In den Schlössern von Sologne in Frankreich trifft sich die High Society zur Jagd und verwandelt die Wälder in ihren Privatspielplatz. Anwohner wollen das nicht länger mitansehen.
Zwei Autostunden südlich von Paris eröffnet sich im nebelverhangenen Tal der Loire eine gigantische unverbaute Ebene: die Sologne. Eine verwunschene Landschaft wie man sie von alten Ölgemälden kennt, 5000 Quadratkilometer groß. Zwischen urwüchsigen Wäldern, Teichen und Heidekraut jagte einst die französische Aristokratie. Mehr als 400 Jagdschlösser thronen in dem Gebiet. Einige gehören dem Staat, die meisten haben neue Herren gefunden: Die Sologne ist heute zu neunzig Prozent in privatem Besitz. Und das Gebaren der neuen Klientel sorgt für ordentlich Ärger. Der Autor und Journalist Jean-Baptiste Forray hat recherchiert, was das für die Region bedeutet.
Monsieur Forray, in Ihrem Buch "Les Nouveaux seigneurs" beschreiben Sie eine verborgene Welt: die Jagdgebiete der Superreichen. Wer sind diese "neuen Herren", wie Sie sie nennen?
Das sind vor allem große Industrie-Kapitäne, die Chefs der französischen börsennotierten Unternehmen. Die Jagd ist unter den Bossen der CAC-40-Konzerne (CAC, der französische Aktienindex, Anm.d.Red.) ein beliebter Zeitvertreib.
Wer gehört dazu?
Beispielsweise die Gebrüder Wertheimer, die Aktionäre von Chanel. Oder die Familie Bouygues. Aus dem Kulturbereich sind die Kino-Mogule der Familie Seydoux bekannt. Ein leidenschaftlicher Jäger war Olivier Dassault vom gleichnamigen Luftfahrtkonzern. Er hat in den Wäldern der Sologne den ein oder anderen "Falcon" verkauft, ehe er vor drei Jahren bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam.
Ist das der Zweck dieser neo-feudalen Jagden? Geht's ums Geschäftemachen?
Verträge werden nur selten unterzeichnet. Es geht um Verbindungen. Man ist stundenlang beisammen, im Regen und im Schlamm. Die nüchterne Rationalität der Geschäftswelt wird unterbrochen, der Jagdtrieb zählt. In einigen Familien – ich denke da an die Vuittons – hat die Jagd fast eine religiöse Bedeutung. Hubert-Louis Vuitton ist amtierender Präsident des bedeutenden Jägerverbandes im Department Loir-et-Cher. Er jagt an fünf Tagen die Woche, wenn die Zeit es ihm erlaubt. Sein Bruder war ein großer Anhänger der Hetzjagden mit Hunden.
Die Superreichen der Pariser Gesellschaft haben sich prächtige Schlösser und gigantische Waldgebiete einverleibt. Dabei geht’s offenbar nicht nur ums Vergnügen. Sie bezeichnen die Sologne als "Finanzparadies". Was ist das für eine Welt?
Wenn man Wälder besitzt und pflegt, genießt man steuerliche Vergünstigungen. Das ist sicher sehr angenehm. Viel wichtiger ist jedoch der soziale Verbund, der dort geschmiedet wird. In der Sologne ist man unter sich. Die Leute aus den feinsten Pariser Vierteln finden sich dort in guter Nachbarschaft wieder. Politiker und Wirtschaftsbosse kommen auf den Schlössern zusammen, das hat eine lange Tradition. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat François Fillon beispielsweise jagt gern gemeinsam mit seinen Freunden vom Axa-Konzern.
Und Emmanuel Macron?
Er nicht. Aber auch er weiß um die Bedeutung. Immerhin hat er 2017 seinen 40. Geburtstag auf Schloss Chambord gefeiert, dem wichtigsten und traditionsreichsten Anwesen der Region. In den Wäldern traf er auch die Präsidenten der Jagdverbände. Das war eine symbolische Wahl, mit der er die Jagdgemeinschaften ehrte, auch, wenn er selber nicht teilnimmt.
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Sie beschreiben ein äußerst diskretes Universum. Die wenigsten Firmenbosse brüsten sich heute noch öffentlich mit Fotos von toten Tieren. Trotzdem bleibt die Jagd ein Tor zum exklusivsten Zirkel der Gesellschaft. In Ihrem Buch zitieren sie einen Teilnehmer, der sagt: "Neben den Eliteschulen und der Freimaurerei bildet die Jagd das wichtigste soziale Netzwerk".
