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Klimagipfel in Aserbaidschan: Sollen Europas Steuerzahler Klimasünder im Globalen Süden unterstützen?



Ohne die Industrialisierung Europas und Nordamerikas wäre der Klimawandel kaum möglich gewesen. Doch vor der COP29 fordert Deutschland, dass andere Verantwortung übernehmen. Zu Recht?

Wenn es um Entwicklungshilfe geht, ist Deutschland ganz vorne mit dabei: Jährlich fließen Milliarden aus der Bundesrepublik, um soziale Projekte weltweit zu unterstützen. Auch für Klimamaßnahmen macht die Bundesregierung große Summen locker. Doch nun reicht es offenbar. Wochen vor dem Klimagipfel in Aserbaidschan stellte Außenministerin Annalena Baerbock klar, dass sich auch andere "große Emittenten" an der Klimafinanzierung beteiligen müssten.

"Es kann nicht sein, dass wir alles allein auf die historische Verantwortung abstellen", sagte Baerbock in Richtung China und Saudi-Arabien. Beide Nationen haben sich von Entwicklungsländern zu Klimasündern gewandelt. Trotzdem profitieren sie weiterhin von Hilfen, die eigentlich für besonders arme und betroffene Länder gedacht sind. Für Klimaschäden bezahlen wollen sie freilich nicht.Können wir unseren Planeten noch retten? 10.59

Doch mit schlichter Verweigerung lässt sich das Thema nicht einfach so abbügeln. Denn in Baku wird die Staatengemeinschaft genau darüber streiten.

Die Klimaschuld verschiebt sich

"Dass sich viele ehemalige Entwicklungsländer aus der Verantwortung ziehen, ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Christian Baatz. Der Philosophieprofessor von der Universität Kiel forscht zum Thema Klimagerechtigkeit und leitet derzeit ein Forschungsprojekt zu gerechter Klimafinanzierung. "Das Wohlstandsniveau und der Beitrag zum Klimawandel haben sich im Globalen Süden verändert", fasst Baatz das Dilemma zusammen. Damit sei klar, dass die Billionen, die nötig sein werden, nicht wie bisher nur von Norden nach Süden fließen können.

Ein Beispiel dafür ist Kuwait: Der Klimawandel macht sich dort stark bemerkbar, im Sommer 2021 war es nirgendwo auf der Welt heißer als in dem Emirat am Persischen Golf. Deshalb führen die Vereinten Nationen Kuwait im Annex II: Auf dieser Liste stehen Entwicklungsländer, die im Kampf gegen den Klimawandel auf Unterstützung angewiesen sind. Dank Erdöl und -gas ist Kuwait aber längst zu einem der reichsten Länder der Welt aufgestiegen. Seit den 1990er Jahren hat das Fürstentum seine Emissionen mehr als verdreifacht. Weniger als ein Prozent des Energiebedarfs deckt es über erneuerbare Quellen – Öl und Gas bleiben sein Hauptgeschäft.

Kuwait ist kein Einzelfall: Saudi-Arabien, China, Indien, Brasilien, Peru und Teile Afrikas – sie alle haben sich nicht nur aus dem Status als Entwicklungsländer herausgearbeitet, sondern auch zu führenden Emittenten entwickelt.

Top 10 Emittenten

Damit bröckelt der Grund, warum Deutschland und weitere Länder des Globalen Nordens für die Klimaschäden aufkommen sollen.

Wohlhabende profitieren, Betroffene siechen

Doch so leicht lässt sich das System wohl nicht umkrempeln. Bei den Klimaverhandlungen berufen sich die Staaten immer auf vergangene Entscheidungen. "Die saudi-arabischen Delegierten sind besonders bewandt darin, Beschlüsse zu blockieren, indem sie auf frühere Texte verweisen", erklärt Carola Klöck, Politikwissenschaftlerin am Forschungsinstitut Science Po in Paris.

Dieses Jahr dürften die Entscheidungen von Kyoto hervorgekramt werden. Damals wurde beinahe willkürlich festgelegt, wer zu den Nehmer- und zu den Geberländern gehört. "Es gab keine Kriterien, sondern man hat sich auf eine statische Liste geeinigt. Das war ein Fehler", sagt die Politikwissenschaftlerin. Deshalb zahlen bis heute nur 23 Industriestaaten und die EU die Quittung für den Klimawandel.

