2 months ago

Hat FDP fertig mit der Ampel?: Scholz und Habeck gestehen das ganze Ausmaß der Krise



Die Ampel ruft die "Woche der Entscheidungen" aus: Nach dem Krisentreffen im Kanzleramt versuchen der Kanzler und sein Vize, die FDP mit Verweis auf die Weltlage in die Pflicht zu nehmen. Doch der kleinste Koalitionspartner pocht auf sehr grundsätzliche Entscheidungen.

Mark Rutte kam am Montag genau zum richtigen Zeitpunkt nach Berlin. Der NATO-Generalsekretär hat als langjähriger Regierungschef der Niederlande Expertise in der Führung komplexer Regierungskoalitionen. Expertise, die Olaf Scholz dringend brauchen kann. Spätestens mit dem Krisentreffen am Sonntag im Bundeskanzleramt hat auch der deutsche Regierungschef öffentlich eingestanden, was er so lange bestritten hat: Die Ampel-Koalition steht sehr konkret vor dem vorzeitigen Aus. Nicht wenige würden sagen: dem überfälligen Aus.

Am Sonntag kam erst die SPD-Spitze im Kanzleramt zusammen. Anschließend war dort Bundesfinanzminister Christian Lindner im Zwiegespräch mit Scholz zu sehen. Und Montagmittag schließlich kamen Scholz und Lindner im selben Gebäude mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zusammen. Weitere Treffen der drei Spitzenvertreter von SPD, FDP und Grünen sind geplant, bevor am Mittwochabend der Koalitionsausschuss tagt. Hernach könnte ein Auseinandergehen der Ampel, ein weiteres Treffen oder gar eine Einigung aufs Weitermachen verkündet werden. Alles scheint drin. Das Rätselraten über die Absichten insbesondere der FDP ist groß.

Strategie gegen Lindners Muskelspiele

Kaum jemand in Berlin, der die am Freitag öffentlich gewordenen wirtschaftspolitischen Vorschläge von Lindner nicht als Scheidungsurkunde liest. Eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für die obersten zehn Prozent der Einkommensgruppen sowie das Aus für Regulierungen wie dem Tariftreuegesetz sind mit der SPD eigentlich nicht zu machen. Einer Verschiebung der Einhaltung der Klimaneutralität von 2045 auf 2050 werden wiederum die Grünen kaum zustimmen. Dennoch brachte Lindner diese Forderungen in die öffentliche Debatte ein. Drei Tage zuvor hatte er zudem den Industriegipfel des Kanzlers mit einer Gegenveranstaltung konterkariert und vor Kameras beklagt, nicht zur Kanzlerveranstaltung eingeladen zu sein.

Bei SPD und Grünen wird schon länger spekuliert, Lindner und seine FDP legten es auf den Rauswurf aus der Ampel an. Doch Scholz und die SPD-Führung wollen genauso wenig wie die Grünen über das hingehaltene Stöckchen springen. Die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken fragten am Sonntag und Montag gleichlautend, ob alle Koalitionspartner noch die nötige "Kraft" zum Weitermachen aufbrächten? Sie führten Lindner vor Augen: Wenn sich die FDP nicht zu einem Kompromiss aufraffen kann, wird die Kanzlerpartei die Freidemokraten der Schlappheit, Kompromissunfähigkeit und Feigheit zeihen. Keinesfalls werde man Lindner erhobenen Hauptes von dannen ziehen lassen.

"Wir haben überhaupt keine Neigung, die Koalition platzen zu lassen", sagte Esken am Montag über die eigene Entschlossenheit zum Durchhalten. Einerseits. Andererseits: Sie habe in Lindners Papier "keinen Vorschlag gefunden, der geeignet wäre, in dieser sozialdemokratisch geführten Regierung umgesetzt zu werden". Wie also zusammenkommen? Ein "Showdown" sei der Koalitionsausschuss am Mittwoch nicht, beteuerte Esken. Aber es sei eine "Woche der Entscheidungen". Entscheidungen über Maßnahmen für die Wirtschaft und über mögliche Einsparungen, um doch noch einen Haushalt für das kommende Jahr zustande zu bekommen.

Wie viele "konkrete Dinge" sind genug?

Und das ist die Krux: Wenn es mit der Ampel irgendwie weitergehen soll bis zum Herbst kommenden Jahres, bedarf es einer Grundlage, die nicht im Dezember schon wieder Makulatur ist. Die FDP mag es nicht auf ein unbedingtes Ampel-Aus anlegen. Sie fordert aber sehr grundsätzliche Entscheidungen über das Wie in der verbleibenden Regierungszeit. Ihre Vorstellungen weichen dabei stark vom Koalitionsvertrag ab. "Sehr konkrete Dinge" müssten beschlossen werden, forderte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag.

