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Innere Sicherheit: Was der Bund von Bayern lernen kann – und was eher nicht



Die CSU bekommt in der künftigen Bundesregierung das Innenministerium – und Markus Söder will bayerisches "Law and Order" nach Berlin exportieren. Kann das klappen?

Bescheidenheit ist bekanntlich nicht die erste Tugend von Markus Söder. Das gilt für ihn selbst, aber auch für den von ihm regierten Freistaat. "Sie wissen, Bayern ist das sicherste Land in Deutschland", sagte Söder jüngst bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags von Union und SPD. Deshalb werde auch die von ihm geführte CSU das Bundesinnenministerium übernehmen. "Die bayerische Sicherheitsphilosophie wird sich dort wiederfinden", versprach der Regierungschef. 

Und tatsächlich: Bayern gilt laut Kriminalitätsstatistiken seit vielen Jahren als das sicherste Bundesland. Seit einem Vierteljahrhundert meldet der Freistaat regelmäßig die niedrigste Kriminalitätsrate. 2023 wurden dort 4873 Straftaten pro 100.000 Einwohner erfasst – in Berlin waren es fast dreimal so viele. Selbst andere Flächenländer wie Sachsen-Anhalt zählen fast doppelt so viele Straftaten. Und dies, obwohl Bayern eine vergleichsweise geringe Polizeidichte hat.

Was also macht Bayern besser? Und wie viel Substanz steckt hinter dem Anspruch, Deutschland sicherer zu machen?

Söder ist ein Meister der politischen Selbstvermarktung – das ist spätestens seit seinen populären Instagram-Auftritten klar. Doch nicht nur bei Fotos von seinem Mittagessen oder Videos am Adventskranz zeigt Söder Influencer-Potenzial. Auch in Sicherheitsfragen kann er überzeugen.

"Je häufiger man wiederholt, dass Bayern das sicherste Bundesland ist, desto mehr glauben das die Bürgerinnen und Bürger", sagt Michael Kubiciel, Lehrstuhlinhaber an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg. Das stärke das wichtige subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und wirke den Verfallserzählungen von rechts entgegen.

Niedrige Kriminalitätsfurcht 

Neben Rheinland-Pfalz, Hessen und Schleswig-Holstein fühlen sich die Menschen in Bayern am sichersten. Einer Statistik aus dem Jahr 2017 zufolge hatten nur 17 Prozent der bayerischen Bevölkerung eine allgemeine Kriminalitätsfurcht. Die Korrelation zur Straftaten-Statistik ist offensichtlich: In Sachsen-Anhalt lag die Quote bereits bei 30 Prozent. 

"Das hohe Sicherheitsgefühl in Bayern ist das Ergebnis jahrzehntelanger Sicherheitspolitik", sagt Kubiciel. Es sei schwer zu sagen, welche Maßnahmen konkret zum Erfolgsmodell Bayern zählten – oder welche Faktoren genau zur niedrigen Kriminalitätsrate beitrügen. "Bayern verfolgt eine konsequente Politik der Nadelstiche." So würden etwa Ermittlungsverfahren in Bayern seltener und weniger großzügig eingestellt als in anderen Bundesländern. 

Nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Statistik wurden 2023 nur knapp 14 Prozent der Verfahren gerichtlich eingestellt – im Bundesdurchschnitt lag die Quote bei 59 Prozent. "Nach einem Warnschuss wird in Bayern auch durchgezogen", sagt Kubiciel.

Vor allem bei Drogendelikten greift die bayerische Polizei konsequent durch. Nachdem die bundesweite Legalisierung von Cannabis beschlossen wurde, hat Bayern als erstes Bundesland einen eigenen Bußgeldkatalog verabschiedet. Wer gegen die im Cannabis-Gesetz festgelegten Konsumverbote verstößt, zahlt im Freistaat bis zu 500 Euro.

Harte Regeln, viel Kritik

So sicher Bayern auch ist, so viel Kritik gibt es auch an den Maßnahmen, die zu dieser niedrigen Kriminalitätsrate beitragen. Da ist zum Beispiel die Schleierfahndung, die 1995 in Bayern eingeführt wurde. Sie soll vor allem grenzüberschreitende Kriminalität bekämpfen. In Einzelfällen funktioniert das auch: 2017 konnte bei einer Schleierfahndung ein mutmaßlicher Unterstützer der Pariser Attentäter festgenommen werden.

Klare Belege dafür, dass Schleierfahndungen tatsächlich schwere Straftaten oder Anschläge verhindern, existieren allerdings nicht. Dafür werden Menschen mit Migrationshintergrund überproportional häufig kontrolliert. "Die anlasslose Personenkontrolle trifft immer die Schwächsten der Gesellschaft", sagt Thomas Wüppesahl von der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten im Interview mit "Zeit Online". 

In Hessen hätten Wüppesahl zufolge rund die Hälfte der kontrollierten Personen eine ausländische Staatsangehörigkeit und einen Wohnsitz in Deutschland. Bei 95 Prozent der Überprüften ergab sich keinerlei Verdacht auf eine Straftat oder ein Fehlverhalten. Für Bayern gibt es keine vergleichbaren Zahlen – die Polizei führt keine Statistik dazu, wen sie bei verdachtsunabhängigen Kontrollen anspricht.

Auch das 2018 eingeführte Polizeiaufgabengesetz sorgte für Kritik. Denn mit dem neuen Gesetz dürfen Beamte nicht erst bei einer "konkreten", sondern bereits bei einer "drohenden Gefahr" eingreifen. Nicht nur der vage Begriff wurde beanstandet, sondern auch die damit verbundene Ausweitung der Überwachungsbefugnisse.

Markus Söder: "Law and Order, Hightech und Heimat"

Bayerns Sicherheitspolitik mag zwar zu niedrigen Kriminalitätsstatistiken führen – sie fußt jedoch in Teilen auf erheblichen Eingriffen in die Freiheitsrechte. Und genau diese Politik will Söder nun nach Berlin bringen. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags brachte der CSU-Chef die Ziele seiner Partei auf den Punkt: "Law and Order, Hightech und Heimat."

Doch wie realistisch ist es, dass Söder damit Erfolg hat? Nicht sonderlich, meint Kubiciel von der Universität Augsburg. "Was in Bayern über Jahrzehnte gewachsen ist, lässt sich nicht in vier oder acht Jahren übertragen", so der Jurist. Zudem seien viele der Maßnahmen, die zur bayerischen Kriminalitätsbilanz beigetragen haben, reine Ländersache. Darüber hinaus hätten wirtschaftliche und sozioökonomische Faktoren oft einen größeren Einfluss auf die Sicherheitslage als gezielte Präventionsmaßnahmen. 

"Die vielen Jahre der Unsicherheit sind vorbei", sagte Söder bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Aber vielleicht verhält es sich bei dem Satz wie mit seinen Instagram-Posts: Es muss nicht echt sein – Hauptsache, es sieht gut aus.

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