In genau zwei Wochen geht die elektronische Patientenakte im Rahmen einer „Hochlaufphase“ landesweit an den Start. Den Termin hat das Bundesgesundheitsministerium heute in einem Brief der gematik mitgeteilt. Demnach sei die ePA einsatzbereit, Sicherheitsprobleme seien gelöst. Wir veröffentlichen das Schreiben im Wortlaut.

Die elektronische Patientenakte für alle geht am 29. April in die zweite Testphase. Diesen Termin nennt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einem Brief, den er heute an die Gesellschafter der gematik geschickt hat. Demnach ist aus Sicht des Gesundheitsministeriums alles bereit, die Hürden seien erfolgreich beseitigt worden. Wir veröffentlichen den Brief, der netzpolitik.org vorliegt, im Wortlaut.
Eigentlich hatte das BMG den landesweiten Start der elektronischen Patientenakte bereits für den 15. Februar geplant. Allerdings hatte sich der Rollout aus zwei Gründen verzögert: Zum einen hatten Sicherheitsfachleute des CCC Ende vergangenen Jahres zahlreiche Sicherheitslücken im ePA-System offengelegt. Zum anderen lief die Testphase in den drei Modellregionen nur äußerst schleppend an.
Ministerium sieht Sicherheitsprobleme gelöst
Inzwischen habe die „intensive Testung“ gezeigt, dass die ePA einsatzbereit sei. Und auch die Sicherheitsprobleme sind laut Ministerium ausgeräumt: „In Abstimmung mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik konnten Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt werden, die Voraussetzung für die bundesweite Nutzung sind“, heißt es in dem Brief an die gematik. Als „nationale Agentur für digitale Medizin“ definiert die gematik unter anderem die technischen Standards für die ePA.
Ende Dezember hatten Bianca Kastl und Martin Tschirsich auf dem CCC-Kongress demonstriert, wie Dritte mit minimalen Aufwand auf die in jeder beliebigen ePA hinterlegten Gesundheitsdaten zugreifen können. Kastl ist Vorsitzende des Innovationsverbunds Öffentliche Gesundheit e. V. und Kolumnistin bei netzpolitik.org. Tschirsich ist beim Chaos Computer Club aktiv und arbeitet im Bereich der Informationssicherheit.
Erst vor wenigen Tagen bezweifelte Kastl gegenüber netzpolitik.org, dass die Sicherheitsmängel der ePA beseitigt seien. „Die bisher angekündigten Updates sind grundsätzlich ungeeignet, um die aufgedeckten Mängel in der Sicherheitsarchitektur auszugleichen“, so Kastl. Bei den versprochenen Updates handele es sich „lediglich um den Versuch der Schadensbegrenzung bei einem der vielen von uns demonstrierten Angriffe“. Eine umfassende Behebung der aufgezeigten Mängel könne „nur mit kompromissloser Aufklärung und Transparenz erreicht werden“, betonte Kastl. Beides sei bisher nicht gegeben.
„Weitere Erfahrungen sammeln“
Ebenso kritisch äußern sich manche Ärzt:innen selbst. Dennoch soll ab Ende April die „Hochlaufphase“ beginnen, in der die ePA landesweit genutzt werden kann.
Was das konkret bedeutet, hatte Lauterbach bereits vor gut einer Woche auf der Digital-Health-Messe DMEA angekündigt. Demnach soll in dieser zweiten Testphase die Nutzung der ePA für Ärzt:innen freiwillig bleiben. Sanktionen hätten sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zu befürchten, so Lauterbach.
Die Hochlaufphase soll Praxen, Krankenhäusern und Apotheken dazu dienen, sich „ausgiebig“ mit der ePA vertraut zu machen und sie in ihren Alltag zu integrieren. In den kommenden Monaten würden laut Ministerium dann „weitere Erfahrungen gesammelt, um die Mehrwerte der ePA in der Versorgung entstehen zu lassen“.
Es sei nun an der gematik, „den Erfolg der ePA sicherzustellen, sie weiterzudenken und die aus ihr erwachsenden Chancen für eine bessere und effizientere Versorgung zu nutzen“. Spätestens ab dem 1. Oktober 2025 ist die ePA „entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und Verpflichtungen bundesweit durch die Leistungserbringenden zu nutzen“, so die Ankündigung des BMG.
