Anfang Oktober feuert der Iran fast 200 Raketen auf Israel ab. Mehrere zehntausende Raketen sind seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Angriffs, auf Israel abgeschossen worden. Noch hält das israelische Verteidigungssystem stand. Doch der Iron Dome hat eine gefährliche Schwachstelle.
In ganz Israel schrillen Anfang Oktober die Warnsirenen. Die Menschen rennen in die Schutzbunker oder suchen Schutz, wo sie gerade sind: in Treppenhäusern, unter Brücken, an Straßenrändern als ein Raketenhagel aus dem Iran auf Israel niedergeht. 180 ballistische Raketen fliegen auf Tel Aviv, Jerusalem und Co. Die Einschläge sind deutlich zu hören.
Mindestens zwei Dutzend der Raketen durchbrechen laut der Washington Post die Luftabwehr und treffen Militär- und Geheimdienst-Standorte oder landen in ihrer Nähe. Das israelische Militär bestätigt zwar Schäden an Luftwaffenstützpunkten durch Raketenangriffe, die sind aber nur gering. Es seien hauptsächlich Bürogebäude und Wartungsbereiche getroffen worden. Es gibt Einschläge im Zentrum und im Süden Israels. Im Westjordanland, wo es keine Schutzräume gibt, kommt ein Palästinenser durch herunterstürzende Raketenteile ums Leben, im Raum Tel Aviv werden zwei Menschen leicht verletzt.
Die meisten der Raketen aus dem Iran können jedoch abgewehrt werden. So wie auch die anderen Geschosse seit dem Angriff der Hamas auf Israel. Seit Oktober letzten Jahres sind über 21.500 Raketen auf Israel abgefeuert worden.
Das Land schützt sich mit einem mehrstufigen System gegen den massiven Beschuss, "um Raketen unterschiedlicher Reichweite abschießen zu können", erklärt Militäranalyst Fabian Hinz bei ntv. "Je größer die Reichweite der Rakete ist, desto größer die Geschwindigkeit am Ende der Flugbahn und dementsprechend schwieriger ist es, sie abzufangen." Die Komponenten funktionieren ähnlich: Das feindliche Geschoss wird erfasst, der Einschlagsort ausgerechnet, dann wird es abgeschossen - oder wenn es kein bewohntes Gebiet gefährdet, lässt man es einschlagen.
Iron Dome schützt gegen Raketen mit kurzer Reichweite
Der bekannteste Teil von Israels Verteidigungssystem ist der Iron Dome, die Eiserne Kuppel. Sie bildet eine Art Schutzkuppel über einem Gebiet. Der Iron Dome hat eine Erfolgsquote von über 90 Prozent, heißt es im Jahresbericht "Military Balance 2024" des Internationalen Instituts für strategische Studien. Beim ersten Angriff des Iran mit Drohnen und Raketen auf Israel im April konnten nach israelischen Angaben "99 Prozent" abgefangen werden. Und auch bei den iranischen Angriffen im Oktober war der Raketenabwehrschirm erfolgreich im Einsatz.
Der Iron Dome ist seit seinem ersten Einsatz 2011 schon mehrere tausendmal verwendet worden. Das bodengestützte Luftabwehrsystem schützt Israel vor kleineren Geschossen mit einer kurzen Distanz: Raketen, Mörsergranaten, präzisionsgelenkte Munition oder auch Drohnen, mit einer Reichweite von bis zu 70 Kilometern.
Jede Einheit besteht aus drei Teilen: einem Radarsystem, einem Computer und einer Abschussvorrichtung. Bis zu 20 Abschussrampen hat jede Iron-Dome-Einheit. Das Radar erkennt, wenn eine gegnerische Rakete startet, erfasst Geschwindigkeit und Flugbahn. Der Computer berechnet die Flugbahn der Rakete. Wenn sie Kurs auf bewohnte oder strategische Gebiete nimmt, feuert die Abschussvorrichtung die Abfangrakete los. Diese folgt der feindlichen Rakete und explodiert in ihrer Nähe. Die Reichweite der Abfangraketen vom Typ Tamir liegt bei etwa 17 Kilometern.
Eine Iron-Dome-Batterie kann bis zu sechs anfliegende Objekte gleichzeitig erfassen. Sie kann ein Gebiet von 150 Quadratkilometern gegen Raketen- und Artillerieangriffe schützen. "In 90 Prozent der Fälle ist dieses System erfolgreich", sagt Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, bei ntv.
Die Systeme sind mobil und können somit schnell in andere Regionen des Landes verlegt werden. Sie können bei Tag und Nacht und auch bei allen Wetterbedingungen aktiv werden.
USA stellen Teile für Iron Dome her
Israel hat mindestens zehn Iron-Dome-Einheiten, sagt der US-Rüstungskonzern RTX Corporation, der seit 2014 Teile des Systems in den USA baut. Andere schätzen, dass es noch mehr Einheiten gibt.
Dass nur feindliche Geschosse abgeschossen werden, die wichtige Gebiete treffen, hat vermutlich auch einen finanziellen Grund: Die Abfangraketen sind kostspielig. Ein Schuss kostet laut der Denkfabrik Center for Strategic and International Studies 40.000 bis 50.000 US-Dollar. Das ganze System ist rund 100 Millionen US-Dollar teuer.
