Der Osten hat die Wahl: Am 1. September entscheiden knapp 3,3 Millionen Wahlberechtigte, wer in Sachsen künftig die politische Richtung vorgibt. Die CDU, die in Dresden seit 1990 den Regierungschef stellt, könnte zum ersten Mal seit Bestehen des Freistaats die Position der stärksten Kraft im Land verlieren.
Bei der Landtagswahl im Freistaat Sachsen deutet sich ein knapper Wahlausgang ab: In den Umfragen der vergangenen Monate lagen CDU und AfD zeitweise nahezu gleichauf. Der Vorsprung der Rechtspopulisten schien im Sommer abzuschmelzen, in der jüngsten Umfrage liegt die AfD hinter der CDU.
Die sächsischen Christdemokraten wurden zuletzt bei rund 34 Prozent der Stimmen gesehen, die Alternative für Deutschland (AfD) bei 30 Prozent. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) käme laut Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen auf rund 11 Prozent und wäre damit in Sachsen neue drittstärkste Kraft. SPD und Grüne lagen in der Erhebung vom 9. August jeweils bei rund sechs Prozent. Die Linke dürfte demnach den Wiedereinzug in den Landtag verpassen.
Hinweis: Die Daten zur Landtagswahl 2024 in Sachsen werden laufend aktualisiert.
Die Suche nach einer tragfähigen Mehrheit zur Regierungsbildung könnte sich schwierig gestalten: Der amtierende Ministerpräsident Michael Kretschmer musste bis vor Kurzem noch damit rechnen, mit der sächsischen CDU sogar auf Platz zwei abzurutschen. In einer Umfrage im Juni kam die AfD auf rund 30 Prozent, dicht gefolgt von der CDU mit 29 Prozent. Das BSW kam in dieser Erhebung von Infratest dimap noch auf satte 15 Prozent Zustimmung.
Die CDU stellt in Sachsen seit der Wiedervereinigung durchgehend den Ministerpräsidenten. Sollte CDU-Spitzenkandidat Kretschmer bei der Wahl weniger als 32,2 Prozent der Stimmen einfahren, müsste er nach innen und außen das bisher schlechteste CDU-Ergebnis bei einer Landtagswahl in Sachsen verantworten.
Bisher stützt sich Kretschmer auf eine schwarz-grün-rote Mehrheit. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob es in der bisherigen Konstellation weitergehen kann. Kretschmer selbst hat angekündigt, künftig ohne die Grünen regieren zu wollen. Seine Verhandlungsspielräume hängen davon ab, wie vielen Parteien der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde gelingt. In einer Befragung im Auftrag der Sächsischen Zeitung vom 19. Juni wurden SPD und Grüne in Sachsen jeweils nur bei 5,0 Prozent gesehen.
Kretschmer ist in der Bevölkerung vergleichsweise beliebt. In der Direktwahlfrage der Meinungsforscher führt der CDU-Politiker haushoch vor dem AfD-Spitzenkandidaten Jörg Urban. Den Spitzenkandidaten der Rechten können sich demnach nur 17 Prozent der von Infratest dimap Befragten als Regierungschef vorstellen. Der AfD-Spitzenkandidat schneidet damit zumindest in dieser Umfrage schwächer ab als seine Partei.
Klare Mehrheiten sind in Sachsen bisher nicht in Sicht. Sollten Grüne, Sozialdemokraten und Linke tatsächlich den Einzug ins Landesparlament verpassen, wären im sächsischen Landtag künftig womöglich nur noch drei Fraktionen vertreten. Kretschmer stünde dann auf Landesebene vor bundespolitisch höchst umstrittenen Entscheidungen. Im "Frühstart" bei RTL und ntv wollte er eine Koalition mit dem BSW auf Nachfrage zumindest nicht grundsätzlich ausschließen.
Allerdings kritisierte er das BSW deutlich. Das Bündnis plakatiere in Sachsen vor allem Wagenknecht, obwohl die Politikerin dort bei der Wahl am 1. September gar nicht antrete. Zudem sei kaum etwas über das Programm der Wagenknecht-Partei bekannt. "Auch das ist ein Stück weit eine Wundertüte, eine Blackbox", sagte Kretschmer.
