1 month ago

Kaja Kallas als Außenbeauftragte: Die erbitterte Putin-Gegnerin sucht den Anschluss an Trump



Klare Ansagen an Russland machte Kaja Kallas als Estlands Regierungschefin. Aber in dem von ihr anvisierten Amt als EU-Außenbeauftragte muss sie den künftigen US-Präsidenten Trump bei Laune halten - der droht, die Ukraine fallen zu lassen.

Klare Worte. Stringente Forderungen. Ein entschlossenes Auftreten. Kaja Kallas glänzt bei ihrer Anhörung im Europäischen Parlament mit ihren Stärken. So will Kallas die Abgeordneten davon überzeugen, ihrer Nominierung als Hoher Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik zuzustimmen. Zwar verzögert sich Kallas' Bestätigung im Amt - die Parlamentarier verschoben ihre Entscheidung über alle sechs designierten Kommissions-Vizepräsidenten auf Dienstag, wegen Streitigkeiten über den italienischen Kandidaten Raffaele Fitto. Dass die Abstimmung zugunsten Kallas ausfällt, ist jedoch so gut wie sicher.

Vor Ihrer Nominierung für das EU-Amt war Kallas Estlands Regierungschefin - und als solche eine der erbittertsten Gegnerinnen des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der EU. Das wird auch an diesem Morgen in Brüssel deutlich. "Wenn wir hinter der Ukraine stehen und Entschlossenheit zeigen, wird Russland klar werden, dass der Krieg ein Fehler war und es den Krieg nicht gewinnen kann", sagt Kallas mit kräftiger Stimme.

Für klare Worte ist auch der zukünftige Präsident auf der anderen Seite des Atlantiks bekannt. Im Gegensatz zu Kallas ist Donald Trump zwar viel eher Populist als Pragmatiker, nimmt aber wie sie oft kein Blatt vor den Mund. Ein Beispiel für die Gemeinsamkeit zweier Persönlichkeiten, die auf den ersten Blick gar nicht zueinander passen wollen. Auf der einen Seite Kallas, die unprätentiös wirkende 47-Jährige, die Putins Russland als brandgefährliche Kolonialmacht ansieht. Noch dazu gehört sie der Estnische Reformpartei an, die einen wirtschaftsliberalen Kurs vertritt. Auf der anderen Seite der prahlerische 78-jährige Republikaner, der nicht nur mit seinen angeblich guten Beziehungen nach Moskau kokettiert, sondern mit seinem "America First"-Protektionismus dem Freihandel den Kampf angesagt hat.

Kallas: "Unsere Verteidigung ist unsere Aufgabe"

Kallas wird in ihrer Amtszeit aber nicht umhinkommen, weitere Gemeinsamkeiten mit Trump zu finden. Die Europäer brauchen den Schutz der USA in der NATO; sowohl den konventionellen als auch den nuklearen. Trump hatte schon mehrfach gedroht, diesen Schutz abzuziehen, sollten nicht alle NATO-Mitgliedstaaten das Ziel erfüllen, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für ihre Verteidigung auszugeben. Hier findet Kallas schon einen ersten Anknüpfungspunkt, ohne lange suchen zu müssen: Unermüdlich forderte ihre estnische Regierung - wie viele andere in Ost- und Nordeuropa - die EU-Staaten dazu auf, endlich ihren Wehretat aufzustocken.

Diese Überzeugung vertritt Kallas noch immer. "Ich bin der Meinung, dass unsere Verteidigung unsere Aufgabe ist und dass wir mehr in unsere Verteidigung investieren sollten", sagt sie etwa. Mehrmals betont sie, die USA seien der wichtigste Partner der EU; sie wolle transatlantische Brücken bauen und nicht abreißen. Die Sicherheitsarchitektur Europas sieht sie ausschließlich innerhalb der NATO. Ein separates Militärkonstrukt der EU aufzubauen, sei nicht nur unnötig, sondern könne gar "verwirrend sein, wenn es zu einem Konflikt kommt". Es sind Sätze, die eindeutig an Trump adressiert sind, ihm die Hand zur Zusammenarbeit reichen sollen. "Das Zwei-Prozent-Ziel ist sehr wichtig für die globale Sicherheit insgesamt", sagt Kallas. Trump drückt das zwar anders aus, wenn er sagt, die Europäer würden "nicht zahlen" - aber er meint das Gleiche.

Kallas' Forderungen an die europäischen Staats- und Regierungschefs sind berechtigt. Schließlich ging sie selbst in ihrer Amtszeit in Tallinn mit gutem Beispiel voran. Sie mutete den Esten damals Steuererhöhungen zu, um in die Verteidigung ihres Landes zu investieren - ein Grund für Kallas' sinkende Popularität in ihrer Heimat. Dass ihr Ehemann an einem Logistikunternehmen beteiligt war, das nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine weiter Waren nach Russland ausfuhr, hat ebenfalls an Kallas' Image gekratzt.

Estland gibt 3,43 Prozent des BIP für Verteidigung aus

Obwohl sie sich damals durch die Steuern unbeliebter machte, sah Kallas keine Alternative zu den sicherheitspolitischen Investitionen. "Natürlich würde ich das Geld gerne für andere Dinge als Verteidigung ausgeben, aber ohne Sicherheit haben wir nichts", sagte Kallas im Gespräch mit ntv.de und weiteren deutschen Medien in Tallinn. Dank dieser Bemühungen liegen die estnischen Verteidigungsausgaben innerhalb der NATO bei 3,43 Prozent des BIP. Das ist Platz zwei, hinter Polen und noch vor den USA.

