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Interview: Mediziner warnt: "Bei der Organisation von Organspenden versagt Deutschland"



Noch gibt es keine Widerspruchslösung für Organspenden in Deutschland. Der in Barcelona tätige deutsche Nephrologe Fritz Diekmann erklärt, warum er sie für notwendig hält.

An diesem Freitag entscheidet sich, ob es noch in dieser Legislatur einen neuen Anlauf für die sogenannte Widerspruchslösung geben wird, bei der man einer Organspende aktiv widersprechen muss. Der deutsche Nephrologe Fritz Diekmann leitet eines der größten Nieren-Transplantationszentren Europas an der Universität Barcelona. Im vergangenen Jahr wurden dort 230 Nieren transplantiert.

In Deutschland warten rund 8500 Menschen auf eine Organspende. Zwei bis drei sterben täglich, weil es nicht genügend Organe gibt. Nun haben mehrere Bundesländer und eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung gestartet. Diese sieht vor, dass im Falle eines Todes Organe entnommen werden dürfen – wenn zu Lebzeiten nicht widersprochen wurde. Wie sinnvoll ist das?
Ich bin da natürlich parteiisch. Als Arzt bin ich auf Seiten meiner Patienten und Patientinnen. Sie alle haben Nieren, deren Funktion zum Leben nicht mehr ausreicht. Aus meiner Sicht ist die Widerspruchslösung sinnvoll, weil sich gezeigt hat, dass mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von Amerika die Länder mit den höchsten Organspende-Raten alle die Widerspruchslösung haben. 

Der deutsche Nephrologe Fritz DiekmannDer deutsche Nephrologe Fritz Diekmann leitet das Nierentransplantationszentrum an der Universität Barcelona.
© privat

Statistisch lässt sich nicht belegen, dass die Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden erhöht. Für eine Studie von 2019 wurden 17 OECD-Länder mit Widerspruchslösung mit 18 OECD-Ländern mit der auch in Deutschland geltenden Regelung, selbst aktiv zustimmen zu müssen, verglichen. Ergebnis: Es gab bei den Organspenden keinen signifikanten Unterschied.
Da müsste man sich mal die Methodik näher anschauen. Es ist aber ein Fakt, dass in Europa die zehn Länder mit den höchsten Organspenderraten alle die Widerspruchslösung haben. Auch Spanien.

Spanien hatte 2023 eine viermal höhere Spendenquote als Deutschland. Das kann doch nicht nur an der Widerspruchslösung liegen?
Der gesetzliche Rahmen alleine führt nicht zu einem funktionierenden System der Organspende. Die Widerspruchslösung ist eine Art Zielvorgabe. Die Gesellschaft drückt damit aus, was sinnvoll und erwünscht ist. In Deutschland herrscht eher die Haltung: Die Organspende ist eine sehr persönliche Entscheidung, und da darf man niemanden beeinflussen.

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Was halten Sie daran für falsch?
Es geht hier um Menschen, die ohne Organtransplantation entweder eine sehr schlechte Lebensqualität haben oder sogar sterben. Sie sind in höchster Not. Eine Gesellschaft hat die Pflicht, diese Not zu wenden. Das geht nur mit der Organspende. Deshalb muss sich Deutschland neu definieren. Die Widerspruchslösung sollte fester Teil dieser Definition sein. 

Kritiker sagen, die Widerspruchslösung widerspreche dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.
Die Widerspruchslösung nimmt niemandem das Recht, eine Entscheidung zu treffen. Nochmal: Es geht hier um Not. Menschen sterben gegen ihren Willen, wenn sie nicht das notwendige Organ bekommen. Und da kann man von dem erwachsenen, aufgeklärten Bürger erwarten, eine Entscheidung zu treffen. Außerdem gibt es harte und weiche Widerspruchslösungen.

Was ist darunter zu verstehen?
In Spanien haben die wenigsten Menschen einen Organspendeausweis. Obwohl das gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, werden immer die Angehörigen gefragt, ob sie mit der Organspende einverstanden sind. Wenn die Familie "Nein" sagt und der Verstorbene sich zu Lebzeiten nie geäußert hat, wird die Organentnahme nicht durchgeführt, obwohl dies rechtlich möglich wäre.

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Auch in Deutschland wird die Familie gefragt.
Ja, aber die Frage wird anders gestellt. In Deutschland wird gefragt: Hat der oder die Verstorbene zu Lebzeiten den Willen geäußert, Organspender zu sein? In Spanien wird gefragt: Hat der oder die Verstorbene zu Lebzeiten gesagt, er oder sie möchte nicht Organspender sein? 

"Organspende heißt: Leben retten, wenn das eigene unrettbar verloren ist"

Warum sind die Spanier als Gesellschaft viel eher bereit, ein Organ zu spenden?
Weil sie mit dem Thema Organspende viel positivere Assoziationen haben. In Spanien heißt Organspende, dass man Leben rettet, wenn das eigene unrettbar verloren ist. Das hat auch etwas mit Vertrauen und Information zu tun. Die Einführung der Widerspruchslösung führt unzweifelhaft zu einer gesellschaftlichen Diskussion. Und dazu, dass sich die Praxis und die Organisation der Organspende verbessern wird. Denn bei der Organisation von Organspenden versagt Deutschland.

