
Bereits heute werden mehr als 40 Prozent des Einkommens für Sozialbeiträge fällig. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD sehen Experten die Fortsetzung dieser Negativspirale: Sie warnen vor einer teuren Hypothek fürs Land, die das sehnlich erwartete Wachstum gefährdet.
Auf Beitrags- und Steuerzahler kommen nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wegen der sozialpolitischen Vorhaben von Union und SPD enorme Belastungen zu. "Die neue Koalition steuert in ernsthafte Finanzierungsschwierigkeiten hinein", sagte IW-Steuer- und Sozialexperte Jochen Pimpertz. Grund seien vor allem die steigenden Gesundheitskosten.
Pimpertz zufolge ist der Ausgabenschub größer als in der Vergangenheit angenommen, da der Gesetzgeber die Krankenkassen nach der Corona-Pandemie verpflichtet habe, ihre Finanzreserven zur Stabilisierung des Beitragssatzes abzuschmelzen. Es fehle ein Puffer, um einen fortlaufenden Anstieg des Beitragssatzes abzufedern.
Demnach sind die Sozialabgaben für Beschäftigte und Arbeitgeber inzwischen bereits auf 42,3 Prozent des Einkommens gestiegen. Eine Erhebung des Forschungsinstituts Iges sagt für die nächsten Jahre einen Anstieg auf knapp 46 Prozent vorher.
"Gift für die Konjunktur"
Auch DAK-Gesundheit-Chef Andreas Storm erwartet in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung enorme Probleme. Ihm zufolge drohen spätestens zum Jahreswechsel kräftig steigende Beiträge: "Wenn nicht nachgelegt wird, dann ist mit diesem Koalitionsvertrag ein Beitrags-Tunami vorprogrammiert", sagte er in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen".
Bei der gesetzlichen Krankenversicherung droht laut Storm ein Anstieg um mindestens einen halben Beitragssatzpunkt: "In Verbindung mit steigenden Pflegeversicherungsbeiträgen bewegen wir uns dann in Richtung eines Gesamtsozialversicherungsbeitrags von 43 Prozent. Das bedeutet nicht nur eine Zumutung für versicherte Beschäftigte, Rentner und Arbeitgeber, das ist auch Gift für die Konjunktur."
Experte vermisst "grundlegende Weichenstellung"
IW-Experte Pimpertz erwartet auch bei der Finanzierung des Rentensystems Probleme. Denn im Koalitionsvertrag versprechen Union und SPD, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten wegen der Alterung der Gesellschaft immer mehr Mittel in Milliardenhöhe eingesetzt werden. Dieses aber solle laut Koalitionsvertrag mithilfe von Steuermitteln geschehen. "In der Haut des Finanzministers, der darüber zu entscheiden hat, möchte ich nicht stecken", sagt der IW-Forscher.
Pimpertz vermisst bei Union und SPD "eine grundlegende Weichenstellung", wie mit den absehbar wachsenden Finanzproblemen umgegangen werden solle. Es mangele an Wettbewerbselementen im Sozialbereich.
Bereits vor der Präsentation des Koalitionsvertrags durch CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Chef Markus Söder und die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil hatte Pimpertz festgestellt, die steigenden Sozialbeiträge seien eine Hypothek für das im Land sehnlich ersehnte Wachstum. Umso mehr drohe nun eine Negativspirale, "wenn aufgrund der schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung das Wachstum der beitragspflichtigen Einkommen weiter hinter die Ausgabenentwicklung zurückfällt".