CDU-Spitzenkandidat Kretschmer deutete im Vorfeld der Wahl bereits an, dass er weiterregieren möchte - nach Möglichkeit mit der SPD und ohne die Grünen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss er ausdrücklich aus. Auf Basis der bisher vorliegenden Umfragedaten käme die CDU mit den Sozialdemokraten auf maximal 55 der regulär 120 Sitze. Die Schwelle zur Mehrheit liegt allerdings bei 61.
Doch selbst mit Grünen und Linken im Landtag wäre eine Fortsetzung von Schwarz-Grün-Rot nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen: In den Umfragen reicht es mit den sächsischen Grünen für 59 bis 63 Mandate - allerdings nur, wenn die Grünen bis zum Wahltag im Vergleich zu 2019 tatsächlich zulegen können.
Zusammen mit dem BSW kämen Kretschmer und die Sozialdemokraten - Stand August - auf eine klare Mehrheit von 70 Sitzen im Landtag. Mit BSW und ohne die Grünen wären es für Kretschmers also deutlich mehr Mandate. Allerdings müsste der CDU-Politiker dann die erste deutsche "Blackbox"- oder "Wundertüten"-Koalition auf Landesebene führen.
Die Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen, Katja Meier, schließt eine Koalition mit dem BSW klar aus. "Ich bin Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, einer Partei, die aus der Bürgerrechtsbewegung entstanden ist, die 1989 auf die Straße gegangen ist für freie Wahlen, für Demokratie, für Pressefreiheit", sagte Meier im RTL/ntv-"Frühstart". Sie könne sich mit Blick auf die Russland-Positionen des BSW beim besten Willen nicht vorstellen, eine Koalition mit einer Partei einzugehen, die einem autoritären Regime nicht nur das Wort rede, sondern auch "autoritär regieren" werde.
Die Grünen-Politikerin Meier ist amtierende Justizministerin in Sachsen. Die Dreier-Koalition mit CDU und SPD wertet sie als Erfolg. Sie kritisierte, dass sich Kretschmer gegen eine erneute Koalition mit den Grünen ausspricht. "Die Unkenrufe von Michael Kretschmer finde ich an der Stelle auch völlig fehl am Platze, weil wie gesagt, es darum geht, dass wir hier stabile Mehrheiten haben und kein Blinken nach rechts Richtung AfD, genauso wenig wie mit den Kreml-Leuten vom BSW."
Hinweis: Diese Karte zeigt Ergebnisse der Kommunalwahlen in Sachsen, Stand Juni 2024
Die künftigen Mehrheitsverhältnisse im sächsischen Landtag entscheiden sich erst am Wahltag. Großen Einfluss auf das amtliche Ergebnis dürfte auch in Sachsen die Wahlbeteiligung haben: Der Einfluss der Stimmabgabe ist enorm, wie eine bekannte Vergleichsrechnung zeigt.
Bei der zurückliegenden Landtagswahl 2019 lag die Wähler-Quote in Sachsen bei 66,5 Prozent. Damit wären die Nichtwähler - hätten sie ihr Wahlrecht genutzt - auf einen theoretischen Stimmanteil von 33,5 Prozent gekommen. Am Wahlsonntag, dem 1. September, treten in Sachsen insgesamt 19 Parteien und Wählergruppen an.
Bei der Wahl 2019 hatte die CDU mit 32,1 Prozent der Stimmen ihr bisher schwächster Ergebnis in Sachsen seit der Wiedervereinigung eingefahren. Die AfD kam damals mit 27,5 Prozent auf Platz 2, gefolgt von der Linken mit 10,4 Prozent. Die Grünen hatten 2019 in Sachsen 8,6 Prozent der Stimmen erzielt, die Sozialdemokraten lagen mit einem Wahlergebnis von 7,7 Prozent auf Platz fünf.