Ja, denn anders als beim Golfspielen verbringt man beim Jagen ganze Tage miteinander. Die Zusammenkünfte beginnen meist mit einem pompösen Abendessen auf dem Schloss. Da wird den Gästen der rote Teppich ausgerollt und der ein oder andere Grand Cru für über 800 Euro die Flasche serviert. Danach dann ein Whisky am Kaminfeuer, vielleicht eine Zigarre… In diesem Rahmen kann sich ein Lobbyist, ein Berater oder Mitarbeiter dem Firmenchef ganz anders nähern als im Büro. Wer eine Einladung aufs Jagdschloss ergattert, bereitet sich also am besten vor, um im Wald nicht wie ein Dummkopf dazustehen. Die Pariser Schießstände sind stets gut besucht.
In den Terminkalendern der Konzerne taucht die Jagd nicht auf.
Viele Unternehmen bevorzugen den Eintrag "Herbstseminare". Denn ja, es ist in der Tat eine diskrete Welt. Und eine sehr maskuline. Frauen gibt es kaum. Man möchte nicht, dass darüber berichtet wird, viele finden mein Buch deswegen geschmacklos. Als hätte ich geheime Codes verletzt.
Haben Sie bei Ihren Recherchen etwas über die Psychologie gelernt? Was suchen die mächtigen Männer im Wald?
Auf der einen Seite ist es Eskapismus. Die Sologne liegt nur zwei Autostunden von Paris entfernt, mit dem Hubschrauber ist man in dreißig Minuten dort: herrliche Landschaft, frische Luft, völlige Abgeschiedenheit. Auf den Landsitzen gibt es keine Paparazzi, keine Journalisten oder andere Beobachter. Aber man sollte sich nichts vormachen. Vorrangig geht es nicht um die Natur, sondern ums Jagen. Das ist etwas, was in der Tiefe ihrer Seelen vibriert.
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Manche Anwesen sind um die 1000 Hektar groß, da kann man sich schon wie ein König in seinem eigenen Reich fühlen.
Gewiss, denn historisch betrachtet war die Jagd auf Hochwild ein Privileg des Adels. Einzig der König durfte einen Hirsch erlegen. Darum gibt es bis heute eine enge Verbindung zwischen der Jagd und der Macht. Immerhin bestimmt man über das Leben eines Wildtieres. Man nimmt sich das Recht, es zu töten. Diese ganz ursprüngliche Demonstration von Stärke prägt meiner Meinung nach in den elitären Kreisen die Faszination für das Jagen. Es geht bei diesen Leuten ja nicht um Nahrungsbeschaffung oder Hege.
Neunzig Prozent der Wälder in der Sologne sind inzwischen privatisiert. Viele Anwesen sind von meterhohen Gittern umschlossen, zusammengenommen kommt man auf gut 4000 Kilometer Zäune.
Gegen diese Entwicklung wird seit Jahren protestiert. Es geht nicht darum, die Jagd zu kritisieren. Aber das System hat ein Ausmaß angenommen, das mit dem Brauchtum und der Tradition der einfachen "Sonntagsjäger" nichts mehr zu tun hat. Einige dieser neureichen Großgrundbesitzer, die sich in der Sologne angesiedelt haben, verschanzen sich hinter Sicherheitsanlagen wie in Fort Knox. Sie feiern ihre Jagdbeute mit Champagner-Duschen. Ein Putin-naher Oligarch, der inzwischen sein Gelände verkauft hat, ließ die erlegten Wildschweine zu meterhohen Türmen aufstapeln. Der Protest gegen diese Pervertierung kommt übrigens auch von den normalen Jägern aus der Gegend. Sie nennen es "Porno-Jagd".
Was kritisieren sie?
Wegen der Zäune kann das Wild sich nicht mehr frei bewegen. Die gewisse Chancengleichheit, bei der das Tier ja wenigstens theoretisch seinem Jäger entkommen könnte, ist also dahin. Außerdem verstoßen die Zäune gegen die Errungenschaft der Französischen Revolution, nach der das Wild eben nicht mehr dem Adel, sondern allen gehört. Auf dem Privatgelände gelten Sonderregeln: Die Besitzer können jagen, wann sie wollen, ohne saisonale Einschränkungen. Leute aus der Region erzählen auch, wie die Wildtiere angefüttert werden. Majestätische Hirsche oder Rehe stehen hinter den Zäunen wie Kühe, sie sind ganz offensichtlich an Menschen gewöhnt. Wildschweine fressen Mais, der ihnen serviert wird. All das bricht mit grundlegenden Prinzipien.
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Wie reagieren die Großgrundbesitzer auf diese Kritik?
