Disruption ist eines der Modewörter der Stunde – zumindest bei Leuten wie Christian Lindner. Hoffen wir mal, dass er damit nicht seine eigene Partei meint.
Christian Lindner beeindruckt an Javier Milei also "die Kraft zur Disruption". Uns interessiert hier nicht die viel gescholtene Belobigung des argentinischen Präsidenten, die zum Beispiel Lindners Hochzeitsgast Friedrich Merz "völlig entsetzt" hat. Uns interessiert das Wort.
Dass Lindner den Begriff Disruption benutzt, ist zunächst ein Symptom für seine schwierige Lage. Es gehört zu den Eigenarten des FDP-Chefs, dass er sich unter Druck einer distinguierten Sprache befleißigt, wahrscheinlich um kompetent zu klingen. Stammkunden dieser Kolumne erinnern sich an eine Betrachtung des Finanzministers Lindner, der unter Spardruck ankündigte, er werde Ausgaben "depriorisieren".
STERN C Populismus Deutschland 19.45
Das beiläufige Einstreuen von Fachbegriffen ist mitnichten nur eine lindnersche Marotte. Politiker wollen sich damit als Kundige abgrenzen von den Unkundigen. Es ist der Slang der Bedeutsamkeit. So sprach Angela Merkel in der Finanzkrise ständig von "Spreads", also der Spreizung zwischen den Anleihezinsen unterschiedlicher Euro-Länder. Olaf Scholz redet in der Nahostpolitik vom Iran und seinen "Proxies", also den Terrorgruppen wie Hamas oder Hisbollah, die stellvertretend für das Regime in Teheran handeln. Als Emmanuel Macron über Bodentruppen in der Ukraine orakelte, schwappte sein Wort von der "strategischen Ambiguität", also einer absichtlichen Unberechenbarkeit, über die Talkshows bis in den Bundestag. Dort machte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius den Begriff zu eigen, allerdings elegant ironisierend: Auf die Frage, ob fehlende Finanzmittel für die Bundeswehr ihn eines Tages aus dem Amt treiben könnten, ließ er die Antwort offen und adelte dieses Lavieren als, genau: "strategische Ambiguität".
"Disruption" – das magische Wort?
Zurück zur Disruption. Der Gedanke geht auf den Ökonomen Joseph Schumpeter zurück, obwohl er das Wort nicht benutzt hat. Aber Schumpeter sprach gern von der "schöpferischen Zerstörung" durch Innovation, die Altes verdrängt. Der Amerikaner Clayton Christensen hat das zum Konzept der – Achtung! – disruptiven, also zerstörenden Technologien weiterentwickelt. Sie entstehen in Nischen und gewinnen plötzlich Marktanteile, weil sie das Herkömmliche im Nutzen übertreffen. Als klassisches Beispiel gilt die Digitaltechnik beim Fotografieren. Oder die Verdrängung der Nokia-Handys durch die Apple-Smartphones.
Mittlerweile ist Disruption eines dieser Wörter, die irgendwann so selbstverständlich in Talkshows und Leitartikeln auftauchen, dass keiner mehr zu fragen wagt, was sie eigentlich heißen. Disruption ist ein Modewort, ein Code, an dem sich Menschen erkennen, die glauben, dass ihnen in besonderer Weise die Dimension notwendiger Veränderung bewusst ist, ökonomisch, politisch und überhaupt. Disruption ist etwas Großes, aber auch Diffuses. Fordern Sie mal bei Ihrer Arbeit oder im Kegelklub Disruption, schon sind Sie ein Teil davon.
Fans betonen die schöpferische Kraft der Disruption. Doch ist die Zerstörung eben die Kehrseite der Medaille. Ein funktionierendes Geschäftsmodell geht zugrunde, wenn es sich nicht reformiert. Wendet man das Prinzip der Disruption auf die Politik an, kann das auch eine Partei treffen.
Womit wir wieder bei Christian Lindner wären. Er hat die FDP aus einer Nische in die Regierungsbeteiligung geführt. Und scheint ihr nun den Weg zurückzuweisen. Die Kraft zur harten Reform, die sie an anderen beeindruckt, bringen die Liberalen gegen sich selbst nicht auf. Am Ende stellt sich noch heraus, dass D-Day in der FDP für Disruption Day stand.