Hergestellt wird der Iron Dome vom israelischen Rüstungskonzern Rafael Advanced Defense Systems und dem Luft- und Raumfahrtkonzern Israel Aerospace Industries. Die USA unterstützen das Projekt stark. Über drei Milliarden US-Dollar hat Amerika seit 2011 für Bau, Entwicklung und Instandhaltung ausgegeben. "Die Verteidigung durch die Iron-Dome-Anlage gibt uns Raum, Angriffe auf Hunderte Ziele durchzuführen", sagt Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Sie ist gewissermaßen die Lebensversicherung des Landes.
David's Sling schützt auch gegen Flugzeuge
Die mittlere Schicht von Israels Verteidigungssystem bildet die David's Sling. Die "Schleuder Davids", auch "Zauberstab" genannt, zielt auf größere Geschosse und deckt ein größeres Gebiet ab. Sie kann größere ballistische Mittelstreckenraketen, Marschflugkörper, Flugzeuge und Drohnen abfangen, mit einer Reichweite von 40 bis zu 300 Kilometern. Solche Waffen besitzen nach US-Angaben der Iran, Syrien und die Hisbollah-Miliz im Libanon.
Die David's Sling schützt nicht nur eine bestimmte Region, sondern das ganze Land: Für die gesamte Fläche von Israel reichen zwei Batterien aus.
Das System gibt es seit 2017. Es wurde zusammen mit den USA entwickelt - besonders gegen die Bedrohung durch die Hisbollah. Dafür hat sie rund 2,4 Milliarden US-Dollar ausgegeben, fast so viel wie für den Iron Dome. Das Luftabwehrsystem ist eins der fortschrittlichsten der Welt. Ein David's-Sling-Abfangjäger kostet eine Million Dollar. Finnland hat das System vergangenes Jahr von Israel gekauft.
Arrow fängt Raketen oberhalb der Atmosphäre ab
Für Raketen mit längerer Reichweite besitzt Israel das Arrow-System - übersetzt: Pfeil, mit den Abfangraketen Arrow 2 und Arrow 3. Ende der 1980er-Jahre hat Israel das System zusammen mit den USA entwickelt.
"Arrow 2 fängt die Raketen innerhalb der Atmosphäre ab. Arrow 3 geht noch einen Schritt weiter und fängt sie noch im Weltraum ab, wodurch man eine viel größere Reichweite erzielen kann", erläutert Militäranalyst Hinz. Der "Pfeil" kann Raketen in einer Höhe von 100 Kilometern abschießen und reicht bis zu 2400 Kilometer weit. Zum Vergleich: Irans neue Hyperschallrakete "Fattah" hat eine Reichweite von 1400 Kilometern.
Das Arrow-Raketenabwehrsystem besteht aus Radargeräten, einem Kontrollzentrum und einer mobilen Startvorrichtung. Das Radar spürt die anfliegenden Raketen auf und verfolgt sie. Das Kontrollzentrum berechnet die Flugbahn und sendet Steuersignale aus, um die Flugbahn der Abwehrrakete zu korrigieren. Jedes Abschussgerät ist mit vier Arrow-3-Lenkflugkörpern bestückt. Die neueren Arrow-3-Lenkwaffen zerstören die feindliche Rakete durch das Hit-to-kill-Prinzip - einen direkten Treffer. Eine einzige Arrow-Rakete kostet 3,5 Millionen US-Dollar.
Auch Deutschland setzt künftig auf das System und hat Arrow 3 von Israel gekauft. Ende nächstes Jahr soll der Raketenschutzschirm auf dem Fliegerhorst Holzdorf in Brandenburg einsatzbereit sein.
"Jedes Verteidigungssystem kann überwältigt werden"
Iron Dome, David's Sling und Arrow: Israel scheint gut geschützt vor feindlichen Angriffen. Doch 100-prozentige Sicherheit bieten die Systeme nicht, das hat auch der jüngste Angriff aus dem Iran gezeigt. Wie lange Israels Bollwerk standhält, wissen auch die Experten nicht. Sicher ist nur: Irgendwann geht jedes Abwehrsystem in die Knie.
"Jedes Verteidigungssystem kann überwältigt werden. Die Experten sprechen dann von übersättigt", erklärt Militärexperte Thomas Wiegold bei ntv. "Ein Iron Dome und ein Arrow-System können eine bestimmte Zahl von Raketen erkennen und abfangen. Wenn es zu viele werden, dann kommen Raketen durch. Noch ist diese Situation nicht eingetreten."
Der Iron Dome hat aber eine gefährliche Schwachstelle. Es sind die modernen Hyperschallraketen aus dem Iran, die in geringer Höhe durch die Atmosphäre fliegen und gesteuert werden können. Sie sind so schnell, dass sie für Radarsysteme schwer zu erfassen sind. Dadurch wird ihre Flugbahn unberechenbar. Selbst moderne Raketenabwehrsysteme können sie daher schwer abfangen.
Der Iran hat die neuartigen Raketen zum ersten Mal beim Angriff auf Israel Anfang Oktober eingesetzt. Einige konnten angeblich laut dem staatlichen Rundfunk die starke israelische Luftabwehr durchbrechen.
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