Reichen der FDP schon die ebenfalls von Lindner geforderten Steuerentlastungen für Unternehmen oder muss es - und das legt das Lindner-Papier nahe - deutlich mehr sein? Weder dem Inhalt noch dem Auftreten nach werden sich die FDP-Granden mit ein paar kleinen Punktgewinnen zufriedengeben können. Auch weil der parteiinterne Druck wächst, die Ampel zu beenden. Zugeständnisse gar an SPD und Grüne, wie das Aussetzen der Schuldenbremse, scheinen noch unwahrscheinlicher als bislang schon.

Anders als Esken und Grünen-Chef Omid Nouripour kam Djir-Sarai am Montag auch keine Beteuerung über die Lippen, ein Koalitions-Aus vermeiden zu wollen. Nouripour sagte dagegen sehr deutlich: "Wir wollen den Bruch nicht." Allerdings erteilte er auch einer Verschiebung von Deutschlands Klimaneutralität um fünf Jahre eine klare Absage.

Am späten Montagnachmittag beraumte Robert Habeck kurzfristig eine kleine Pressekonferenz an und zeigte sich sehr demonstrativ bewegt: "Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert", warnte er eindringlich vor einem Bruch. Der Vizekanzler verwies auf den Krieg in der Ukraine, die wirtschaftliche Lage in Deutschland und die Wahl in den USA. Die Regierung müsse gerade in einer herausfordernden Lage ihrer "Pflicht" nachkommen.

Habeck und Scholz nehmen FDP in Pflicht

Sollte sich die Ampel nicht auf einen Haushalt verständigen können, drohe Deutschland zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt eine "Hängepartie", sagte Habeck. Sprich: Bis zu einem vorgezogenen Wahltermin und anschließenden, potenziell viele Wochen dauernden Koalitionsverhandlungen, wäre Deutschland von der Weltbühne abgemeldet. Und das während womöglich Donald Trump wieder US-Präsident wird oder einen Wahlsieg von Kamala Harris nicht anerkennt, während die EU-Kommission noch immer nicht voll arbeitsfähig ist, Russland in der Ukraine weiter vorrückt und Deutschland in Teilen eine Deindustrialisierung erlebt.

Habecks Auftritt signalisiert zweierlei: Erstens räumte auch der Vize-Kanzler das drohende Regierungsende ein. Die Ampel sei "in schwerem Fahrwasser", sagte der Norddeutsche. Ein Kentern ist also möglich. Zweitens vertrat er eine auffallend gleichlautende Linie wie Olaf Scholz. Der sagte bei seiner Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Rutte: "Ich bin der Kanzler. Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderungen bewältigen, vor denen wir stehen. Es geht um Wirtschaft und Arbeitsplätze. Es geht um Pragmatismus und nicht um Ideologie." Scholz und Habeck versuchen, die offenbar auch für sie nicht ganz durchschaubare FDP in die Pflicht zu nehmen.

Habeck signalisiert Entgegenkommen

Habeck ging dabei sehr konkret auf Lindner zu: Nachdem der Bau der Intel-Chipfabrik in Magdeburg auf unbestimmte Zeit verschoben ist, will der Bundesfinanzminister mit den dafür vorgesehenen Fördermilliarden die zweistellige Milliardenlücke im Haushalt 2025 stopfen. Der muss bis Ende nächster Woche stehen, wenn die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag ansteht. Habeck hätte das Geld lieber zur Förderung der Wirtschaft nutzen wollen. Nun erklärte er sich bereit, das Geld aus dem Klimaschutz- und Transformationsfonds (KTF) in den allgemeinen Haushalt zu überführen. Früher am Tag hatte Esken dieses Vorgehen noch abgelehnt. Jetzt scheint dieser Streitpunkt schon einmal vom Tisch zu sein.

Auch die von der FDP geforderte Aussetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltsgesetzes bis zur Umsetzung einer weniger bürokratischen EU-Richtlinie soll an Habeck nicht scheitern. Da tut sich eher die SPD schwer, doch wird sie sich daran nicht aufhängen. Es gibt durchaus Spielraum für Verhandlungen, deren Ergebnis Lindner als Erfolg deuten könnte.

Zumal das Datum des Koalitionsausschusstreffens eine ganz eigene Dynamik entfalten könnte: Am Mittwochabend nämlich werden die Teilnehmer aus SPD, Grünen und FDP auch unter dem Eindruck der Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen stehen. Bilder eines triumphierenden Donald Trump oder eines neuerlichen Nachwahl-Chaos in den USA könnten den vielfältigen Mahnungen zur Verantwortung noch einmal Nachdruck verleihen. Ein faktisch über Monate lahmgelegtes Berlin würde in solch einem Szenario tatsächlich zum Sicherheitsproblem für Deutschland und Europa.

Die Ironie: Ausgerechnet ein im politischen Berlin herbeigesehnter deutlicher Wahlsieg von Kamala Harris wäre womöglich der letzte Sargnagel für die Ampel. Denn viel mehr als Schreckensszenarien ist Scholz und Habeck offensichtlich nicht eingefallen, um die FDP von der Sinnhaftigkeit von Kompromissen zu überzeugen. Und das sagt viel aus über die Überlebenschancen der Ampel in der "Woche der Entscheidungen".

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