Zum Vergleich: Deutschland schleppte sich in diesem Jahr knapp über die Zwei-Prozent-Marke, dank des Sondervermögens für die Bundeswehr - und weil man auch Posten wie Versorgungsleistungen für Ex-NVA-Soldaten als Verteidigungsausgabe deklarierte. Allerdings ist noch unklar, was passiert, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist.

Kallas' Engagement für die europäische Wehrhaftigkeit gegen Russland liegt auch in ihrer Biografie begründet. In ihrer Rede vor den EU-Abgeordneten geht sie auf die "schmerzhafte Vergangenheit Estlands" in der Sowjetunion ein, an die sie sich auch noch lebendig erinnert. "Ich bin hinter dem Eisernen Vorhang groß geworden", wo es keine Freiheit wie jetzt in der EU gegeben habe. In anderen Reden sprach Kallas bereits über ihre Mutter, die als Baby nach Sibirien deportiert wurde. Die EU bedeute für sie vor allem Freiheit, betont Kallas. Sie ist von Haus aus überzeugte Europäerin. Ihr Vater war der erste estnische EU-Kommissar in Brüssel. Kallas selbst war vier Jahre lang, von 2014 bis 2018, Europaabgeordnete.

Kallas zeigt klare Kante gegen China

Vielleicht ist Kallas wie geschaffen dafür, in Trump die Liebe für die EU zu wecken? In ihrer Anhörung wird deutlich, wie sie dabei argumentativ vorgehen will: geopolitisch. Falls die USA einen Überfall Chinas auf Taiwan fürchteten, sollten sie die EU in ihrem Kampf gegen Russlands Invasion stützen, sagt sie. Denn China, Nordkorea, der Iran und Russland würden gemeinsam gegen westliche Staaten arbeiten, um deren "regelbasierte Ordnung zu ändern". China kritisiert Kallas auffallend häufig während der drei Stunden ihrer Anhörung. Peking sei jetzt eher "Wettbewerber und Rivale" als Partner, sagt Kallas. Vor nicht allzu langer Zeit lautete das Mantra der EU: Partnerschaftlichkeit bei gleichzeitiger Konkurrenz mit der Volksrepublik.

Dass sich das jetzt ändert, mag vor allem an Trumps Einzug ins Weiße Haus im Januar liegen. Trump will einen harten Kurs gegenüber China einschlagen. Das lässt sich bereits aus den Ankündigungen für seine Zollpolitik erkennen: Auf alle Importe aus der EU plant Trump einen Zoll von zehn Prozent, die Einfuhren aus China sollen hingegen mit satten 60 Prozent belegt werden. Kallas bemängelt in ihrer Rede, das "strukturelle Ungleichgewicht zwischen China und der EU" schade dem Binnenmarkt. Zudem habe es Peking ermutigt, Moskau in seinem Angriffskrieg zu unterstützen. Dafür "muss China die Kosten zu spüren bekommen", fordert Kallas. Eine klare Ansage an die kommunistische Einheitspartei unter Xi Jinping. Unlängst hatte die EU Strafzölle gegen E-Autos aus China verhängt, weil sie der Volksrepublik unfairen Wettbewerb durch hohe Subventionen vorwirft.

Auch bei den Ansagen an Putin findet Kallas in Brüssel wieder deutliche Worte. "Die Ukraine muss gewinnen, Russland muss vertrieben werden, und der russische Aggressor und die Kriegsverbrecher müssen vor Gericht gestellt werden", forderte sie bereits 2022 in einem Artikel für die Zeitschrift "Foreign Affairs". So deutlich hatten weder US-Präsident Joe Biden noch Bundeskanzler Olaf Scholz einen Sieg der Ukrainer auf dem Schlachtfeld gefordert, bis heute. Kiews Triumph über Moskau thematisiert Kallas auch im EU-Parlament. Sie betont immer wieder, die EU müsse bei der Unterstützung der Ukraine "Entschlossenheit an den Tag legen" und daran arbeiten "solange es braucht". Auch bekommt sie mehrmals Applaus, als sie Rechtsaußen-Parlamentariern die Stirn bietet, die zur Zusammenarbeit mit Russland auffordern.

Trump will Ukraine-Krieg in 24 Stunden beenden

Wie diese Einstellung wohl bei Trump ankommen wird? Er hatte mehrmals gedroht, die Ukraine fallen zu lassen. Den Krieg wolle er durch ein Gespräch mit Putin beenden, und zwar binnen 24 Stunden, sagte er. Keine gute Ausgangslage für Kallas. Dennoch deutet sie an, der Republikaner könne davon überzeugt werden, Kiew weiterhin zu helfen. Isolationismus habe sich für die USA historisch nie ausgezahlt, sagt Kallas - um anschließend wieder auf die unheilige Allianz zwischen Russland und China einzugehen. Wird sich Trump von diesen geopolitischen Argumenten überzeugen lassen, um einen von ihm viel beschworenen "Deal" abzuschließen? Wird er wie Kallas Gemeinsamkeiten suchen oder auf Konfrontationskurs mit den Europäern gehen? Kallas betont, sie habe aufgrund ihrer Amtszeit als estnische Regierungschefin gute Kontakte zu Trumps Umfeld aufgebaut, etwa zu seinem Vize JD Vance. Dennoch steuert sie in ihrem neuen Amt auf viele Unwägbarkeiten zu, dessen ist sich Kallas bewusst.

Auf die Frage, ob die EU die Ukraine noch umfangreich unterstütze, wenn Trump wie angedroht die US-Hilfen streiche, antwortet Kallas ausweichend: "Ich glaube, dass niemand wirklich absehen kann, was Trump tut." Vielleicht ist sie sich bei der EU in dem Punkt auch nicht so sicher.

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