Sie sagen, dass sie die Zäune zum Schutz ihres Eigentums brauchen. Ein Casino-Betreiber erzählte mir von seinen Schwierigkeiten mit wütenden Kunden, die möglicherweise bei ihm eindringen könnten. Doch die Grundstücke sind so weitläufig, dass die Häuser ohnehin extra gesichert werden müssen. Die Zäune dienen also dazu, die Jagd zu erleichtern und möglichst viele Tiere auf seinem Besitz vorrätig zu halten. Die Entwicklung gipfelt darin, dass es inzwischen gigantische Spielplätze gibt, auf denen das Wild regelrecht abgeknallt wird. Eine völlig kommerzialisierte Form der Jagd.
Was meinen Sie?
Im Herzen der Sologne liegt beispielsweise ein großes Privatgrundstück, wo an den Teichen pro Saison 35 000 Wildenten aufgezogen werden. Wenn dann eine Jagdgesellschaft anrückt, schießen sie die Vögel mit halbautomatischen Waffen ab. Auf 16 Teilnehmer kommen über 4000 Enten und 15.000 Schuss Munition. Auch Wildschweine werden an solchen Wochenenden zu Hunderten erledigt. Das ist obszön und sorgt für Unmut in der Gegend.
Sind es Jagdtouristen, die sowas extra buchen können?
Jagdtouristen im gehobenen Stil, um es mal so zu sagen. Sie können eine exklusive Lodge mieten, privater Chefkoch inklusive. Auch die Hochsitze sind luxuriös gestaltet. Das Personal kredenzt zwischendurch den Aperitif, andere Angestellte sorgen dafür, dass auch wirklich Tiere vor die Flinte laufen.
Was kostet der Spaß?
Auf einem dieser Anwesen, das zum Vermögen eines großen französischen Industriellen gehört, zahlt man für drei Jagdtage mit Führer 14 800 Euro. Das ist allerdings der Preis ohne Unterkunft. Die kommt noch obendrauf. Je nachdem, was man sich so wünscht.
Was passiert eigentlich mit den ganzen toten Tieren? So viel Fleich kann doch niemand essen.
Die Tiefkühltruhen in der Sologne quellen über. Zwar gibt es viele spezialisierte Verarbeiter und Restaurants, aber der Konsum von Wild lässt sich nicht unendlich steigern. Das führt zu traurigen Vorkommnissen. Geschossene Enten landen mitunter in einem mit Kalk versiegelten Loch. Und an den Autobahnraststätten Richtung Paris findet man nach einem Jagdwochenende immer wieder Fasane und andere Wildvögel im Mülleimer.
Die Sologne, auch das beschreiben Sie, ist eine Region, die immer von der Jagd gelebt hat. Trotzdem regt sich Protest gegen die "neuen Herren". Worin besteht der Konflikt?
Die Jagd ist der wichtigste Wirtschaftszweig und zumindest früher war es so, dass die Bevölkerung von den vermögenden Ausflugsjägern und Großgrundbesitzern profitierte – schließlich benötigen die Anwesen viel Personal und Angestellte. Die wohlhabenden Pariser brachten Stars und Prominente in die Sologne, das gefiel den Leuten. Inzwischen gibt es aber auch eine Klasse von Neureichen, die einen regelrechten Separatismus pflegt. Ihre Grundstücke sind "Gated Communities" im Wald. Sie reisen mit eigener Entourage an. Sie suchen keinerlei Verbindung zum Land, sie benutzen es nur. Die Zäune sind ein Symbol für diese Maßlosigkeit und die Abschottung, denke ich.
Die Reichen kaufen und kolonialisieren die Provinz?
Ja, anders kann man es kaum nennen. Wenn es ihnen zu langweilig wird, gehen sie woanders hin. Ohne sich um die Probleme zu sorgen, die sie möglicherweise hinterlassen.
Der Protest hat etwas bewegt: Bis 2027 muss ein Großteil der Zäune abgesenkt oder zumindest wilddurchlässig gestaltet werden.
"Weder Mauern noch Zäune" – das ist der Slogan, genau. Keiner der einflussreichen neuen Herren konnte dieses Gesetz bisher stoppen, das ist schon ein kleines Wunder. Allerdings muss man abwarten, wie es angewendet wird. Interessant finde ich, dass der Protest eben nicht von Tierschützern oder Aktivisten kommt. Es sind die kleinen Jäger, die Leute von vor Ort, die sich – leise, aber bestimmt – gegen einen Umgang mit der Jagd und dem Wald wehren, der sich von der ursprünglichen Idee weit entfernt hat.