In der Region Kursk haben die Ukrainer über 1000 Quadratkilometer besetzt. Die Russen stemmen sich gegen den Einbruch, aber von einer großen Gegenoffensive sind sie weit entfernt.
Vor etwa drei Wochen startete die Ukraine einen Überraschungsangriff Richtung Kursk. Kleine Kommandotruppen drangen weit nach in russisches Gebiet ein, reguläre Truppen folgten.
Möglich wurde das Unternehmen, weil die russische Führung die Vorbereitungen der ukrainischen Offensive übersahen beziehungsweise falsch einschätzten. Gleichzeitig war die Region kaum befestigt. Kaum ausgebildete Wehrpflichtige konnten die Ukrainer nicht aufhalten. Und die wenigen kampfkräftigen russischen Truppen wurden von den Ukrainern einfach umgangen, weil es, anders als im Donbass, kein mehrschichtiges System von sich gegenseitig deckenden Befestigungen gab. Drei Wochen später konnten die Russen den ukrainischen Vormarsch immer noch nicht komplett stoppen. Er wurde jedoch verlangsamt und es gelingt den Ukrainer kaum noch tiefer ins Landesinnere vorzustoßen.
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Einbruch bei Kursk kann noch größer werden
Doch damit sind Kiews Optionen nicht am Ende. Angeblich befinden sich noch weitere Brigaden in der Region, die in die Kämpfe eingreifen können. Derzeit hat der ukrainische Einbruch die Form einer Hand oder eines Kleeblattes. Es erreicht die Ortschaften Komarovka, Korenewo, Ol’govka, Semenovka, Malaya Loknya und Martynovka. Er könnte sich aber Richtung Westen verbreitern. Dort haben die Ukrainer die Brücken über den Fluss Seym zerstört und auch die militärischen Pontonbrücken erfolgreich angegriffen. Die Versorgung der russischen Truppen in dem Schnipsel zwischen Fluss und ukrainischer Grenzer ist deutlich erschwert. Erobern die Ukrainer diese Zone, vergrößert sich die von ihnen kontrollierte Fläche deutlich, dazu hilft der Flusslauf bei der Verteidigung.
Ggeneoffensive benötigt Vorbereitung
Was hat Russland bisher unternommen? Am Boden wurden einzelne Bataillone herangeführt, die in Ortschaften wichtige Straßen blockiert haben und auch zu Gegenangriffen übergegangen sind. Den Russen ist es bislang nicht gelungen, eine durchgehende Verteidigung aufzubauen. Dafür haben sie mobile Jagdgruppen in die Region gebracht. Durch sie ist es auch für die Ukrainer riskant geworden, russische Stellungen zu umgehen und etwa über Feldwege im Wald vorzurücken. Ihre Konvois können von russischen Kommandos angegriffen werden.
Alles in allem haben die Russen schon für die Verteidigung eher zu wenig Soldaten in der Region, von einem großen Gegenangriff nicht zu reden. Dazu kommt ein Mangel an schweren Waffen wie Panzern und Schützenpanzern. Die russische Feuerkraft in der Region resultiert aus Drohneneinheiten, die sehr schnell verlegt werden können, und einem verschwenderischen Einsatz der weitreichenden Iskanderraketen. Das wird nicht ausreichen, um die Ukrainer aus ihrer Frontbeule zu vertreiben. Rein militärisch ist eine Rückeroberung nicht geboten, doch aus politischen Gründen wird der Kreml es vermutlich nicht dulden wollen, dass die Ukrainer dauerhaft russisches Gebiet erobern.
Die russische Offensive im Donbass kommt ohne riskante Manöver aus, hier arbeiten die Russen langsam, aber systematisch. Doch ein solches Vorgehen in der Region Kursk benötigt eine lange Vorbereitung. Es müssen nicht nur zahlenmäßig überlegene Truppen mit Panzern und Artillerie in die Region gebracht werden. Für sie müssen geschützte Stellungen und Befestigungen errichtet werden. Dazu muss die gesamte Logistik einer Großoffensive aufgebaut werden, von Instandsetzungswerkstätten, Sanitätsplätzen bis zu Munitionsdepots. Gleichzeitig werden die Ukrainer die Zeit nutzen, die eroberten Gebiete ihrerseits mit Stellungen zu befestigen. Beides wird dazu führen, dass es – selbst wenn die Russen erfolgreich sein sollten – Monate dauern wird, die Gegend tatsächlich zurückzuerobern.
Verlustreiche Kämpfe bei Kursk
Bis dahin versuchen beide Seiten, dem Gegner schwere Verluste beizubringen. Die Russen haben den strukturellen Nachteil, dass sie ihre Truppen und Ausrüstung über eine begrenzte Zahl von Routen heranbringen müssen und dabei bekämpft werden können. Die Ukrainer das Problem, dass ihre Vormarsch-Beule von den Russen mit Fernwaffen und den tödlichen Gleitbomben attackiert wird. Vorrangiges Ziel der Russen sind die wertvollen Mehrfachraketenwerfer und Luftverteidigungssysteme, die Kiew an die Kurskfront gebracht hat. Kiews Hoffnung richtet sich dahin, dass die Verbündeten tiefe Schläge in russisches Gebiet erlauben, so dass sie russischen Flughäfen und Nachschubknotenpunkte angreifen können, um so die russische Kraft nachhaltig zu schwächen.
Putins Rache
Putins Kalkül geht eine andere Richtung. Auch wenn er bei Kursk eine lange Vorbereitungszeit braucht, ist er im Osten nicht untätig. Russland hofft, dass der ukrainische Widerstand dort immer mehr erlahmt und die eigenen Streitkräfte entscheidende Positionen und Städte einnehmen können. Und dabei so erfolgreich sind, dass Kiew die Kursk Operation abbrechen muss, um die Frontlöcher im Osten zu stopfen. Dazu hat Putins Verbündeter Belarus Truppen an die Grenze zur Ukraine gebracht, das soll Kiew dazu zwingen, eigene Truppen an die Grenze zu verlegen.
Die erwartet Rachereaktion Putins erfolgte am Montag, dem 26. August. Russland startet einen großangelegten Angriff mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen, der die gesamte Ukraine umfasste. Hauptziel war die Energieinfrastruktur. Angeblich wurde auch der Flughafen angegriffen, auf dem die F-16 Kampfjets stationiert sind. Ebenfalls sehr bedrohlich ist ein Angriff auf den Damm des "Kiewer Meers", eines riesigen Stausees, doppelt so groß wie der Bodensee. Die nächsten Tage werden zeigen, ob der Angriff ein einmaliger Kraftakt war, ob Moskau die strategische Luftoffensive gegen die ukrainische Infrastruktur in dieser Intensität fortführen kann.