Was ist denn da los? Linke-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek spricht im Interview über steigende Umfragewerte, die Macht von TikTok – und ihre Wutrede gegen Friedrich Merz.
Umfragewerten zufolge hat die Linke an Popularität gewonnen und die Fünfprozenthürde geknackt. Woran liegt das?
Die Menschen merken, dass wir nicht nur reden, sondern machen. Und dass wir vor allem ihre Probleme in den Blick nehmen. Beispiel zu hohe Mieten: Wir haben einen Mietwucher-Rechner und einen Heizkostenrechner, da können die Menschen sich melden, und wir helfen ihnen, bares Geld zurückzubekommen. Das spricht sich rum.
Sie haben auch das BSW überholt, das momentan bei vier Prozent liegt. Gibt Ihnen das ein Gefühl von Genugtuung?
Mir geht es darum, dass wir gute Politik für die Menschen im Land machen und das auch in der nächsten Wahlperiode im Bundestag weitermachen können. Das ist für mich der Fokus. Da gucke ich nicht, wie es bei den anderen so aussieht.
In den sozialen Netzwerken gibt es momentan eine Flut an Videos, die sogenanntes taktisches Wählen erklären, um der AfD möglichst großen Schaden zuzufügen. Dabei wird die Linke oft als einzige Hoffnung gegen den Rechtsruck genannt. Freut Sie das oder wäre es Ihnen lieber, wenn die Bürger Ihre Partei aus Überzeugung wählen würden?
Ich kenne natürlich die Videos zum taktischen Wählen. Da gibt es auch sehr viele, die sagen, man solle lieber eine größere Partei wählen. Aber mindestens genauso viele, die sagen: Nein, es braucht eine starke Linke, weil die eine klare Haltung gegen rechts hat, sich für soziale Politik einsetzt und auch dafür kämpft, dass die Gesellschaft nicht gespalten wird. Wenn mehr Menschen bewusst wird, wie wichtig diese laute linke Stimme im Bundestag ist, dann ist das für uns natürlich eine gute Sache.
Gysi und Ramelow erleben ihren zweiten Frühling
Ihre Partei verzeichnet vor allem Zulauf bei Jungwählern: In der Altersklasse der 18- bis 29-Jährigen sind Grüne und Linke derzeit fast gleichauf stärkste Partei. Ist das der Mission Silberlocke von Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow zu verdanken?
Das ist vielen Faktoren zu verdanken. Zum einen unserer Themensetzung, dass wir uns vor allem auch für junge Menschen einsetzen, in den sozialen Medien gerade sehr stark vorkommen und ja, auch, dass die drei Herren noch mal angetreten sind. Aber es ist auch unseren Parteivorsitzenden zu verdanken, Jan van Aken und Ines Schwerdtner, die eine tolle Figur abgeben. Da ich selber aus der Jugendhilfe komme, freut es mich sehr, dass wir so viele junge Menschen ansprechen.
Linke Aktion Siilberlocke 11:36
Wieso kommen ausgerechnet die drei Alt-Politiker gut bei jungen Wählern an?
Ich würde behaupten, dass auch van Aken und ich sehr gut bei jungen Wählern ankommen, wenn wir unterwegs sind. Bei van Aken waren in Stuttgart hunderte Leute, bei mir in Nürnberg ebenfalls. Gestern war ich mit Bodo Ramelow in Erfurt, wo gar nicht alle in den Saal gepasst haben. Ich glaube, es ist einfach gerade die Linke als Partei, die gut ankommt. Aber ja, Gysi und Ramelow erleben ein bisschen ihren zweiten Frühling in den sozialen Medien, werden dabei aber von unserer Linksjugend unterstützt und haben da richtig Spaß bei.
Sie selbst sind sehr aktiv in den sozialen Medien. Haben Sie der AfD nun auch in den sozialen Netzwerken den Kampf angesagt?
Rechtsextremen haben wir schon immer den Kampf angesagt. Aber ich bin damals zu TikTok gegangen, als ich 2021 in den Bundestag gekommen bin, weil es mir wichtig war, auch auf diesem Weg Menschen zu erreichen. Ich gehe an Infostände, Haustüren, auf Podien, aber eben auch in die sozialen Medien, weil ich auf Augenhöhe mit den Leuten sprechen möchte. Ich möchte ihnen erklären, warum es wichtig ist, sich politisch einzubringen und wie das, was im Bundestag passiert, einen Einfluss auf ihr Leben hat. Das funktioniert dort sehr gut. Viele Menschen brauchen so eine laute, deutliche Stimme. Das habe ich zumindest gerade in der letzten Woche gemerkt, als sich viele bei mir bedankt haben, dass ich ihren Frust und ihre Wut in den Bundestag getragen habe.
Ihre Bundestagsrede von vergangener Woche, in der Sie Merz den Bruch mit der Brandmauer vorwerfen, ging viral – bei TikTok hatte das Video fast sechs Millionen Aufrufe. Glauben Sie, solche Videos könnten bei jungen WählerInnen das Zünglein an der Waage sein?
Das kann sein. Es ist auf jeden Fall ein Baustein unserer Wahlkampf- und Parteistrategie. Ein weiterer Baustein sind unsere Leute, die in der kommunalen Politik tätig sind und da Tag für Tag ihr Gesicht hinhalten. Wir setzen klare Themen wie bezahlbare Lebensmittel, bessere Renten und bessere Löhne. Wir stehen für mehr Investitionen in Bildung, ins Gesundheitssystem und in den Klimaschutz. Vor allem ist unsere Partei nicht käuflich. Wir sind die einzigen im Bundestag, die keine Spenden von Großkonzernen annehmen. Jetzt wo wir es schaffen, das den Leuten deutlich zu machen, funktioniert es.
Sie waren in der Rede sehr in Rage, haben in den Augen vieler die Emotionen gezeigt, die Sie selbst gefühlt haben. War das geplant, oder ist es in diesem Moment einfach so aus Ihnen herausgebrochen?
Das war nicht geplant. Also die erste Rede in der Debatte hatte ich vorbereitet, klar. Aber nachdem es dazu gekommen ist, dass dieser Entschließungsantrag wirklich durchgekommen ist, war ich wirklich entsetzt. Ich hatte damit ehrlicherweise nicht gerechnet. Ich habe dann ein paar Sachen aufgeschrieben, die ich rauslassen wollte, aber am Ende war viel einfach spontan aus dem Bauch heraus. Ich glaube, das war auch das Wichtige: dass die Leute sehen, da sitzen Menschen mit echten Emotionen, die gehen wirklich mit ihrer eigenen Überzeugung herein. Das macht es am Ende aus, dass man sich damit identifizieren konnte.