aus den eroberten Gebieten zurückdrängen können. Auch ist es denkbar, dass sie die Einbruchsbeule verbreitern, oder an anderer Stelle etwa bei Belgorod versuchen, die Grenze zu überschreiten.
Allerdings sind die Russen inzwischen aufgewacht und haben mehrere dieser Versuche bereits im Ansatz erstickt. Fraglich ist auch, ob die Ukraine weitere Brigaden in Reserve hat, um immer neue heiße Frontabschnitte zu eröffnen. Umgekehrt weiß man auch nicht, in welcher Dimension Russland Truppen in die Region schicken kann, ohne die Front im Osten der Ukraine zu schwächen. Und natürlich behindern die Ukrainer den russischen Aufmarsch, etwa indem sie die für die Versorgung wichtigen Brücken über den Fluss Sejm zerstören.
Die Front im Donbass rutscht
Eine dauerhafte Pufferzone wäre eine Demütigung für das Putin-Regime. Aber das Wort beinhaltet eben auch eine Kehrseite: Damit gibt die Ukraine die Initiative ab und bereitet sich auf die Verteidigung vor, ohne ein militärisch wichtiges Ziel erobert zu haben. Abgesehen von einer Demütigung und einem Gesichtsverlust hat Russland mehrere Dutzend Dörfer und Städtchen verloren.
Als Sprungbrett für weitere Offensiven könnten sie für die Ukrainer eine militärische Bedeutung erlangen, aber allein als besetzte Pufferzone haben sie keinerlei Wert. Nur politische Gründe zwingen Putin, gegen den Brückenkopf vorzugehen. Militärisch würde es ausreichen, die Zone abzuriegeln und ein weiteres Vordringen des Gegners zu verhindern und ansonsten abzuwarten.
Das zentrale Problem bleibt, dass es für den Fortgang des Krieges egal ist, ob Kiew diesen Streifen auch zum Jahreswechsel noch besetzt hält, wenn es nicht gelingt, den russischen Vormarsch im Osten zu stoppen. Parallel zu den Siegesmeldungen aus dem Raum Kursk, beschleunigt sich die Zersetzung der ukrainischen Front im Osten. Die ukrainischen Truppen weichen zurück und die frisch bezogenen Positionen fallen schneller als die zuvor aufgegebenen. Und diese Eroberungen zahlen direkt auf die strategischen Kriegsziele des Kremls ein.