Die Bundesrepublik gehört zu den großzügigsten Klimafinanciers, obwohl das Land nicht einmal mehr unter den Top 10 der größten Emittenten rangiert. Nur die Weltbank und Japan geben mehr für Klimaprojekte im Globalen Süden aus. Mehr als 4000 Projekte hat Deutschland im Jahr 2023 unterstützt – und dafür über fünf Milliarden Euro hingelegt. Allerdings profitieren nicht die vom Klimawandel besonders betroffenen Inselstaaten, sondern "große und rasch wachsende Länder mit mittlerem Einkommen", wie Klöck bei einer Analyse von OECD-Daten herausgefunden hat.

Klimapatenschaften des BundesentwicklungsministeriumsKlimapatenschaften des Bundesentwicklungsministeriums: In diese Staaten fließen Deutschlands Klimahilfen
© Screenshot Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit

Ob die Bundesregierung künftig genauso viel oder mehr Geld in Klimaprojekte investieren wird, ist unklar. Wegen Lücken im Bundeshaushalt hatte die Ampel bereits Kürzungen beim Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministerium angekündigt. Viele deutsche Bürger begrüßen das, Entwicklungsländer und Hilfsorganisationen wie Oxfam gruseln solche Nachrichten dagegen.

Rätsel vor der COP29: Gerechter, aber wie?

In Baku stehen schwierige Verhandlungen an – vielleicht sogar die schwierigsten seit dem Klimaabkommen von Paris. Eine Dauerlösung ist nicht zu erwarten. Aber wenn Kriterien für Geber- oder Nehmerländer diskuitiert werden, dürfte das ein Schritt in die richtige Richtung sein. Dafür könnten der nationale Treibhausgas-Ausstoß und das Pro-Kopf-Einkommen entscheidend sein. Wissenschaftler sprechen von Zahlungspflicht (Responsibility to pay) und der Zahlungsfähigkeit (Ability to pay). Auch die Pro-Kopf-Emissionen könnten eine Rolle spielen.

Karte Emissionen

Solche Kriterien würden die Lage zwar nicht unbedingt vereinfachen, aber zumindest übersichtlicher machen. Kuwaits Pro-Kopf-Emissionen beispielsweise sind viermal so hoch wie in Deutschland. Allerdings übertreffen die deutschen Gesamtemissionen die in Kuwait deutlich. Und auch das Pro-Kopf-Einkommen ist in der Bundesrepublik höher. Das würde komplizierte Berechnungen nach sich ziehen, um die Klimaschuld der jeweiligen Staaten überhaupt bilanzieren zu können.

Viele Hoffnungen liegen auch auf dem Privatsektor. Vor den Verhandlungen hatten mehrere Staaten signalisiert, diesen stärker einbinden zu wollen. Klimaethiker Baatz plädiert dafür, die nationale Verantwortung ganz auf Einzelpersonen und Unternehmen zu übertragen. Je nach Emissionslast könnten sie unterschiedliche Beiträge zu einem internationalen Klimafonds leisten. "Theoretisch lässt sich das über eine CO2-Steuer regeln, realpolitisch ist diese Idee aber nicht umsetzbar", räumt er ein. Durch Emissionsabgaben würden die Preise steigen und damit auch Menschen mit niedrigen Einkünften treffen, die wenig zum Klimawandel beitrügen. "Eine Entlastung der Geringverdiener oder die Auszahlung eines Klimageldes an alle BürgerInnen ist schon national kaum durchzusetzen und global völlig utopisch."

Und jährlich grüßt die Schuldfrage

Das Treffen in Baku wird die Finanzierungsfrage nicht endgültig lösen, das Thema zum Dauerbrenner kommender COPs werden. Denn je nachdem, wie sich Emissionsausstoß und Wohlstand der Nationalstaaten weiterentwickeln, verschieben sich auch Schuld und Verantwortung.

"Aber solange wir noch CO2 ausstoßen und uns zu wenig an der Klimafinanzierung beteiligen, steigt unsere historische Schuld", sagt Baatz. Sollte Europa seine Klimaziele erreichen, stellt sich womöglich die Frage, wie viel die Staaten dann noch in den internationalen Klimafonds einzahlen müssen. Baatz ist aber sicher, dass die historische Verantwortung bleibt, egal, ob Deutschland und Europa das Netto-Null-Ziel erreicht haben oder das Geld benötigen, um eigene Klimaschäden zu begleichen. Mit der historischen Verantwortung müssten sich auch kommende Generationen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus beschäftigen. Dass sich der Globale Norden aus der Verantwortung ziehen kann, ist unwahrscheinlich. Ziemlich sicher ist dagegen, dass die Bundesrepublik – egal wie heftig sie vom Klimawandel getroffen wird – auf absehbare Zeit nicht von Klimageldern profitieren wird. Denn dafür ist unser Land schlicht zu reich.

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