Eine digitale Patientenakte für alle
Die ePA soll Versicherte ein Leben lang begleiten. In ihr sollen unter anderem Befunde, Laborwerte, Arztbriefe und Medikamentenverordnungen gesammelt werden. Auf die hinterlegten Daten können Praxen, Krankenhäuser und Apotheken bis zu 90 Tage lang zugreifen, wenn Versicherte ihre Krankenkassenkarte in deren Lesegerät stecken.
Seit dem 15. Januar haben rund 230 Arztpraxen, 60 Apotheken und eine Handvoll Krankenhäuser die elektronische Patientenakte getestet. Die Testphase findet in Hamburg, Franken und Nordrhein-Westfalen statt. Rund 70 Millionen Patient:innenakten sind in diesem Zeitraum angelegt worden, etwa fünf Prozent der Versicherten hatten der Einrichtung einer ePA widersprochen. Laut gematik würden pro Woche 276.000 ePAs verwendet, täglich würden etwa 3,5 Millionen E-Rezepte in digitale Patientenakten einfließen, knapp 70.000 Mal pro Tag würden Medikationslisten abgerufen.
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Der Brief im Wortlaut
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Sehr geehrte Damen und Herren,
seit Januar 2025 erleben wir, dass eines der größten Digitalisierungsprojekte Deutschlands Realität wird. Mit der Bereitstellung von etwa 70 Millionen elektronischen Patientenakten (ePA) ist nicht nur ein erster Meilenstein erreicht, sondern das Fundament für die Digitalisierung unseres Gesundheitssystems gelegt.
In den Modellregionen ist die ePA bereits Teil des Versorgungsalltags. Die intensive Testung hat gezeigt, dass die Technik einsatzbereit ist und sich auch die Erfahrungen bezüglich der Nutzung positiv entwickeln. Die ePA wird die Versorgung spürbar verbessern. In den Modellregionen zeigt sich das bereits im kleinen Rahmen und soll nun im nächsten Schritt für alle erlebbar werden.
Die Pilotierung in den Modellregionen sowie die Tests in Nordrhein-Westfalen haben wertvolle Erkenntnisse geliefert. Daraus lassen sich drei Prinzipien ableiten, die auch für die nun folgende Phase relevant sind:
- Die Sicherheit der ePA steht an vorderster Stelle. In Abstimmung mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik konnten Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt werden, die Voraussetzung für die bundesweite Nutzung sind.
- Die Nutzbarkeit der ePA für die Leistungserbringenden hängt stark von den jeweilig eingesetzten Systemen ab. Daher sollte die Einführung über einen Zeitraum gedacht werden, in dem die Nutzung kontinuierlich steigt.
- Positive Nutzererfahrungen sollen der Treiber der ePA in der Versorgung sein. Daher sollen Leistungserbringende in der Einführungsphase der ePA nicht unter Druck geraten für Umstände, die sie nicht zu verantworten haben.
Basierend auf diesen Grundsätzen kann die ePA ab dem 29. April 2025 in ganz Deutschland genutzt werden. Die Begrenzung auf die positiv-gelisteten Einrichtungen in der Modellregion wird dann aufgehoben.
Die Hochlaufphase soll von den Leistungserbringenden genutzt werden, um sich ausgiebig mit der ePA vertraut zu machen und sie in die Versorgungsabläufe zu integrieren. Dabei werden weitere Erfahrungen gesammelt, um die Mehrwerte der ePA in der Versorgung entstehen zu lassen.
Spätestens ab dem 1. Oktober 2025 ist die ePA entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und Verpflichtungen bundesweit durch die Leistungserbringenden zu nutzen.
Nach über zwanzig Jahren ist es jetzt an der Zeit, in die entscheidende Phase einzutreten. Das schrittweise Vorgehen hilft uns, die ePA sicher und nachhaltig in der Fläche zu etablieren. Zugleich ist der Grundstein dafür gelegt, dass sich die ePA zum Standard in der Gesundheitsversorgung entwickelt.
Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich bei Ihnen für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Umsetzung und Einführung der ePA für alle bedanken! Auch allen Beteiligten bei der gematik und aus der Industrie möchte ich meine Anerkennung für diese besondere Leistung zum Ausdruck bringen.
Es ist nun an Ihnen, den Erfolg der ePA sicherzustellen, sie weiterzudenken und die aus ihr erwachsenden Chancen für eine bessere und effizientere Versorgung zu nutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Lauterbach
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