Ein hartes Urteil. Inwiefern Versagen?
Bei der Organspende ist ganz wichtig, potenzielle Organspender zu identifizieren. Also, Menschen, die "hirntot" sind und für eine Spende infrage kommen. Damit diese dann auch zu Spendern werden, sind viele organisatorische Schritte notwendig. Man muss die verstorbene Person in einem Zustand halten, dass eine Organentnahme möglich ist. Das ist mindestens genauso kompliziert, wie einen lebenden, kritisch kranken Menschen auf einer Intensivstation zu behandeln. Diesen Aufwand muss eine Klinik auch übernehmen. Und dann muss mit der Familie des potenziellen Organspenders gesprochen werden, in einer Situation, in der diese der höchsten emotionalen Belastung ausgesetzt ist. Darauf sind viele deutsche Kliniken nicht ausreichend vorbereitet.

Was müsste passieren, damit sich das verbessert?
Aus meiner Sicht brauchen wir eine Aufmerksamkeitskampagne in den Kliniken. Organspenden müssen zu einer Priorität werden. Auch hier würde die Widerspruchslösung weiterhelfen. Dann könnte man messen, wie viele Intensivbetten und wie viele Verstorbene eine Klinik einerseits zu verzeichnen hat und wie viele Organspender andererseits. Wenn eine Klinik dann weiter unter der durchschnittlichen Zahl von Organspenden läge, könnte man prüfen, woran es liegt und ob etwas strukturell verbessert werden muss.

"Unser System ist ausgerichtet, Leben zu retten"

Aber schadet das nicht dem Vertrauen in die Organspende? Wenn Kliniken Zielvorgaben haben, wie viele Organspenden sie am Ende des Jahres vorweisen müssen?
Inwiefern?

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Kann ich dann noch sicher sein, dass die Klinik alles dafür tut, mein Leben zu retten? Oder dass sie mich, wenn ohnehin wenig Hoffnung besteht, sterben lässt, weil sie noch einen Organspender braucht? 
Das kann man ausschließen. Unser Gesundheitssystem ist darauf ausgerichtet, Leben zu retten. Deutsche Kliniken unterschreiben, dass sie alles Notwendige für die Erhaltung von Leben tun. In der Praxis bedeutet das oft, dass auf Intensivstationen noch alles Mögliche probiert wird, obwohl man längst weiß, dass dieses Leben nicht mehr gerettet werden kann. Kein Mensch wird in einer Klinik sterben, weil man seine Organe braucht. Im Gegenteil: Die technische Ausstattung von Intensivstationen wird noch besser werden, wenn sie noch besser auf Organspenden eingestellt sind. Davon profitieren am Ende alle. 

Nicht hilfreich für das Vertrauen sind auch Berichte wie jener aus den USA, wo ein Mann, bei dem bereits der Hirntod festgestellt wurde, kurz vor der Organentnahme wieder erwachte. 
Dort, wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Solche Fälle sind aber absolute Ausnahmen, ich habe in meiner langjährigen klinischen Erfahrung keinen einzigen derartigen Fall erlebt. Ein hirntoter Mensch ist tot, der wacht nicht wieder auf. Aus meiner Sicht werden solche dramatischen Einzelfälle genutzt, um das System zu diskreditieren. Aber damit verhält es sich wie mit anderen falschen medizinischen Entscheidungen, wo Menschen zu Schaden kommen. Es wird sie immer wieder geben, daran wird weder die eine noch die andere gesetzliche Regelung etwas ändern. 

In Deutschland wird derzeit nicht nur die Widerspruchslösung diskutiert. Aus der FDP kam die Forderung, Organspenden auch nach dem Herz-Kreislauf-Tod zuzulassen, sogenannte DCD-Spenden (Donation after cardiocirculatory death). Dies ist bislang nur nach dem festgestellten Hirntod möglich. Wird hier Tod neu definiert?
Ich bin kein Ethiker. Aus medizinischer Sicht ist der Tod das Ende des Lebens. Das gilt für den Hirntod genauso wie für den irreversiblen Herz-Kreislauf-Tod. Ich glaube, dass bei dieser Diskussion Konzepte verwechselt werden. Man muss den sekundenlangen Herzstillstand im Rahmen einer Wiederbelebungsmaßnahme trennen von dem Herzstillstand als Todeszeichen. In Spanien, wo wie in vielen anderen Ländern DCD bereits möglich ist, gibt es eine sogenannte "No touch time" von fünf Minuten nach einem festgestellten Herz-Kreislauf-Stillstand. In dieser Zeit wird der Patient beobachtet, aber nicht berührt. In manchen Ländern ist die Zeit länger. Aber es ist unmöglich, bei Raumtemperatur eine fehlende Zirkulation des Blutes von fünf Minuten zu überleben. 

Meinung Organspende 15.35

Aber würde das Herz-Kreislauf-Tod-Kriterium wirklich helfen, die Zahl der Organspenden signifikant zu erhöhen?
Ja. In unserer Klinik stammen fast 50 Prozent der Nierenspenden von Menschen, bei denen der Tod auf diese Weise festgestellt wurde. Und noch etwas anderes: Wer in Deutschland Organspender werden will, kann dies nur, wenn bei ihm im Krankenhaus zuvor der Hirntod festgestellt wurde. Sonst sind seine Organe verloren. Mit DCD können auch einige Organe transplantiert werden von Verstorbenen, die mit der geltenden gesetzlichen Regelung in Deutschland nicht zur Verfügung stehen. Das würde dazu beitragen, dass mehr Menschen gerettet werden. 

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