Fast-Kanzler Friedrich Merz macht eine Ansage, die der SPD nicht gefällt. Die Irritation bei den Genossen ist groß, die Reaktion deutlich. Der linke Flügel fordert eine Klarstellung.
Friedrich Merz will jetzt erstmal ein paar Tage freimachen, bisschen zur Ruhe kommen. Die letzten Monate seien extrem anstrengend gewesen, sagte der Fast-Kanzler und gab dann noch zwei Dinge zu Protokoll, die kaum zur Entspannung der Gesamtlage beitragen dürften. Beim künftigen Koalitionspartner ist das Kopfschütteln jedenfalls groß.
Weder sei die Senkung der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen fix, sagte der CDU-Chef zur "Bild am Sonntag", noch die Mindestlohnerhöhung ab 2026 auf 15 Euro. Vor allem letzteres ist ein Herzensthema der SPD, war ein zentrales Versprechen der Sozialdemokraten im Wahlkampf.
Aber, so Merz jetzt recht unsentimental: Habe man so nicht verabredet, eine gesetzliche Regelung werde es nicht geben. Aha? In der SPD ist man irritiert und fragt sich, was Merz mit seinen Ansagen bezwecken wolle.
Anke Rehlinger, die Ministerpräsidentin des Saarlands, sagt dem stern leicht angesäuert: "Es ist in Ordnung, dass Herrn Merz das nicht sehr wichtig ist, trotzdem wird der höhere Mindestlohn kommen." Auch Tim Klüssendorf, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, warnt im stern: "Den Koalitionsvertrag in für uns zentralen Punkten, wie der Erhöhung des Mindestlohns, bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung offen anzuzweifeln, hilft an dieser Stelle überhaupt nicht weiter beim so dringend notwendigen Vertrauensaufbau."
Schon am Donnerstag hatte Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil unzweideutig klargestellt: Der Mindestlohn werde 2026 "auf die 15 Euro steigen, die wir haben wollen". Rüttelt Merz also schon am schwarz-roten Koalitionsvertrag, nur wenige Tage nach dessen feierlicher Präsentation?
Rehlinger macht Friedrich Merz eine Ansage
Dort hatten sich Union und SPD auf eine Art Formelkompromiss verständigt. So soll weiterhin die Mindestlohnkommission die Lohnuntergrenze festlegen, eine politische Festlegung – wie schon 2021 und auch diesmal von der SPD in Betracht gezogen – folglich nicht. Jedoch werde sich die Kommission "im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren", heißt es. Auf diesem Weg sei ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.
Was genau darunter zu verstehen ist, ist Auslegungssache. Entsprechende Graubereiche hatten auch schon in der Ampel-Koalition immer wieder für Streit gesorgt. Die Sache mit dem Mindestlohn zeigt schon vor Regierungsstart, dass sich dieses Prinzip auch in der Groko wiederholen könnte. Auch SPD-Mann Klüssendorf erinnert das an vergangen geglaubte Zeiten. "Wir sind gut beraten, die Fehler der Ampel-Regierung nicht zu wiederholen", sagt er, stattdessen müsse man verlässlich miteinander umgehen sowie Konflikte intern klären.
Im Koalitionsvertrag sei "das Offenkundige" festgehalten, mahnt SPD-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. "Der Mindestlohn wird auf 15 Euro steigen, wenn die Mindestlohnkommission den gegebenen Maßstäben folgt." Dieser solle bei 60 Prozent des Medianlohns liegen, das seien schon heute 15 Euro, sagt Rehlinger und unterstreicht, dass die Sozialdemokraten auf die Mindestlohnerhöhung pochen werden. "Es soll keine neue gesetzliche Korrektur geben, aber alle Seiten der Mindestlohnkommission haben sicher ein Interesse, sich an die maßgeblichen Vorgaben zu halten und das SPD-geführte Arbeitsministerium und auch die Gewerkschaften werden darauf achten."
Tatsächlich könnten beide Seiten recht haben, nach Stand der Dinge jedoch die eine gerade etwas mehr als die andere.
Was bedeutet "Orientierung"?
Merz liegt richtig mit der Aussage, dass es keinen "gesetzlichen Automatismus" gebe – die Mindestlohnerhöhung liegt in den Händen der Kommission. Auch die Rechnung von SPD-Chef Klingbeil geht voraussichtlich auf. Die 15-Euro-Schwelle wird erreicht, so eine Berechnung des gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Instituts im März, wenn ein Wert von 60 Prozent des mittleren Lohns eines Vollzeitbeschäftigten umgesetzt wird. Wenn man die Daten des Statistischen Bundesamtes fortschreibe, ergebe sich daraus ein Mindestlohn von 14,88 Euro bis 15,02 Euro im Jahr 2026 und von 15,31 Euro bis 15,48 Euro im Jahr 2027.
Aber: Das ist derzeit keineswegs garantiert. Es ist sogar völlig offen, was eine "Orientierung" an einem Zielwert von 60 Prozent bedeutet, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Dabei handelt es sich offenkundig nicht um eine starre Untergrenze, sondern eine Marke, die die Kommission im Blick haben soll.
Und so antwortet Fast-Kanzler Merz der "Bild am Sonntag" recht unverbindlich auf die Frage, ob der Mindestlohn auch niedriger als 15 Euro liegen könnte: "Er geht möglicherweise in diese Richtung." Möglicherweise in diese Richtung – ein klares Bekenntnis ist das nicht.
Das dürfte insbesondere in der SPD noch für Diskussionen sorgen, der schwarz-rote Koalitionsvertrag muss noch von den Parteimitgliedern abgesegnet werden. Die Abstimmung beginnt Dienstag, am 30. April dürfte das Ergebnis bekannt gegeben werden. "Die SPD-Mitglieder haben angesichts des nun anstehenden Votums ein Recht darauf, zu wissen, ob sie sich auf die Verabredungen aus dem Vertrag verlassen können", meint der SPD-Linke Klüssendorf und fordert eine Klarstellung von Merz. "Hier braucht es dringend und schnell Klarheit".
Für die CDU soll der Bundesausschuss das Vertragswerk am 28. April billigen, der CSU-Vorstand hat bereits zugestimmt. Zuletzt hatten viele SPD-Basismitglieder mit Merz als künftigem Kanzler gehadert und deutlich gemacht, dass ihre Zustimmung einen Preis haben wird (der stern berichtete). Merz‘ Mindestlohn-Ansage dürfte keine vertrauensbildende Maßnahme gewesen sein.
Eine kurze Verschnaufpause, wie Merz sie sich vorgenommen hat, dürfte jetzt schwieriger werden.