Union und SPD erwägen, im Eiltempo riesige Sondervermögen zu beschließen. Der Jura-Professor Kyrill-Alexander Schwarz warnt vor einem Verstoß gegen das Demokratieprinzip.
Herr Schwarz, CDU-Chef Friedrich Merz will möglicherweise schon nächste Woche mit dem alten Bundestag ein Sondervermögen beschließen. Und das, obwohl der neue Bundestag schon gewählt ist. Ist das rechtlich überhaupt möglich?
Es ist tatsächlich so, dass der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen Bundestags fortbesteht. Es gibt also keine parlamentslose Zeit, sondern – und das sagt auch die Verfassung – solange der neue Bundestag noch nicht zusammengetreten ist, gibt es noch den alten Bundestag. Von daher wäre es grundsätzlich möglich und der Bundestag wäre auch beschlussfähig.
Trotzdem halten Sie es für problematisch, wieso?
Weil man damit vorgreift und eine Bindung gegenüber dem neuen Bundestag zum Ausdruck bringt. Gerade auch, weil es sich hier um ein verfassungsänderndes Gesetz handelt, das nicht so einfach rückgängig zu machen ist. Es würden jetzt Fakten geschaffen, die der nachfolgende Bundestag, der deutlich stärker demokratisch legitimiert ist, dann nicht mehr ändern kann. Und da sehe ich zumindest ein verfassungsrechtliches Problem.
Das heißt, der alte Bundestag ist zwar handlungsfähig, aber nur bedingt?
Diese Frage ist unter den Juristen umstritten. Die herrschende Meinung sagt, er ist uneingeschränkt handlungsfähig. Es gibt aber auch andere, die sagen, es gibt eine gewisse Begrenzung der Handlungsfähigkeit. Zu denen gehöre ich.
Wieso?
Ich finde, dass man wegen der Gefährdung des Demokratieprinzips und der Frage der Legitimation des staatlichen Handelns überlegen muss, ob es eine Art Organtreue gegenüber dem nachfolgenden Bundestag gibt, die sagt, wenn wir jetzt als alter Bundestag noch Entscheidungen treffen, dann dürfen das nur solche sein, die unaufschiebbar und jetzt zwingend geboten sind.
Und das trifft auf ein Sondervermögen für die Bundeswehr nicht zu?
Das ist eine politische Frage. Aus politischer Sicht soll es gemacht werden, weil der Preis einer Verfassungsänderung im neuen Bundestag deutlich höher sein wird, weil man für eine Zweidrittelmehrheit die Zustimmung der Linken bräuchte.
Wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass die Handlungsfähigkeit des alten Bundestages eingeschränkt ist? Im Grundgesetzt steht davon nichts.
Das ist richtig, die Verfassung legt eigentlich das Gegenteil nahe. Meine zwei Argumente sind die Staatspraxis und das Demokratieprinzip. Ein Blick auf die Staatspraxis zeigt, dass man so etwas eigentlich nicht macht, es sei denn, es ist zwingend vorgesehen. Auch, was das Demokratieprinzip angeht, sehe ich Probleme. Mit den Sondervermögen im alten Bundestag würde eine Entscheidung getroffen, der es an der Legitimation fehlt. Das steht der Demokratie nicht gut zu Gesicht.
Hat es das vorher schon einmal gegeben, dass der Bundestag in der Übergangszeit bis zur Konstituierung des neuen Bundestages zusammenkommt und etwas beschließt?
Ja, es gibt sogar zwei Fälle. Den ersten Fall gab es in den 70er-Jahren, da ging es um die Anpassung der Diäten der Abgeordneten infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das war ein eher technischer Fall, der nicht viel Aufsehen erregt hat.
Und der zweite Fall?
Der zweite Fall war am Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl. Nach den Neuwahlen war es damals notwendig, die Parlamentsbeteiligung für den Auslandseinsatz deutscher Soldaten im Kosovo einzuholen, weil das verfassungsrechtlich so vorgesehen ist. Und da ist der alte Bundestag noch einmal zusammengetreten, um diesen einzelnen Beschluss zu fassen.
Trotzdem ist der Fakt, dass es Präzedenzfälle gibt, kein Argument für Sie, dass es auch jetzt verfassungsrechtlich in Ordnung sein sollte?
Genau. Weil die Fälle nicht vergleichbar sind. Das eine ist ein Beschluss, das andere ein verfassungsänderndes Gesetz. Allein die erforderlichen Mehrheiten zeigen, dass eine Verfassungsänderung schwerer wiegt. Deshalb habe ich bei sofortigen Sondervermögen ein großes Störgefühl.
Sollte ein Sondervermögen beschlossen werden, hat die Linke angekündigt, dagegen zu klagen. Wie würde das aussehen?
Es würde wahrscheinlich ein sogenanntes Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geben. Das Ziel wäre es, feststellen zu lassen, dass Rechte des Bundestages verletzt würden, wenn so etwas geschieht.
Und wie schätzen Sie die Chancen einer solchen Klage ein?
Da ich eine Mindermeinung vertrete, glaube ich nicht, dass ein solches Verfahren erfolgreich wäre. Aber vor Gericht weiß man nicht, wie es ausgehen würde.